Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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Meine innigste Bitte würde an Euer Wohlgeboren nun dahin gehen, womöglich von diesem wahrheitsgetreuen Zustande edle Menschenfreunde zu verständigen, damit Herr Thomas Braun wenigstens momentan eine kleine Unterstützung fände, welcher er nach seiner jammervollen Zuschrift dringend bedarf.
Nach eingezogener Erkundigung ist Herr Thomas Braun ein sehr achtbarer und aufgeklärter Geistlicher, der aber, weil er eben der römischen Curie keinen blinden, jesuitischen Gehorsam leistete, bei seinem Bischof in Ungnade fiel und wie ein unbrauchbares Möbel weggeschleudert wurde.
Ist aber Derjenige noch ein echter Nachfolger unseres Heilands, der seinen Bruder des religiösen Hasses wegen Hungers sterben läßt?! In Deutschland soll ja vom neuen Jahre an Eintracht und religiöse Duldsamkeit herrschen; Glaubens- und Gewissensfreiheit soll ein unantastbares Gemeingut des deutschen Volkes werden; ich glaube, der Geist Jesu Christi und der von ihm gestifteten heiligen Religion müßte aus Deutschland entschwunden sein, wenn wir einen Deutschen seiner Glaubenstreue halber verhungern lassen könnten.
In der Hoffnung, keine Fehlbitte gethan zu haben, und unter den herzlichsten Glückwünschen zum neuen Jahr, zeichnet mit Versicherung vollkommenster Hochachtung etc.“
Soweit unser Gewährsmann, welcher uns ausdrücklich erklärt, daß er für die Wahrheit seiner Aussage jeden Augenblick mit seinem Namen einzustehen bereit sei, und es bedarf denn auch wohl nur dieser Zeilen, um die thatsächliche Theilnahme unserer Leser für den Unglücklichen anzuregen.
Der Bischof von Passau aber hat in neuerer Zeit, wie selbst von seinem König anerkannt worden, einem milderen, versöhnlicheren Geiste gehuldigt, er gehört sogar zu den wenigen deutschen Bischöfen, welche die neuesten Dogmen des vaticanischen Concils vom Jahre 1870 noch nicht in ihren Diöcesen verkünden ließen. Vielleicht erinnert diese Mahnung der Presse den hohen geistlichen Herrn an seinen Gewaltact gegen einen Mann, der nicht mehr gegen den Papst verbrochen hat, als er selbst soeben begeht, und er findet sich hoffentlich bewogen, das so offen begangene Unrecht ebenso offen wieder gut zu machen.
Ein stilles Hauptquartier nannten wir neulich Margency, das Hauptquartier der Maasarmee. Heute erhalten wir von unserm Feldmaler F. W. Heine von dort die Abbildung der Hauptstraße zugeschickt, mit einem ausführlichen, Anfang Januar, kurz vor Beginn des Bombardements geschriebenen Briefe, in welchem es unter Anderem heißt:
„Sie werden gewiß meine Zeichnung vielgestaltig und das Leben auf der Straße munter und bewegt finden. Und doch, an welcher entsetzlichen Langeweile leiden wir Alle, die wir um die Mauern von Paris liegen und nicht im Besitze jener Wundertrompeten sind, die einst die Mauern Jerichos zum Falle gebracht haben! Die sollte uns Jemand auffinden, das würde ein Blasen sein, wie es die Welt noch nicht gehört hat! Wenn nur erst das Bombardement losginge, wäre es auch nur, um in dieses endlose Einerlei unseres Lebens eine nachdrückliche Abwechslung zu bringen! Denken Sie sich, Margency ist ein kleines gewöhnliches französisches Dörfchen, das auf einem von Montmorency aus nördlich längs dem Oisefluß hingestreckten Höhenzuge liegt. Die meisten Einwohner sind geflohen und in ihren Häusern haben wir uns, so gut es eben ging, wohnlich eingerichtet; die wenigen Zurückgebliebenen sind arme Tagelöhner, Handarbeiter, Leute, die hier wie dort nichts zu verlieren haben und so den wirklichen oder vermeintlichen Bedrohnissen einer „Invasion“ ruhig entgegensehen konnten. Industrie und Speculation treiben indeß auch hier ihre üppigen Blüthen, und sie sind es denn auch, welche den Straßen von Margency einige Farbe, einige Bewegung verleihen.
