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Seite:Die Gartenlaube (1871) 059.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


erstreckte, klirrend. Der Bergfluß rauschte rechts neben uns, unter uns; von links her verdunkelten die Felswände unsern Weg; – ein leiser Zugwind, der das Thal durchstrich, flüsterte in den Bäumen, Stauden und dem Gestrüpp auf den Bergwänden oben.

So waren wir eine halbe Stunde geschritten; wir näherten uns dem Weiler mit der Mühle, dessen ich erwähnt habe; er lag friedlich, lautlos, wie in den tiefsten Schlummer begraben da; aber zu meiner Ueberraschung sollten wir nur zu bald den Beweis erhalten, wie sehr wir uns über diesen Schlummer täuschten. Als wir die Mühle passirt hatten und bereits dem Ende des Ortes nahe gekommen waren, wo die Chaussee eine Wendung machte, sahen wir einen breiten Streifen Licht auf unsern Weg fallen. Er kam aus einem größeren, dem letzten oder vorletzten Hause, dessen Thür offen stand; wir hörten laute, durcheinander eifernde wie trunkene Stimmen; zugleich stürzte sich ein Bauernhund aus der offenen Thür uns mit wüthendem Gebell entgegen; dies lockte ein paar Männer in blauen Blousen mit den Ledergürteln der Franctireurs auf die Schwelle; wir mußten durch die Lichtzone vor ihnen an dem Hause vorüberschreiten; sie erkannten uns, sie erhoben ein Geschrei, stürzten in’s Haus zurück, in dem ein unbeschreiblicher Lärm folgte – wir beschleunigten natürlich auf’s Aeußerste unsern Schritt, im Gehen unsere Säbel, die einzigen Waffen, die wir führten, lockernd; aber wir waren nicht vierzig Schritte weiter gekommen, als ein Schuß fiel, eine Kugel über uns dahin pfiff – dann noch eine, dann zwei, dann ein halbes Dutzend – mir war, als erhielte ich eine flüchtige Berührung am linken Oberarm; im Uebrigen waren die Kugeln harmlos, sie pfiffen weit über unseren Köpfen in die Luft dahin.

Friedrich’s Fortbewegung war längst aus dem Schritt in den gestrecktesten Trab übergegangen – in der That war an Widerstand wider einen solchen Haufen Menschen mit Feuerwaffen nicht zu denken; ich sprang ihm nach, und wieder an der Seite meines Begleiters, rief ich ihm zu:

„Am Ende werden wir doch getroffen, wenn wir ihnen sichtbar auf der Chaussee bleiben – wir müssen uns trennen – lauf’ Du rechts, ich will mich links durch die Weinberge da oben retten!“

Wir hatten eben ein links von der Chaussee zwischen dieser und den Bergwänden schräg auflaufendes Terrain erreicht – ich warf mich da hinein und eilte zwischen den hindernden Rebenpfählen, durch Rankenwerk, über kleine Scheidemauern der Weingärten, über hundert Hindernisse fort … ich hatte wenigstens die Sicherheit, daß ich nicht gesehen wurde und so dem weitern Feuer der Verfolger nicht ausgesetzt sei; aber ich hatte freilich die schwierige Aufgabe, trotz aller meiner Hindernisse schneller zu sein als sie, die die freie Chaussee vor sich hatten – ich hörte sie mit Schreien, und Rufen da unten laufen und rennen.

„Schießt – schießt – schießt auf die Hunde – schießt – Tod den Prussiens!“ hörte ich sie unter mir brüllen; nach einer Weile fielen wieder zwei Schüsse, die aber, wenn sie nicht etwa auf Friedrich gezielt worden waren, völlig in’s Blaue gingen; ich vernahm wenigstens nichts von den Kugeln; das Alles jedoch war völlig hinreichend, um mich mit dem äußersten Aufgebot meiner Kräfte über den fatalen Boden von Kies und Geröll, der gar keinen festen Schritt thun und mich alle Augenblicke wider die Rebenpfähle anfahren ließ, weiter zu rennen. Ich mußte, um mich zu retten, durchaus das Ende dieser Weinpflanzungen eher erreichen als meine Verfolger; kam ich später als sie an, mußte ich vor ihren Augen wieder auf die Chaussee hinunter, so war ich verloren.

Es war eine entsetzliche Jagd. Ich war zuweilen, wenn ich das wüste Gerufe der Franctireurs hörte, nahe daran, das Wettrennen aufzugeben und mich niederzuwerfen, mit der Hoffnung, daß sie mich da ruhig liegen lassen würden, um weiter zu rennen. Aber ich hörte hinter ihnen dann den Hund bellen; die Bestie würde mich gewittert haben; ich mußte weiter, mit schon halbgebrochener Kraft, mit geschwundenem Athem, vorwärts, so lange meine Kniee mich trugen!

Zum guten Glück war die von Weinbergen bedeckte Terrainstrecke lang – vielleicht eine Viertelstunde und noch länger; als ich das Ende erreicht hatte und nun einen steilen Hang, der zur Chaussee niederführte, hinab mehr stolperte oder flog als lief, hatten meine Verfolger die Jagd aufgegeben; ich hörte nichts mehr von ihnen als nur dann und wann das Anschlagen des Hundes – es schien, sie kehrten zu ihrem Weiler, ihrer Schenke zurück, und ich konnte aufathmen!

