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Seite:Die Gartenlaube (1871) 061.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

engsten Zusammenhange zu dem, was ihm sein Vaterherz erfüllte und bewegte, denn es schilderte in Bild und Reim eine Reihe von Scenen aus der „Kinderstube“, und das mit so rührender Innigkeit, so wahr, so innig und so reizend, wie es nur ein Mann vermochte, welcher in Haus und Familie lebt und webt, der darin seine Welt, den Mittelpunkt seines Fühlens und Denkens, seines Waltens und Sorgens findet. Zwar meinte der bescheidene junge Künstler in dem Widmungsgedichte des Büchleins, er sei nur

„ – – – ein Landwehrkanonier,
Der besser mit Kanonen schießt,
Als Reim und Poesie ihm fließt.“

doch, die militärischen Qualificationen unseres Artilleristen in Ehren, das Publicum war der Ansicht, an gleichtüchtigen Landwehrbombardieren möchte die große preußische Armee vielleicht keinen Mangel leiden, gleich treffliche Maler und Poeten der Kinderwelt aber dürften dem deutschen Vaterlande nicht alle Tage erstehen.

Bald war das Buch mit seinen sechszehn Bildern aus der „Kinderstube“ in Hunderten von deutschen Häusern und in Tausenden von deutschen Kinderherzen heimisch und sein Urheber mit einem Male ein berühmter Mann geworden. Was hatte die Welt bis jetzt von Oscar Pletsch gewußt? Seit Jahren schon hatte derselbe zwar emsig Pinsel und Palette gehandhabt, hatte manches schöne Bild

„– – – gemalt
Für große Leute alt und klug“,

er war trotzdem nichts geblieben, als einer von den vielen Berliner Künstlern, – jetzt aber zog sein Name durch’s Land von Haus zu Haus, und überall, wo der Segen froher Kindervölkchen bescheert war, da glänzten die Augen und jubelten die Lippen, wenn ein neues Bilderbuch von Oscar Pletsch unter dem Weihnachtsbaume lag.

Oscar Pletsch.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

Sehr häufig entscheidet ein glücklicher Wurf über die ganze fernere Laufbahn des Künstlers. So auch bei Oscar Pletsch. Das Büchlein, welches er vor seinem Ausmarsch in’s Lager den Seinen gewissermaßen als Vermächtniß hinterließ, und als „treuer“ preußischer Soldat, den er sich nennt, dem kunstsinnigen kronprinzlichen Paare und dessen erstem Sprößlinge gewidmet hatte – es wirkte bestimmend ein auf seine fernere Künstlerthätigkeit. Nicht Pinsel und Palette mehr sollten fortan seine Conceptionen und Ideen verkörpern, sondern Stift und Buchsbaumplatte; das Gebiet war gefunden, für das ihn die Natur geschaffen und wo seine Lorbeeren grünten, die „goldene Kinderwelt“, die ihm schon immer am besten gefallen. Es war ihm gelungen, wie er selbst so treffend sagt, ihr „Vogelleben einzufangen“ und mit einer Meisterschaft auf dem Papiere zu fesseln, daß dem Beschauer seiner Bildchen der wunderbare Goldduft jener Tage, da „er selber ein Kind war“, wo ihm alle Farben prächtiger glühten und alle Blumen köstlicher dufteten, wo ihm jeder Traum zu einem Himmelsgruße wurde, in der Seele wieder heraufschimmert.

Dem ersten glücklichen Wurfe, dem allerdings die besonderen Umstände und die Aegide, unter welcher er geschah, zu Gute gekommen waren, folgten rasch neue, und bis jetzt war jeder weitere stets zugleich ein Fortschritt gegen den nächstvorhergehenden, was nach einem so glänzenden Debut bekanntlich nicht allemal der Fall zu sein pflegt. Heute, elf Jahre nach dem ersten, sind Oscar Pletsch’s Bilderbücher schon zu einer kleinen Bibliothek angewachsen, deren letzter Band hoffentlich noch recht lange auf sich warten läßt, zu einem „Werke“, das in der Kunstgeschichte seinen charakteristischen und Ehrenplatz behaupten wird. Oscar Pletsch ist im Reiche der Kleinen Meister so gut wie ein Cornelius und Kaulbach in ihrer monumentalen Sphäre. Er ist ein Dolmetsch der Kinderwelt und ihrer kleinen Freuden und Leiden, er hat sich so tief in das Kindergemüth eingelebt, ihm seine Neigungen und Abneigungen, seine Listen und Lüste, seine unschuldigen Geheimnisse und Schelmereien abgelauscht, wie wenige Dichter und Maler vor und neben ihm.

An den Ufern der Spree, im äußersten Nordwesten der mehr und mehr zur Weltstadt erwachsenden Residenz, da, wo, ihrem Lärm und Qualm noch entrückt, augenblicklich ihre letzten Häuser stehen, in einer erst halb vollendeten Straße, der Haidestraße, über deren Lage ich kaum Schutzmann und Droschkenkutscher genügend orientirt fand, hat sich Oscar Pletsch sein Heim gegründet. Er haust dort wie auf dem Lande, hat Licht und Luft und Ruhe, und, das betonte er ausdrücklich, seine kleinen Lieblinge, seine beiden Mädchen, die Modelle zu so manchen seiner reizenden Kindergestalten, können in der unmittelbaren Nähe des freien Feldes, welches das im Bau begriffene Quartier begrenzt, freudiger gedeihen, als drinnen im dunstigen Herzen der Stadt.

Im ersten Stock eines eleganten Hauses zog ich die Klingel.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_061.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
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