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Seite:Die Gartenlaube (1871) 053.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


den Knaben der Kopf noch mehr verrückt, und durch eine drei Tage lang bei verschlossenen Läden im Dämmerlicht gehaltene Bußpredigt eines Missionärs ihre Zerknirschung bis fast zum religiösen Wahnsinn gesteigert.

„Während dieser Zeit sah man in unserm Seminar kein Bild an der Wand, vor dem nicht ein Studentchen kniete, entweder auf einem schneidenden Scheit, oder mit einem Stachelgürtel (Cilicium) um den Leib, ober mit einer Geißel in der Hand. Ich lag Nachts auf kleinen Scheiten, trug am Tage das Cilicium, geißelte mich auch, ehe ich zu Bette ging, mit Stricklein und wollte ein ebenso großer Büßer werden wie der heilige Aloysius.


Gemeiner. Officier. Maschinist.
Deutsche Marine in Orleans.
Nach der Natur gezeichnet von G. Arnould in Kiel.


Der Bußgeist war mit solcher Heftigkeit in mich und andere kleine Knaben meines Alters gefahren, daß wir insgeheim fromme Zusammenkünfte hielten, von heiligen Einsiedlern und Büßern schwatzten und einander auf den entblößten Rücken geißelten. In die Länge ward mir dies Bußethun zu sauer, denn einige hieben ganz unbarmherzig darein. Um also die Strenge der Geißler zu mildern, bestachen wir sie mit Darreichung eines Kreuzers oder eines erübrigten Theils vom Mittagessen. Endlich mischten sich die Lehrer ein und verboten uns das Zusammenkommen in was immer für Winkeln. Sie mochten eine ganz andere, der Keuschheit nicht gemäße Ursache unserer Zusammenkunft argwohnen. Allein wir hatten gar keinen anderen Gedanken als Bußethun und Heiligwerden.“

Daß übrigens der Argwohn der frommen Väter nicht ohne Grund war, erfuhr Bronner nur zu bald bei Aufführung einer geistlichen Oper durch die Schüler, wo sich hinter den Coulissen Dinge ereigneten, deren Entdeckung zur schimpflichen Ausweisung von sieben Schülern führte.

Selbst die Beichten wurden für die Phantasie der heranwachsenden Knaben gefahrvoll. Der Beichtvater, dem fast alle kleinen Studenten beichteten, fragte sie so scharf aus, forschte so lange, ob sie nicht so oder so gesündigt hätten, bis sie mit Vergehungen vertraut waren, von denen sie vorher nichts geahnt hatten. Ueberdies konnten sie der Versuchung nicht widerstehen, in casuistischen Büchern die für ihre Neugier anzüglichsten Stellen aufzusuchen und mit dem Lexikon in der Hand sich über Dinge zu unterrichten, die ihnen sicher unbekannt geblieben wären.

Als begabter und fleißiger Schüler rückte Bronner schnell von Classe zu Classe auf, lernte auch mit Hülfe eines Buchbinders, der Bücher aus der Fremde verschrieb, die besten damaligen deutschen Dichter (Klopstock, Gellert, Uz, Hagedorn, Ramler) kennen, las daneben fleißig die lateinischen und machte seine ersten eigenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_053.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2020)
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