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Seite:Die Gartenlaube (1871) 055.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


und er wählte, nach der Sitte, wonach der Primiziant als „geistlicher Hochzeiter“ gilt, sie als „Braut“.

Nach der Rückkehr aus weltlichen und aufgeklärten Umgebungen fand Bronner die Gewöhnung an die mönchische Lebensart doppelt schwer; besonders lästig war ihm der Chorgesang. Wie in allen Klöstern standen sich zwei Parteien, die der Alten und der Jungen, feindlich gegenüber. Die Ersteren hielten auf langsames Tempo, die Anderen auf schnelleres, täglich suchten beide Theile in einer Art von Stimmenkampf einander zu überschreien, und in den Zwischenpausen der Psalmenverse hörte man Verwünschungen ausstoßen. Eine Vormittagsstunde war für Anhören oder Lesen einer Messe bestimmt. Oft wurden Bronner von armen Leuten sauer ersparte kleine Summen geboten, um Messen für sie zu lesen; erbot er sich, es umsonst zu thun, so hatte das nur die Folge, daß die Leute ihr Geld einem andern Priester zutrugen. Von seinen neuen priesterlichen Obliegenheiten gelang ihm das Predigen zu seiner Zufriedenheit, das Beichtsitzen aber ermüdete ihn und ekelte ihn bald an.

Trotzalledem würde er dies Leben vermuthlich noch lange ertragen haben, wäre er nicht durch äußere Umstände zu einem Entschluß gedrängt worden. Der Prälat, dessen Hauptfehler Verschwendung und Spielsucht war, hatte sich in Schulden gestürzt; ein dem Kloster zugefallenes Vermächtniß hatte er wahrscheinlich schon angegriffen, um sie zu bezahlen; er verlangte nun, daß das Kloster diese Gelder als unkündbares Capital übernehmen und mit vier Procent verzinsen sollte. Bronner protestirte, da das Kloster hinreichende Einkünfte habe und der Zinsfuß zu hoch sei; der damals übliche war drei Procent. Dieser Protest bewog die Mehrheit, gegen den Vorschlag zu stimmen, aber Bronner war selbstverständlich fortan in erklärter Ungnade des Prälaten, und seine Stellung zu den übrigen Mönchen mit einem Schlage verändert. „Denn in Klöstern geht es beinahe wie an Höfen; wer in Ungnade fällt, ist der Ball jedes Buben und ein Scheusal für jede kriechende Seele. Trieben Neid und Scheelsucht bisher nur hinter meinem Rücken ihr Spiel, so wagten sie jetzt dreist, mir unter das Angesicht Hohn zu sprechen.“ Der Prior behandelte ihn äußerst strenge, die Mönche verspotteten, neckten und verketzerten ihn; sein Zustand wurde unleidlich, und als ein Mißverständniß ihn glauben machte, seine Geliebte sei seiner unwürdig, führte er in einer Art Verzweiflung den Entschluß aus, dem ihm nun ganz verhaßt gewordenen Kloster zu entfliehen.

Die späteren Lebensschicksale Bronner’s mögen hier wenigstens eine kurze Erwähnung finden. Er floh im Jahr 1785 nach Zürich, wo er sich durch Notensetzen in der Orelli’schen Druckerei das Leben fristete. Bald machte er die Bekanntschaft des von ihm hochverehrten Idyllendichters Salomo Geßner, der ihm viel Theilnahme bewies und ihn zum Dichten ermunterte. Doch sein Prälat ließ ihm die lockendsten Versprechungen machen, wenn er zurückkehre: er solle völlig straflos bleiben, vom Mönchthum dispensirt werden etc.; und der schwache Mann ließ sich durch die Aussicht auf eine Pfründe zur Rückkehr bewegen. Aber in Augsburg, wo ihm sein Aufenthalt angewiesen wurde, hielt man ihn hin und gab ihm endlich 1789 eine kärgliche Stelle als Registrator bei einer geistlichen Kanzlei. Er überzeugte sich zuletzt, daß er vergebens hoffe, und entfloh zum zweiten Mal 1793. Wieder wandte er sich nach der Schweiz, gab in Zürich seine Fischergedichte heraus, und versuchte dann in der französischen Republik eine Anstellung als Geistlicher zu finden; bald aber überzeugte er sich in Colmar, daß unter der Herrschaft des Terrorismus und des Cultus der Vernunft für die Verwirklichung seiner Ideale kein Raum war. Er war froh, sich nach der Schweiz zurückretten zu können, wo er mit Ausnahme der Jahre von 1810 bis 1817, die er als Professor in Kasan verlebte, sein übriges Leben als Lehrer zubrachte, und hochbetagt (erst im Jahre 1850) zu Aarau beschloß.

