Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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von seiner Herrschaft als Gäste behandelt würden und in bester Eintracht die Nacht unter ihrem Dache zubringen würden; er beschwor sie, ruhig heimzukehren; er drohte ihnen mit den Nachtheilen, welche es für sie haben würde, wenn sie einen Ueberfall der fremden Soldaten ausführten, und so gelang es ihm, sie zu überreden, heimzugehen. In ihrem Weiler daheim müssen sie jedoch zuerst wieder die Schenke aufgesucht haben, und das Unglück hat gewollt, daß sie Ihrer ansichtig geworden sind, als Sie durch das Dorf wanderten. Ich brauche Ihnen nicht zu schildern, wie fürchterlich ich erschrak, als der Pächter heute Morgen in der Frühe mir den ganzen Hergang erzählte. Was aus Ihnen geworden, wußte er nicht; so eilen wir, mein Vetter und ich, in größter Eile hierher – Ihr Diener war, als wir kamen, bald zur Hand und konnte wenigstens die Beruhigung geben, daß Sie lebend heimgekommen – aber es blieb die Angst um Ihre Verwundung und – über das, was Sie von uns denken konnten!“
„Ich sollte Ihnen dankbar sein für diese Sorge,“ erwiderte ich; „ich wäre es auch aus tiefster Seele, wenn Sie nicht diesen Zusatz machten! Es liegt darin für mich etwas furchtbar Kränkendes!“
„Mein Gott, Ihr Argwohn wäre so natürlich gewesen …“
„Nein; Argwohn, Mißtrauen, der Glaube an eine abscheuliche Heimtücke in meiner Brust gegen Sie wäre das Unnatürlichste, was es geben kann. Fühlen Sie das nicht? Sie müssen sehr blind, sehr taub gewesen sein, wenn Sie nicht wahrgenommen hätten, daß das nicht möglich ist!“
Ich sagte das sehr bestimmt, fast, fürchte ich, mit einem Ausdrucke des Zorns – wenigstens antwortete sie lächelnd:
„Und das erbittert Sie so? Wenn ich blind und taub war, so war das ja nur desto schlimmer für mich, die sich deshalb unnütz ängstigte, und es ist sehr undankbar von Ihnen, mir vorzuwerfen, daß der Gedanke mich geschmerzt habe, ich könne von Ihnen falsch beurtheilt werden!“
„Und doch ärgert mich furchtbar, daß Sie es denken konnten. Es giebt eben Gefühle, welche ihre eigene Logik haben!“
Sie erröthete wieder flüchtig – einer Antwort wurde sie überhoben, denn Glauroth trat ein. Er hatte von Friedrich gehört, daß ich erwacht und verbunden sei, und wollte sich jetzt selbst von meinem Ergehen überzeugen. Blanche benutzte die Gelegenheit, um stumm zu verschwinden.
Ich mußte Glauroth mein Abenteuer, obwohl er es längst von Friedrich gehört, noch einmal erzählen; die Conjecturen, die er machte und die viel von dem Mißtrauen enthielten, das Fräulein Blanche bei mir vorausgesetzt, schnitt ich ab, indem ich ihn nach seinen Erlebnissen am gestrigen Tage fragte. Er versicherte, ohne Unterbrechung meine Zimmer gehütet zu haben; sein Souper habe er sich hereinbringen lassen; der Gärtner, der es ihm servirt, sei nachher noch unter allerlei Vorwänden mehrmals hereingekommen – er sei endlich zwischen neun und zehn Uhr noch mit einem Mädchen zurückgekehrt, und dieses habe, offenbar in der Absicht, Glauroth zum Fortgehen zu bewegen, begonnen, aufzuräumen und auszukehren – der Gärtner habe ihm dabei bedeutet, die Zimmer müßten jetzt, da ich jeden Augenblick zurückkommen könne, endlich aufgeräumt, ausgestäubt, die Betten gemacht werden, was, da Glauroth den ganzen Tag darin geblieben, bis jetzt nicht habe geschehen können; mein Stellvertreter hatte darauf sehr freundlich genickt, wie er sagte, und war geblieben, war auch vor dem furchtbaren Lärm und Staub, den die Beiden machten, nicht geflohen – er war im Zimmer geblieben.