„Fromage – beurre – cognac!“ (Käse – Butter – Cognac) rufen die Händler in langgezogenen Tönen und wollen oder können sich nicht entschließen, die deutsche Benennung zu gebrauchen, die dem „Prussien“ doch geläufiger wäre. So bleibt dem „Prussien“ eben Nichts übrig, als Französisch zu lernen, und so komische Scenen bei diesen Lectionen auf Markt und Straße sich ereignen, so wird man doch einst in Deutschland staunen, wie gewandt der heimgekehrte Krieger mit den Brocken, welche er der Sprache der „grrroßen Nation“ abgelauscht hat, um sich wirft. Jene Händler kommen von allen Seiten, sie ziehen von Dorf zu Dorf und erfüllen mit ihrem Geschrei die Straßen, deren lebhafteste in Margency jüngst von unseren Soldaten zur „Albertstraße“ umgetauft worden ist. Sie ist es auch, die das Dorf durchschneidet und zu dem Schlosse führt, das der Commandirende der Maasarmee, der Kronprinz Albert von Sachsen, bewohnt und dessen Abbildung ich Ihren Lesern bereits vorgelegt habe. Dadurch kommt es von selbst, daß sich hier der meiste Verkehr concentrirt, daß sich hier Alles zusammendrängt, was die Verhältnisse bildet und durch sie hervorgerufen ist: neben der Bäuerin, die auf trägem Esel Lebensmittel zum Markte schleppt, galoppirende Ordonnanzen; neben dem Postschaffner, der die ersehnte „Feldpost“ den harrenden Soldaten zuträgt, ein verkommener Junge vom Stamme Israels, der die letzte, allen Späherblicken glücklich entgangene, halb ausgehungerte Gans einem stämmigen Stabstrompeter aufzuschwatzen sucht, und neben dem mit reicher „Requisition“ heimkehrenden Soldaten vom dreiundneunzigsten Regimente, der „mit dem Stab in der Hand“ einer Heerde Ziegen und Schafe voranschreitet, der Wagen mit Fourage, von drei kräftigen nach französischer Sitte hintereinandergespannten Percherons gezogen. Von der „Albertstraße“, an der auch die Mairie liegt, führt eine Querstraße rechts ab. Sie heißt die „Mittelstraße“ und unterhält hauptsächlich die Verbindung mit Gonesse und Versailles. Die Thürme, welche hier in der Ferne sichtbar sind, gehören zu Montmorency.
So munter aber auch unter Umständen dieses Treiben in der Hauptstraße von Margency erscheinen mag, man kriegt es, wie ich schon am Eingang dieser Zeilen andeutete, zuletzt gründlich satt und ist ungeduldig, wenn man die eine und andere Compagnie schließlich nur ausrücken sieht, um eine Gewehrvisitation oder dergleichen vorzunehmen. Man bummelt durch die Straßen, kennt ein jedes Gesicht, ist von Jedem gekannt (weil ich halb und halb selbst einen integrirenden Bestandtheil der Staffage der „Albertstraße“ bilde, habe ich nicht umhin gekonnt, auch meine werthe Person Ihren Lesern bescheiden im Hintergrunde vorzuführen), und man verzweifelt endlich, von einem traurigen Kaffeehaus, das sich hier und dort mit schlechten Speisen und schlechtem Wein etablirt hat, zum andern wandern zu müssen und trotz aller Nachforschung und trotz allem Sehnen nichts „Neues“ zu erfahren. Die Frage darnach ist das erste Wort, das jeder Begegnende für den andern auf den Lippen hat. Da hört man denn auch wohl immer von einem Ausfall, den die Belagerten „ganz gewiß“ für die nächsten Tage vorbereiten; aber wie „die nächsten Tage“ beweisen, ist Alles nur eitle „Schiffernachricht“ gewesen. Wahrhaftig, in Paris selbst, dessen Häusermassen man auf der Höhe von Daumont deutlich sehen kann, mag es leicht unterhaltender sein als hier.
Bietet aber die Straße Nichts, was den gesunkenen Lebensmuth aufrichten und Einen vom Lebensüberdruß heilen könnte, so bietet die Wohnung, in welcher der Einzelne sein Hauptquartier aufgeschlagen hat, noch viel weniger. Ein trostlos kahles Zimmer, kaum nothdürftig mit den allernöthigsten Meubles versehen, ein abscheulicher Kamin, der, geheizt, keine Wärme, sondern nur beißenden Rauch spendet, daß man das brennende Grünholz gern wieder aus seinem Schlunde zieht – das ist die Umgebung, in der man arbeiten, in der man mit kälterothen Händen zeichnen und „Text“ schreiben soll. Dabei fällt der Schnee, lang und langsam und hüllt Alles in seine weiße, unabsehbare, langweilige Schneedecke ein, bei deren Anblick Einem das Gähnen kommt. Einen Lichtblick in dieser Oede bildet allein die Ankunft der Briefe, der Zeitungen – und darum habe ich den wackern Schaffner, dessen spendender Hand wir diese Freuden verdanken, auch auf meinem Bilde nicht vergessen dürfen. Unter solchen Umständen ergriff ich neulich mit Vergnügen die Gelegenheit, eine Schleichpatrouille mitzumachen, Nachts, mitten durch den Schnee, immer auf dem Bauche und ganz nahe an den Feind heran. Ich schicke Ihnen die Skizze davon nächstens; heute aber lassen Sie mich mit dem Wunsche schließen, der gegenwärtig das Herz eines jeden Soldaten, eines jeden Malers, eines jeden Berichterstatters erfüllt: Wenn es nur endlich einmal zum Beschießen, wenn es nur zum Sturme käme!“
Dieser Wunsch ist inzwischen, wie unsere Leser wissen, wenigstens in seinem ersten Theile erfüllt.