Fr.




Blätter und Blüthen.

Alexander Dumas, der berühmte Dichter der „drei Musketiere“ und des „Grafen von Monte-Christo“ hat das Leben in aller Stille verlassen. Die Nachricht von seinem Hinscheiden lief nur als flüchtige Notiz durch die Zeitungen, dann war sie auch schon von dem gewaltigen Kanonendonner der Schlachten an den Ufern der Loire und von dem Lärm der Kämpfe unter den Mauern von Paris übertönt. In einer Dorfkirche, nahe bei Dieppe, am Strande des Meeres, wohin der Dichter vor den Riesenstürmen der Zeit geflüchtet, war er ohne allen Prunk begraben worden, er, der Glanz, Herrlichkeit und Aufsehen so sehr geliebt und gewiß gehofft hatte, noch ein letztes Mal durch ein prunkvolles Leichenbegängniß mitten durch die breiten, volkgefüllten Straßen der „heiligen Stadt“ die Aufmerksamkeit von Paris, die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu lenken.

Die Erfüllung dieses Wunsches blieb ihm versagt, und gewiß, es liegt ein eigenthümliches Geschick darin, daß derjenige, der als ein Hauptförderer der Verkommenheit der französischen Gesellschaft so hochberühmt, gefeiert und den glänzendsten Namen angereiht war, gerade jetzt, da diese ganze französische Wirthschaft und Gesellschaft krachend und berstend in sich zusammenbricht, still, unbeachtet und halbvergessen von hinnen gehen muß.

Doch – „von den Todten nur Gutes!“ Nun, ich möchte nichts „Böses“ von dem Todten sagen. Er war gut, sehr gut; ich denke, nie ist ein Freund in der Noth zu ihm gekommen, ohne daß ihm geholfen worden wäre, wenn eben Geld oder sonst das Nöthige vorräthig war. Aber – einmal trat ein Mann, mit hohem Namen angemeldet, bei Alexander Dumas ein; und als sie Beide sich gegenüberstanden, sagte Dumas, halb lustigen Blickes, halb verdutzt: „Ah, das sind Sie, Herr So und so?“ Es war sein Schneider. Er hatte zehnmal angefragt, immer war Dumas nicht zu sprechen gewesen. So hatte der Schneider sich zu der kleinen Lüge verstiegen, sich als Marquis de Poussignac anmelden zu lassen. Das hatte geholfen. –

„Sie wollen Geld haben,“ sagte Dumas, „aber ich habe jetzt keines.“

„O, bei Leibe nicht, lieber Herr Dumas; „aber ich weiß, daß Sie nie Geld für Unsereins haben. Aber ich bitte Sie, geben Sie mir eine Anweisung auf Ihren Buchhändler, auf eine Zeitung, oder einen Wechsel, ich muß so Etwas haben, denn ich bin in der größten Verlegenheit.“

„Einen Wechsel?“ frug Dumas lächelnd. „Was wollen Sie damit?“

„Ich kann ihn in Zahlung geben.“

„So! Das hätte ich nicht gedacht. Aber der Curiosität wegen werde ich Ihnen einen Wechsel geben.“

Er nahm ein Blatt Papier, fing an zu schreiben, der Schneider sah ihm über die Schulter und sagte: „Herr Dumas, ein Wechsel von zweitausend Franken muß auf einem Stempelbogen von zwei Franken stehen –“

„Stempelpapier habe ich nicht,“ sagte Dumas.

„Hab’s mir gedacht,“ erwiderte der kluge, vorsichtige Schneider, „und hab’ deswegen welches mitgebracht.“

Mit Grazie überreicht er das Blatt dem Dichter, der es lachend hinnahm. Dann dictirte der Schneider die Form des Wechsels, und Dumas schrieb’s, wie jener es wünschte.

