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Seite:Die Gartenlaube (1871) 058.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


wie gefesselt von dem Anblick des vor uns ausgebreiteten Bildes, dem der Sonnenuntergang mit seinen magischen Tinten eine wunderbare Schönheit gab. Als wir endlich den Rückweg antraten, dämmerte es bereits; das schwierige Niedersteigen auf unserem Bergwege, wobei sich Fräulein Blanche mit einer gewissen Zerstreutheit oder, um es so auszudrücken Traumverlorenheit ganz meiner Führung überließ, nahm eine geraume Zeit in Anspruch. Als wir endlich unten angekommen waren, flammte uns Licht aus dem Pavillon entgegen; durch die offene Eingangsthür sahen wir eine brennende Lampe, die einen gedeckten Tisch beleuchtete. Friedrich, schien es, hatte das Alles ganz hübsch arrangirt; der Einfall, ein hellprasselndes Kaminfeuer in dem kleinen Salon anzuzünden, rührte jedoch wohl von den Pächtersleuten her. Jedenfalls erhöhte es bedeutend die Behaglichkeit des hübschen, mit einer bescheidenen, aber zum Bewohnen völlig hinreichenden Einrichtung versehenen Raumes. Wir nahmen an dem runden Tische in der Mitte Platz, der Abbé machte die Honneurs des kleinen Mahls und schenkte mir dabei von einem feurigen Burgunderwein ein, der nach unserer mühsamen Fußwanderung doppelt verführerisch war. Fräulein Blanche aß und trank wenig; sie wandte sich bald ab, der Flamme zu, in deren Flackern und Prasseln sie blickte; sie überließ uns Männer unserer lebhaften Unterhaltung, die der Abbé mit großer Redseligkeit im Schwunge hielt; es schien, als ob der feurige Burgunder ihn völlig aufgethaut habe. Nur zuweilen streifte mich Fräulein Blanche mit einem wie forschenden Blicke, der nichts dazu beitrug, das Gefühl von innerem Glücke zu mindern, das ich in dieser meiner traumhaften Situation empfand. Denn war es nicht in der That, als ob ich mich in einem Traume befinde – hierher in dies stille ferne Felsenthal gezaubert, wo das Rauschen der Tannen im Abendwinde und das Schäumen des nahen Berggewässers und das Prasseln der Kaminflamme sich zu einem eigenthümlichen Liede von dem Zauber der fernen Fremde verband, und Fräulein Blanche mit ihrer hinreißenden Schönheit als die Zauberin dasaß, mit der der bewegte Schein der Kaminflamme im neckischem Spiele scherzte, der das Tannenrauschen seine geheimnißvollen Weisen vorsang, der das Gurgeln und Schäumen des Gewässers dunkle Kunde zurief vom Leben und Weben da draußen im tiefen Gestein, von Allem, was sich berge in den dunklen Felsklüften?

Ich muß gestehen, ich hatte nie in meinem Leben eine Stunde, in welcher ich das Herz so erfüllt fühlte von der Poesie romantischer Schwärmerei, von so süßer Traumseligkeit, von solchem Glückvertrauen.

Ach, weshalb mußte so bald Friedrich in der Thür erscheinen und mir Blicke voll stummer Mahnung zuwerfen? Aber freilich, er hatte Recht; es war sicherlich sehr spät; ich sah nach der Uhr; sie zeigte Zehn und ein Viertel! Das war freilich mehr, als ich erwartete!

Der Abbé füllte mein Glas und reichte auch Friedrich eines, als ich an den Aufbruch gemahnt; dann sah er nach seiner Uhr und sagte:

„Es wird halb elf Uhr werden, bevor die Pferde eingespannt sind und wir abfahren können. Wir haben bis nach Hause zwei Stunden zu fahren; wir würden also erst um halb ein Uhr ankommen. Was denken Sie dazu, Blanche?“

„Wenn es so spät ist, können wir nicht mehr heimfahren,“ versetzte sie. „Wir dürfen nicht mitten in der Nacht die Mutter stören … sie hatte gestern eine so üble Nacht, wir dürfen ihr den stärkenden Schlaf der jetzigen nicht rauben!“

„Sie haben Recht, Cousine,“ fiel der Abbé eifrig ein, „wir sind ja hier wohl aufgehoben. Wozu noch heimkehren?“

„Aber ich darf nicht über Nacht meinen Posten verlassen,“ warf ich ein wenig erschrocken über diesen Entschluß ein.

„Ihr Posten ist in vollständiger Sicherheit in Chateau Giron,“ antwortete der Abbé; „ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß ihm Nichts geschehen wird. Deshalb unterwerfen Sie sich ruhig der Entscheidung unserer Dame. Wir haben wohl eingerichtete kleine Schlafzimmer hier, genug für eine größere Gesellschaft, als wir drei bilden; sehen Sie hier das Ihre!“

Er stand auf und öffnete eine Seitenthür; es war ein ganz hübsches Schlafcabinet, mit einem Bett in einer Mauervertiefung, worin er mich blicken ließ.

Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich schon viel zu sehr im Bann meiner Zauberin lag, um lebhaften Protest zu erheben. Wer hätte auch eine solche Stunde abkürzen mögen, ehe es nöthig; wer das Motiv, daß die leidende Mutter so spät nicht gestört werden dürfe, bekämpfen können. Ich ließ mich bereden, ich leerte das neugefüllte Glas; ich nahm, da Fräulein Blanche zuredete, auch die Cigarre, die der Abbé mir bot. Wir begannen von Neuem zu plaudern; aber sehr bald schon erhob sich Fräulein Blanche, um uns gute Nacht zu wünschen und sich in das Mansardenstockwerk nach oben zurückzuziehen, wo ihre Gemächer lagen; der Abbé hatte für sich ein ähnliches Cabinet wie das meinige und diesem gegenüber zur Seite des Salons liegend.

Blanche warf, als sie an mir vorüberging und mir mit einer Verbeugung gute Nacht wünschte, einen ganz eigenthümlichen Blick auf mich.

Seltsam – es lag etwas von Mißvergnügen, Unzufriedenheit, fast möchte ich sagen Verachtung in diesem Blick und den dabei leise aufgeworfenen Lippen … was hatte ich verbrochen?

Der Zauber der Stunde war verschwunden, als sie gegangen; ich ward still, ich ließ den Abbé reden, und als er mich aufforderte, ebenfalls die Ruhe zu suchen, beeilte ich mich, ihm zu gehorchen. Friedrich, der sich in der Nähe der Thür aufgehalten, war sofort zur Hand, mir beim Auskleiden behüflich zu sein, und wir waren bald in meinem Schlafcabinet allein.

„Die haben’s gleich darauf angelegt, uns hier zu halten!“ sagte Friedrich.

„Glaubst Du? Und woran siehst Du das?“

„Sehen Sie’s nicht … das Bett ist ja aufgemacht, die Spreite abgenommen; das muß die Pächtersfrau, schon ehe wir kamen, gethan haben.“

Ich setzte mich und blickte das aufgemachte Bett mit der fortgenommenen „Spreite“, wie Friedrich das nannte, sehr tiefsinnig fragend an.

„Was denkst Du, Friedrich?“ sagte ich.

„Daß man uns aus unserer Wohnung forthaben wollte und daß dort jetzt etwas geschieht, was wir, wenn wir da wären, vielleicht nicht geschehen ließen.“

„Glauroth wird die Zimmer nicht verlassen!“

„Ob auch über Nacht nicht? Wer weiß! Und er ist allein!“

„Ah bah!“ sagte ich, „ich bin überzeugt, daß dies Mädchen nicht daran denkt, mich betrügen zu wollen! Ich möchte die Hand darauf in’s Feuer strecken, daß sie nicht so arge Perfidie begehen kann …“

„Und bauen Sie so auch auf die Ehrlichkeit des Herrn Abbé?“

„Der Herr Abbé ist kein großes Licht, Friedrich, und thut, was das Fräulein will. Im Uebrigen kommt es ja auf das Alles nicht im Mindesten an. Meine Dienstpflicht verlangt, daß ich nicht über Nacht von meinem Posten fort bin; also mag dies Bett aufgemacht sein, wann und wozu es will, es ist sicher, daß ich nicht darin schlafen werde; wir müssen marschiren, Friedrich, und das sogleich.“

„Wir werden heimkehren?“ rief Friedrich aus.

„Hast Du daran gezweifelt?“

„Herr Vicewachtmeister, es ist ein sehr langer Spaziergang durch die Nacht!“

„Freilich; aber die Nacht ist ziemlich hell und der Weg gut. Also komm!“

„Ohne Abschied?“

„Sollen wir sie stören und erschrecken und am Ende gar zwingen, aus Höflichkeit auch heimzukehren, was sie doch ungern thun? Geh’ hinüber, sag’ den Leuten auf dem Pachthofe, wir seien gezwungen, heimzukehren; bring’ mir bei dieser Gelegenheit meinen Ueberzieher, der im Wagen liegt, und folge mir damit. Ich gehe vorauf.“

Ich nahm Mütze und Handschuhe und verließ möglichst geräuschlos den Pavillon. Friedrich eilte davon und hatte mich sehr bald, nachdem er meinen Auftrag ausgeführt, wieder eingeholt.

Wir schritten rüstig vorwärts. Es war kein Mondenschein, der Himmel auch nicht wolkenfrei, doch sternenhell genug, daß wir unsern Weg und die nächsten Umgebungen deutlich erkannten. Die Kühle der Nacht erleichterte das Gehen; so wanderten wir in einem wahren Attaquenschritt voran, die Säbel in den Scheiden um des leichteren Gehens willen geschultert, mit den Sporen auf dem Chausseepflaster, das bis in das Felsenthal von Colomier sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_058.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
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