Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1871) 068.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Beethoven endlich am Rockschooße. Verwundert sah sich der Meister um.

„Was giebts?“ sagte er mißmuthig.

„Zahlen!“ schrie der Marqueur. „Warte, du Fuchs, ich werde dich durchgehen lehren!“

Beethoven, der ihn nicht verstand, wollte sich von ihm, den er für verrückt hielt, losreißen; der Marqueur jedoch griff mit seiner Faust nach dem Rockkragen des Widerspenstigen, und es entspann sich ein Kampf, der so laut wurde, daß der Cafétier und dessen Gäste herbeieilten und das Mißverständniß noch rechtzeitig aufklärten. Beethoven war indeß über dieses Intermezzo dermaßen aufgeregt, daß er den nächsten Stellwagen nach Heiligenstadt bestieg und wieder zurück hinausfuhr.

Die fürstliche Soirée bekam also Beethoven nicht zu sehen. Weit größer aber war die Empörung des Cafétiers und der Besucher des Locales über die Brutalität, mit welcher der arme Teufel von einem Marqueur gegen den berühmten Meister verfahren hatte. Die Strafpredigten, die ihm gehalten wurden, hatten sich einer solchen altösterreichischen Derbheit zu erfreuen, daß der im Grunde unschuldige Mensch in den Ausdrücken, die er zu seiner Vertheidigung anzuwenden verleitet war, ebenfalls nicht wählerisch zu sein vermochte. Dies gipfelte die Affaire zu einem solchen Scandale, daß sie nur mit der Abführung des Marqueurs zur Polizei einen Abschluß finden konnte.

Aber die Polizei, gegen welche sich der gereizte unglückliche Bursche widerspenstig benahm, glaubte noch um einige Schritte weiter gehen zu müssen. Die Zustände Altösterreichs gaben dieser Behörde nämlich eine Macht, von der leider Jeder überzeugt wurde, der eben nicht daran glauben wollte. So ging es auch dem armen Marqueur. Nach wenigen Tagen, die er im Polizeihause zubrachte, sah er sich schließlich – zum Militär abgestellt. Dies war lange Zeit hindurch der Canal, durch welchen man in jener Periode „mißliebige“ Personen aus der Gesellschaft entfernte.

Als Beethoven im Laufe der Woche wieder das Café „Zum römischen Kaiser“ betrat, konnte es dessen Besitzer nicht unterlassen, sich bei dem Meister wegen des unliebsamen Vorfalles zu entschuldigen und ihm mitzutheilen, daß Beethoven bereits alle Satisfaction erlangt habe, indem der „freche Bursche“ bereits „die Muskete trage“.

„Und das soll eine Satisfaction für mich sein!?“ rief Beethoven entrüstet aus.

Aber er ließ es nicht dabei bewenden. Unverzögert machte er bei seinen Bekannten in hohen militärischen Kreisen ernstliche und nachdrückliche Schritte, um den Unglücklichen wieder dem bürgerlichen Stande zurückzugeben, was ihm endlich auch gelang, und wahrhaftig nur einem Manne wie Beethoven gelingen konnte, dessen Bedeutsamkeit am Ende doch in allen Kreisen respectirt wurde und von dessen Herzensgüte und Rechtssinn man im vorliegenden Falle ergriffen sein mußte.

Bekanntlich erzählt Schindler in seiner Biographie Beethoven’s von einem Marqueur, dem es Beethoven allein zu verdanken hatte, daß Dr. Wawnuch unaufgefordert dem sterbenskranken, einsamen Meister zu Hülfe eilte, während die dadurch „unsterblich“ gewordenen Doctoren Staudenheim und Braunhofer dies verweigert hatten! Ob dieser Marqueur und derjenige, dessen Geschichte wir hier erzählen, eine und dieselbe Person waren, können wir nicht sagen, glauben jedoch, daß eine Vermuthung dessen nicht ganz ohne Wahrscheinlichkeitsgrund sein dürfte.

Eine „Einladung“ aber, welcher der große Beethoven gewiß nicht ungern Folge gab, war jene, welche am 26. März 1827 in feierlichster Weise – unter Blitz und Donner – von dem Fürsten des Todes an ihn erging: sein müdes Haupt zur ewigen Ruhe hinzulegen!

Wie sehr sich der große Mann nach diesem Momente gesehnt haben mochte, beweisen wohl die Worte, die er acht Tage vor seinem Ende zu seinen Freunden sprach: „Amici, comoedia finita est!“ – Freunde, die Komödie ist zu Ende!




Prinzeß Editha.
Aus meiner Reisemappe von C. Loewenherz.