Der Schneider mußte doch wohl sicher sein, den Wechsel in Zahlung geben zu können, weil er so fröhlich war, als er denselben in seinen Händen hatte; Dumas aber sagte lächelnd, als er das Blatt hingab, das unter Umständen für ihn doch verhängnißvoll werden konnte:

„So, das Papier war zwei Franken werth, so lange es unbeschrieben war. Jetzt ist’s Nichts mehr werth! Bon jour, mon ami.“

Der Zufall wollte, daß ich eines Tages in Paris in einer quasiliterarischen Gesellschaft eine Dame traf, die, auffallend gekleidet, einst schön gewesen sein mochte, jetzt sich nur noch durch ihre kecke und laute Sprache und ein ziemlich ausgesprochenes, dem Blicke preisgegebenes Embonpoint auszeichnete. Geist hatte sie nicht, aber ein gewisses Gehenlassen, das ihr jung einen Reiz gegeben haben mochte, das sie jetzt als vollkommen geschmacklos erscheinen ließ. Es war Madame X., vor ein paar Tagen noch war sie Madame Dumas gewesen. Sie hatte eine Art restitutio – natürlich nicht in integrum – über sich müssen ergehen lassen. Dumas hatte sie in Gnaden entlassen, sie war Madame Dumas auf Wartegeld, Madame Dumas außer Diensten, wie man bei alten Generalen sagt.

Gegen Mitternacht, als nur ein kleinerer Kreis noch übrig war, wurde sie gesprächig; sie erzählte von Alexander. Aber ich mußte stets an den guten Gottfried Börne’s denken, dem ich einmal begegnete, als er nach Börne’s Tode Bedienter bei Meyer-Beer war, und den ich ausfragen wollte, um etwas Charakteristisches von Börne zu hören. Aber er wußte Nichts zu sagen, als daß Börne viel besser gewesen sei als Meyer-Beer, da Letzterer viel strenger fordere, daß kein Stäubchen auf dem Rock und die Schuhe und Stiefel wie Spiegel glänzen müßten.

„O, da war Herr Börne doch viel guter!“ seufzte schließlich der gute Gottfried, der eine so große Rolle in Börne’s Pariser Briefen spielte.

Und so ging es Madame Dumas außer Diensten. Sie konnte nicht genug erzählen, was er für ein „guter“ Mann gewesen, ihr Alexander. Er habe ihr nie den geringsten Kummer gemacht, was sie gewünscht, habe sie bekommen, und noch jetzt bekomme sie, was sie wünsche, von ihm.

„Aber wie kommt es denn, daß er Sie verlassen hat?“ sagte ein vorwitziger Blaustrumpf.

„Verlassen? Er hat mich nicht verlassen. Er hat mich nur ausgemiethet, mir eine prachtvolle Wohnung herrichten lassen, und mich gebeten, sie zu beziehen.“

Wir lachten; der wißbegierige Blaustrumpf aber wollte genau wissen, weswegen denn Alexander Mad–, fast hätte ich den Namen genannt, doch nomina sunt odiosa – also Madame Dumas außer Dienst und auf Wartegeld gesetzt habe. „Gründe, Gründe!“ frug sie wie Falstaff.

„Gründe hatte er keine,“ antwortete Madame, „aber ich vermuthe, ich war ihm – zu fett geworden. – Lachen Sie nicht,“ setzte sie hinzu. „Sie haben Madame X. gekannt, die jetzt in Italien lebt, und Madame Y., die in den Pyrenäenbädern heute eine Rolle spielt, Beide wurden fett, und – dann hat Alexander sie entlassen.“

Es ist nicht zweifelhaft, die moralische Fäulniß unter dem Kaiserscepter Napoleon’s des Dritten ist die Ursache, daß Frankreich so schauerlich zusammenbrechen konnte. Aber das Kaiserthum Napoleon’s des Dritten ist in dieser Beziehung doch nur der Erbe des Julikönigthums, oder besser der Fäulniß, die unter diesem überall gehegt wurde und dann Alles so untergrub, daß in ihr auch Napoleon den Boden für seine Schöpfung fand.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_055.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
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