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Seite:Die Gartenlaube (1871) 063.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Und seitdem sind Sie in Berlin geblieben?“ forschte ich.

„Noch nicht,“ gab mir der Künstler zur Antwort. „Als ich mein obligates Jahr abkanonirt hatte, eilte ich auf Flügeln der Liebe und der Kunst nach Dresden zurück und suchte meine früheren Erwerbsbeziehungen wieder anzuknüpfen. Es wollte mir indeß nicht gelingen, so daß ich nach ein paar Jahren voller Noth und Aerger – den bittersten meines ganzen Lebens – mich kurz entschloß, mein Heil in der Vaterstadt an der Spree zu versuchen. Aller Jammer aber hatte mich nicht abhalten können, mich zuvor mit dem Weibe meiner Wahl zu verbinden – wir mußten uns ja doch haben!

Und nun mußte mir zunächst der Zeichenunterricht, den ich in verschiedenen angesehenen Häusern ertheilte, das nöthige Brod verschaffen. Da kam es denn, wie Sie sich vorstellen können, nicht viel an das eigentliche künstlerische Schaffen; allein nach und nach fand sich doch auch andere Arbeit ein. Ich lernte einen und den andern Buchhändler kennen und erhielt von ihnen allerhand Werke zu illustriren, Volksbücher, Bibeln und andere Bücher mehr. Zum Glück sind manche dieser meiner Jugendsünden heute vergessen, vielmehr wohl gar nicht bekannt geworden, aber sie brachten mir doch, was ich zunächst brauchte, Brod für mich und die Meinen, wenn ich auch oft bis tief in die Nacht hinein am Zeichenpulte stehen mußte.

Für die Meinen, sage ich. Denn inzwischen war mir ein Kind geboren worden und damit das helle Glück in’s Haus gezogen, wie knapp und karg dies auch noch bestellt war. Wenn es die Mutter zu mir brachte, wenn es seine Händchen um mich schlang, wenn es lachte – Gott im Himmel, ich dünkte mich reicher als König Crösus! Und mit dem Kindchen kam auch wirklich der materielle Segen in unser kleines Haus – die Vater- und Mutterseligkeit, die wir empfanden, sie gab mir jene kleinen Bildchen ein, denen ich meinen Namen und mein bürgerliches Gedeihen in der Welt schuldig werden sollte. Meine weitere Laufbahn kennen Sie ja wohl; Sie wissen, daß ich mein erstes Bilderbuch dem ebenfalls durch ein erstes Kind beglückten kronprinzlichen Paar darbringen durfte, und daß dieser günstige Umstand den Grund gelegt hat zu meinen weiteren Erfolgen. Glauben Sie aber ja nicht, daß ich diese überschätze. Nein, mein Feld ist ein bescheidenes und engbegrenztes, doch hat es seine Berechtigung so gut wie jedes andere und, die Hauptsache, es ist das einzige, auf welchem meine Individualität sich behaglich entfalten konnte. Ich hatte meine Specialität gefunden, und das ist in unserer Zeit der Arbeitstheilung auf allen Gebieten menschlicher Thätigkeit immer ein Glück zu nennen. Daß ich nach Kräften bemüht bin, meinen kleinen Acker zu bestellen und zu pflegen, ihm durch gründlichere Studien und feinere Naturbeobachtung immer reifere und edlere Früchte abzugewinnen, das, denke ich, zeigen die Bücher hier,“ schloß der Künstler seine Erzählung, indem er mir seine verschiedenen Bilderwerke zusammentrug und mit mir durchblätterte.

Es war ihrer eine ansehnliche Reihe und schwer zu sagen, welchem darunter der Preis gebühre, denn alle sprachen gleich zum Herzen. Ist die Zahl der Auflagen hierbei als das maßgebende Moment zu betrachten, so würden vor allen die drei „Was willst Du werden?“, „Kleines Volk“ und „Gute Freundschaft“ hervorzuheben sein, deren allerliebster Bilder wohl die Mehrzahl der Leser sich mit aufrichtigem Vergnügen erinnert. Jede Auflage von Pletsch’s Bilderbüchern begriff aber immer viertausend Exemplare, die oft sofort nach ihrem Erscheinen verkauft waren. Ursprünglich in verschiedenem Verlage veröffentlicht, sind jetzt die Schöpfungen Oscar Pletsch’s, mit wenigen Ausnahmen, in den der bekannten Firma Alphons Dürr in Leipzig übergegangen, deren Chef, selbst ein enthusiastischer Verehrer der deutschen Kunst, sich um ihre Förderung ein hohes Verdienst erworben hat. Für ihn fand ich unsern Maler soeben auch mit einem neuen Werke beschäftigt, dessen Titel ich noch nicht verrathen, von dem ich blos sagen darf, daß es viele unserer gebräuchlichsten Kinderscherze und -Spielereien auf das Heiterste und Sinnigste illustriren wird. Pletsch zeigte mir die bereits vollendeten kleinen Cartonzeichnungen; es waren in ihrer delicaten und eleganten Behandlung wahre Cabinetstückchen, um deren Besitz ich den künftigen glücklichen Eigenthümer, den Verleger, beneiden möchte. Reizendere Crayon- und Aquarellskizzen als diese kleinen kaum handgroßen Bildchen mit ihren lieblichen frischen Kindergesichtchen und dem zumeist nach Motiven aus den Elbdörfern und in der Nähe von Dresden componirten landschaftlichen und baulichen Beiwerke kann man gar nicht sehen!