Die Manesse’sche Sammlung, ein französisches Raubstück. Wer wüßte nicht, daß die Minnesänger – die deutschen Lyriker zur Zeit der großen schwäbischen Kaiser – eine der wichtigsten und zugleich glanzvollsten Epochen der deutschen Nationalliteratur bilden? Ihre Gesänge, die meist mit Cither-, Harfen- und Geigenbegleitung zum Vortrage gelangten, fanden nicht selten die größte Verbreitung, bevor irgend Jemand daran dachte, sie aufzuschreiben. Viele aber sind trotz späterer Aufzeichnung verloren gegangen, und in Deutschland besitzen wir daher nur noch wenige Ueberreste aus der Blüthezeit unserer mittelalterlichen Poesie in Handschriften auf den Bibliotheken zu Jena, Heidelberg, Stuttgart etc.
Die werthvollste noch erhaltene Sammlung aus jener Zeit, und das eigentliche Denkmal einer großen Periode deutscher Geistesentwickelung, wurde bekanntlich vom Ritter Rüdiger Manesse hergestellt, der 1384 als Bürgermeister in Zürich starb. Sie enthält außer dem Wartburgkriege noch vier Lehrgedichte, sowie namentlich die Lieder von nahezu 200 Dichtern, von Heinrich von Veldeke bis zum Anfange des 14. Jahrhunderts.
Diese werthvolle Sammlung wurde Eigenthum der Heidelberger Bibliothek, aus welcher sie im dreißigjährigen Kriege von den Franzosen geraubt wurde, die sie mit nach Paris nahmen, – dem „Räuberneste“, wie es Fr. Rückert in „des heimkehrenden Kriegers Schmachlied“ nennt. Erst 1726 wurde der Schatz wieder in der kgl. Bibliothek zu Paris entdeckt.
Welch herrliches Zeugniß giebt diese Sammlung von den deutschen Minnesängern, mit denen sich doch die Troubadours nicht im Entferntesten messen konnten! Wie zeigt sie den Werth einzelner groß erkannter Dichter, z. B. (I. 102–142) des reichsten und vielseitigsten Poeten jener Tage, Walther von der Vogelweide, jenes Glücklichen, der den Ruhmeskranz noch auf lebendem Haupte tragen durfte!
Obwohl wir von dieser Sammlung bedeutende Theile durch Breitinger und Bodmer (Zürich 1748 und 1758), sowie durch Tieck (Berlin 1803) und namentlich von der Hagen eine kritische Ausgabe mit Lebensbeschreibungen der Dichter haben, so muß doch jeder Deutsche wünschen, daß das uns gehörige Erbgut nicht in fremden Händen bleibe, die keinerlei Begeisterung und eine Anerkennung unseres Geisteslebens höchstens nur mit nachweisbarem Neide an den Tag zu legen im Stande sind.
Im Jahre 1815 war Gelegenheit geboten, die Manesse’sche Sammlung zurück zu fordern. Man hat diese Gelegenheit versäumt! – Ohne Zweifel wird man bei dem jetzigen Friedensschlusse von deutscher Seite die früher geraubten Denkmäler der Kunst und Wissenschaft von den Parisern zurückfordern – und zwar mit Fug und Recht. Daß man dabei die Manesse’sche Sammlung nicht vergessen möge, dazu möchte der Unterzeichnete durch die vorstehende Erinnerung eine Anregung gegeben haben.
L. in Lpz. Die „deutsche Zeitung am Rio de la Plata“ hat sich mit ihrer Leipziger September-Correspondenz einfach lächerlich gemacht. Würde der sonderbare Mitarbeiter noch einige Wochen gewartet haben, so hätte er sich leicht aus den Quittungen überzeugen können, daß die Redaction der Gartenlaube seine Angaben jetzt schon um das Fünffache übertroffen hat. – Der bezeichnete „Urdemokrat“ ist übrigens kein Achtundvierziger. Schon im Jahre 45 stand er auf der Liste der Ausgewiesenen und bereits im Jahre 1847 war er zu dreizehn Wochen Gefängniß verurtheilt. Auch in dieser Beziehung schlußfolgert die Correspondenz einfach – albern.
M. D. Ihre Wünsche werden schon demnächst Erledigung finden. Wir haben nun auch noch unsere alten Mitarbeiter F. Gerstäcker und Fr. Hofmann nach dem Kriegsschauplatz gesandt; dieselben beabsichtigen zunächst, Orleans und Versailles zu besuchen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_072.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)