Vergebens sah ich mich nach meinem Burschen um. Ich lauschte … dann rief ich halblaut – lauter … aber nichts war zu hören. Ich schritt eine Weile langsam fürbaß; dann rief ich wieder – endlich antwortete mir ein leifer Pfiff, der unser Signal „Sammeln!“ nachahmte. Erfreut antwortete ich; ein „Ich komme!“ schallte von drüben des Flusses herüber. Rasch ging ich zum Gewässer hinab; als ich den Rand erreicht, sah ich von der andern Seite her Friedrich tapfer hineinstapfen, – das Wasser reichte ihm bis an die Kniee und schäumte um seine Schenkel; ich streckte ihm meine Säbelscheide entgegen; er ergriff das Ende, und im nächsten Augenblicke war er glücklich an meiner Seite.

„Gott sei Dank, daß Sie heil und lebendig geblieben,“ sagte er aufathmend. „War das ein Dauerlauf! Ich habe mich, als wir auseinanderliefen, gleich durch das Wasser gestürzt; ich wußte schon, die Kerle würden’s mir nicht nachmachen! Das Franzosenzeug hat etwas von der Katzennatur, durch’s Wasser geht es nicht, und wenn’s regnet, läßt es die Ohren hängen! Diese verfluchte Spitzbubenbande! Ich danke nur dem Himmel, daß ich Sie so bald wiedergefunden habe; Sie haben wohl heillos Fersengeld gegeben! Sie waren mir im Nu aus den Augen, als unser Rennen anging; ich machte mir schon bittere Vorwürfe, daß ich Sie verlassen habe, als ich Sie oben nicht gleich wiederfand; wenn Ihnen etwas zugestoßen wäre … aber Gottlob, wir sind heiler Haut diesem tückischen Räubergesindel entkommen.“

Friedrich sprudelte das Alles in großer Aufregung hervor, während wir von dem Bachufer aufwärts gingen, um die Chaussee wieder zu erreichen.

Ich sagte, im Gehen ein wenig hinter ihm zurückbleibend, weil ich mich plötzlich furchtbar ermüdet fühlte: „So heiler Haut bin ich, fürcht’ ich, nicht davongekommen … ich fühle einen schändlichen Schmerz an meinem linken Oberarm; ich glaube, daß es weniger ein harmloser Rheumatismus in Folge der Nachtkühle als die Wirkung einer Chassepotkugel ist, die ich ganz ohne Absicht und bösen Willen in der bekannten ‚rasanten Flugbahn‘ gestört habe!“

„Ah … Sie sind doch nicht verwundet? Lassen Sie mich sehen!“ rief Friedrich erschrocken aus.

Ich lauschte, bevor ich stehen blieb; es war nicht das mindeste Geräusch mehr zu hören … nur ganz in der Ferne das Bellen des Hundes noch, und unter uns das Rauschen des Flüßchens. Wir konnten ruhig innehalten und uns die Zeit gönnen, meinen Arm zu untersuchen.

Die Entfernung meiner Kleider bereitete mir einen doppelt heftigen Schmerz; Friedrich führte Zündhölzer in der Westentasche; als er ein paar entzündet, nachdem ich das Hemd von der Schulter niedergezogen und langsam vom Oberarm gelöst hatte, entdeckten wir eine Streifschußwunde, die nach Allem, was ich fühlte, durchaus nicht tief gehen konnte, aber recht häßlich aussah und schmerzte. Friedrich stürzte fort, um in seiner Mütze Wasser zu holen und mir damit den Oberarm zu waschen; dann diente mein Taschentuch zum Verband; ich zog die Kleider darüber, Friedrich ließ sich nicht nehmen, aus seinem Taschentuch mir eine Binde zu machen, in welcher ich den linken Arm tragen mußte; den rechten schob er unter den seinen, damit ich mich darauf stützen und von ihm führen lasse … und nun schritten wir auf’s Neue in die dunkle Nacht hinein.

Friedrich war ein anstelliger und gewandter Mensch, der aber wie eine Million Anderer so ziemlich roh und unbekümmert in den Tag hineinlebte. Und doch war er plötzlich wie ein Bruder für mich, doch entwickelte er eine Theilnahme, einen Eifer, zu helfen, eine Sorge, die mich mit einem Gefühle der Rührung erfüllte. Wie viel Güte, Brüderlichkeit, aufopfernder Hülfseifer und warme Theilnahme schlummert für uns in den Herzen von Tausenden, nein, von fast allen, von der großen Mehrzahl der Menschen, und ist hier immer und fortwährend vorhanden, wenn sie auch nur sich verrathen und erwachen in dem Augenblicke, wo es sich ihnen aufdrängt, wie sehr wir ihrer bedürfen! Und weil der Krieg Tausende solcher Augenblicke schafft, ist er, der roh macht und verwildert, auch wieder ein großes Apostolat des Gemüthes, eine Aussaat der Brüderlichkeit und Menschenliebe, wie es keine stärkere auf Erden giebt. Ich habe in der That nirgendwo mehr Fähigkeit gefunden, weicheren Gemüthseindrücken nachzugeben, als unter – Soldaten!

Wir erreichten das Ende unseres Felsenthales und gelangten in das weitere Thal des Oignon. Das kalte Wasser hatte meine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_059.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
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