„Kommen Sie doch und sehen sich meine Sammlung von Originalgemälden an, ich habe die werthvollste in ganz New-York,“ sagte mir der Besitzer dieser Schätze. Wir verabredeten in der Folge dazu den nächsten Tag. – Als ich in die nicht überhelle Mittelhalle des Malerstudio trat, erhob sich aus einem Rococosessel eine Dame, die mir der alte Herr als eine „Damenfreundin“ („befreundete Dame“ wollte er sagen) vorstellte, die er als Kind gekannt habe und die ihn heute, nach Jahren, zum ersten Mal wieder aufgesucht.

Vor Ueberraschung stumm stand ich vor der imponirenden Erscheinung, die mich um volle Kopfeshöhe überragte. Noch nie vorher in meinem Leben war mir ein Bild so vollkommener Schönheit an Form und Farbe, noch die Verkörperung der Majestät und des Adels in solchem Grade begegnet.

Im ersten Moment erinnerte das rundliche, von dichtem kurzgehaltenem Lockenhaar männlich umrahmte Profil, die Modellirung des Kopfes selbst, an das Portrait der berühmten Thiermalerin Rosa Bonheur; aber ein zweiter Blick schon überzeugte mich, daß ich es hier mit einem viel jüngeren, von der Natur auch körperlich viel reicher bedachten Wesen zu thun habe; Bedeutendheit, ja das Gepräge des Ungewöhnlichen war ihrer Art und Weise, dem haltsamen Schnitt der Kleidung selbst nicht abzusprechen und die Gestalt umschwebte ein Hauch von jenem gebietenden und imposanten Etwas, wie wir es, in kindlicher Naivetät, als unbedingtes Kennzeichen königlicher Abstammung erwarten. Das blaue gebietende Auge unter der dunklen Wimper war das einer Maria Theresia, nur in seinem Herrscherblick gemildert durch jenen weichen, selbst träumerischen Schimmer, der auf Seelentiefe schließen läßt. Die üppige Gestalt schien zum Purpur geboren. Die classisch-schönen energisch-geschweiften Lippen erinnerten im Lächeln – in Uebereinstimmung mit der bei ihr nur voller und blühender entwickelten Gesichtsbildung – an den Märtyrer egoistischer Zwecke, den unglücklichen Maximilian, Kaiser von Mexico. Die klare Marmorblässe und die Reinheit des Schnittes an ihnen trug außerdem den Stempel germanischer Abkunft und hoher Vornehmheit. Es war ein prächtiges Machwerk der Schöpfung, eine durchaus einnehmende, ja ich möchte sagen, bezaubernde Persönlichkeit, wie sie die Natur in einer glücklichen Laune und nur allzu selten zu schaffen pflegt.

Das war sie der äußeren Form nach; nach wenigen Augenblicken schon fand ich Gelegenheit, die Biegsamkeit ihres glanzvollen Organs, wie ihren blendenden, beweglich-gewandten Geist zu bewundern, der sich in ihrer durchgebildeten Ausdrucksweise schnell bekundete. Wir plauderten lebhaft angeregt und berührten im Fluge die verschiedensten Themen. Das Feuer einer edlen Begeisterung durchglühte oft ihre Worte, ja ihr ganzes Wesen.

Der Zweck meines Kommens ging darüber verloren, er wurde mir erst in’s Gedächtniß zurückgerufen, als sie im Laufe des Gespräches durchschimmern ließ, daß sie in schönen Wissenschaften und Künsten sich selbst productiv versucht. Da sie endlich auch auf dem Gebiete der Literatur sich schöpferisch erwies, glaubte ich es an der Zeit, ohne Indiscretion sie um Nennung ihres Namens bitten zu dürfen.

Von dem Sessel, in den sie zurückgesunken lehnte, erhob sie sich schnell und stolz; auf dem schönen Munde zitterte ein selbstbewußtes Lächeln, als sie mit ihrer klaren Stimme einfach erwiderte:

„Prinzeß Editha.“

Die zu Tage liegende Absicht der Ueberraschung ging leider für mich verloren. Mir wurde heiß und kalt. Wer war Prinzeß Editha? diese Prinzeß Editha der Republik? die mich mit ihrer fürstlichen Gönnerschaft begnadet, die mich, die Unbekannte, durch ihre huldvolle Leutseligkeit zur eigenen Höhe emporgehoben hatte und die jetzt so stolzbewußt und siegesgewiß wiederholen konnte: „Ja, Prinzeß Editha, das haben Sie wohl nicht erwartet?“

Ich marterte vergeblich mein Hirn – der Gothaer Almanach hatte niemals darin recht haften wollen. Meine Unwissenheit aber offen einzugestehen, schämte ich mich doch. Ich muß dazumal gründlich albern ausgesehen haben. Der alte Gemäldehändler kam glücklicherweise meiner Verlegenheit zu Hülfe.

„Die Dame ist erst von Europa herübergekommen,“ entschuldigte

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_068.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
OSZAR »