„Hat Ihr Vater noch die Triumphe des Sohnes erlebt?“ frug ich, indem ich mich erhob und dem liebenswürdigen Maler die Hand zum Abschied reichte.

„Dem Himmel sei Dank, dem guten, lieben Manne, der an meinen Bestrebungen von Anfang an einen so innigen Antheil genommen hat, ist diese Freude noch vergönnt gewesen,“ antwortete Pletsch mit bewegter Stimme. „Er hat auch mein anderes Glück noch erlebt,“ setzte er strahlenden Auges hinzu. „Sehen Sie das da!“

Im Augenblicke ging die Thür auf, und die beiden Töchter des Künstlers stürzten, aus der Schule kommend, jubelnd und liebkosend dem glücklichen Vater in die Arme.

„Das mußten Sie noch sehen,“ fuhr er fort, „denn Oscar Pletsch’s Atelier ohne Kinder wäre eben nicht Oscar Pletsch’s Atelier gewesen!“

Noch draußen auf der Treppe hörte ich die Lust, die drinnen im Zimmer laut war. Ich hatte einen ausgezeichneten und glücklichen Künstler, mehr, ich hatte einen lieben, kindlichen und glücklichen Menschen kennen gelernt – ein Gemüth lauter und sonnig wie seine Bilder aus der Kinderwelt.

H. S.




Die Geburtsstätte des großen „großen Schweigers“.


Der Chef des preußischen Generalstabes, der General von Moltke, theilt mit Homer und anderen berühmten Männern ein gleiches Schicksal: geraume Zeit schrieb man verschiedenen Orten die Ehre zu, die Wiege des größten Strategen der Gegenwart umschlossen zu haben, und fest stand nur das Eine, daß Mecklenburg das Land sei, welches den berühmten Schlachtenlenker zu seinen Söhnen im engern Sinne rechnen dürfe.

Die streitige Frage sollte aber bald zur Entscheidung kommen, und zwar war es die Stadt Parchim, welche ein Jahr nach dem siegreichen Feldzug in Böhmen ihre Anspruchsrechte nach dieser Richtung kurz und bündig zu beweisen und, um alle neidischen Zungen mit Einem Schlage verstummen zu machen, dem „großen Schweiger“, als ihrem Stammesgenossen, das Bürgerrecht zu verleihen beschloß. Den thätigsten Nachforschungen gelang es denn auch, den ehrwürdigen Vätern der Stadt Parchim die unumstößlichen Beweise für ihre Behauptung zu verschaffen und in ihre Hände den Taufschein niederzulegen, welcher sie für alle Zeiten berechtigt, den General von Moltke ihren Landsmann zu nennen.

Der erwähnte Geburtsschein lautet:

„Helmuth Carl Bernhard, ehelicher Sohn des Hauptmanns Friedrich von Moltke und der Frau Henriette von Moltke, geborenen Paschen, wurde hier geboren am 26. October 1800 und getauft am 2. November ejusdem anni.“ Als Taufzeugen und Gevattern sind genannt: 1) der Vater des Kindes, 2) der Kammergerichtsrath Balhorn in Berlin, 3) Johann Paschen in Hamburg, und vertraten die Auswärtigen: 1) der Commercienrath Grapengießer, 2) Dr. med. Becker, 3) der Senator Loescher, Alle hierselbst wohnhaft. Taufender Pastor: H. G. Seidel.

Damit ist es denn wohl außer Zweifel gestellt, daß der Graf von Moltke wirklich in der ehrenvesten, gewerbfleißigen, reichen Stadt Parchim geboren sei, und daß namentlich das Gut Gnevitz bei Tessin, welches gleichfalls in dieser Sache viel genannt worden war, vollständig unberechtigte Ansprüche erhoben habe. Das Gut Gnevitz hat vielmehr der Vater des Generals erst im Jahre 1801 von dem Kriegsrath Cornelius Wilhelm Hagemann gekauft und bezogen, dann aber schon am 30. Juni 1803 wieder verkauft, und zwar an einen Herr von Stralendorf. Wie endlich weitere genauere Nachforschungen noch ergaben, haben die Eltern des Generals zur Zeit seiner Geburt das nämliche Haus bewohnt, welches jetzt in dem Besitz des Bürgermeisters Sommer-Dierssen ist und auch von diesem zur Zeit bewohnt wird. Dasselbe ist seit dem Jahre 1867 durch eine Gedenktafel geziert. Wir bringen dasselbe heute in Abbildung und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_063.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
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