„Daß sie mich um die Welt gern hinausgehabt hätten,“ sagte Glauroth, „war mir durchaus klar. Aber ich wich nicht!“
„Tugendhafter Mensch!“ rief ich aus. „Und der Chevalier von Faublas?“
„Köstlich!“ versetzte er, „ganz köstlich! Muß sich unser Eins auf den Schulbänken jahrelang mit Cicero’s Reden und Xenophon’s Anabasis herumschlagen, und unterdeß giebt es solche Bücher in der Welt!“
Glauroth verbreitete sich in einer längeren Rede über die fesselnde Lectüre, die ich ihm verschafft; dann kam er zu der Sorge, die er um mich gehabt und die ihn doch nicht gehindert, sehr fest einzuschlafen, zu der Vorsicht, die wir gegen unsere Quartiergeber zu beobachten hätten, und den Fragen zurück, welche sich an die Absicht derselben, mich in Colomier zu halten und ihn aus den Zimmern fortzubringen, für uns knüpften. Ich beruhigte ihn, so weit ich konnte, um auf andere Gesprächsgegenstände zu kommen; ich beschrieb ihm unsere Fahrt und Colomier; es war mir peinlich, die argwöhnische und spöttische Weise, wie er von unseren Wirthen sprach, anzuhören; ich mochte ihn überhaupt nicht von Blanche reden hören, es gab mir jedesmal einen Stich.
Und doch war ich selbst ja nicht frei von Argwohn. Ich wußte, daß sie völlig unschuldig war an dem Ueberfalle; dagegen war es klar, daß man ein Geheimniß in meinen Zimmern berge und daß man mich und Friedrich daraus über Nacht fortzuhalten gesucht und daß die vorgeschlagene Partie nach Colomier keine Freundlichkeit war, sondern daß sie eine sehr berechnete Absicht hatte. Zwar in der Kammer da hinten konnte schließlich doch nichts Anderes verborgen sein, als etwa eine Anzahl guter neuer Repetirgewehre, welche jene flüchtigen Freischärler, die wir vor uns hergetrieben, da untergebracht, und die nun hinter unserm Rücken fortgeschafft werden sollten … ich hatte das gleich gedacht und hätte jetzt darauf geschworen! Und daß ich das so bitter empfand, war sicherlich sehr thöricht!
Aber es kam eben etwas hinzu, was mich innerlich stachelte und quälte, und obwohl es ein sehr garstiges Mißtrauen war – ich ward es nicht los! Ich hatte mit einer gewissen soldatischen Keckheit, mit der Art übermüthiger Verwegenheit, wie solch wildes Kriegsleben sie hervorruft, Blanche sehr unumwunden den Eindruck erkennen lassen, den sie auf mein Herz gemacht; sie hatte diese nicht sehr verhüllten Geständnisse mit einer großen Güte aufgenommen; aber, fragte ich mich nun, ist das auch nur ein Theil eines Spieles, das sie glauben, mit dir führen zu können? Wird auf diese Vertraulichkeit und Güte der volle Hohn der Zurückweisung folgen, wenn der Zweck erreicht ist?
Jedenfalls wollte ich in’s Klare darüber kommen, und um so entschiedener, als das Mißtrauen etwas meiner Natur Fremdes, mich unsäglich Quälendes ist. Aber mußte ich nicht seine Pein doppelt fühlen noch nach wenig Stunden, da Blanche zu meiner Ueberraschung wieder in mein Zimmer trat? … ich hatte ihr das Wiederkommen durch mein Benehmen am Morgen gewiß nicht erleichtert. Und dennoch kam sie.
„Ich komme um zu erfahren, ob Sie wohlverpflegt sind und Alles haben, was Sie bedürfen,“ sagte sie, „oder, um aufrichtiger zu sein, eigentlich in der Spannung, zu erfahren, ob Sie Wundfieber haben oder nicht?“
„Wollen Sie meinen Puls fühlen, so werden Sie sich, glaube ich, überzeugen, daß ich kein Wundfieber habe,“ versetzte ich.
„Den Puls versteh’ ich nicht zu fühlen,“ sagte sie, „aber es beruhigt mich sehr, wenn das Fieber Sie bis jetzt verschont hat; es wird dann hoffentlich ganz ausbleiben.“
„Auch mich freut es,“ versetzte ich, „ich habe dann die Gewißheit, schon morgen wieder auf sein zu können, um jene Gelegenheit zu suchen, von der wir heute Morgen redeten.“
„Welche Gelegenheit?“
„Die Gelegenheit vor Ihnen in der Rolle des moralischen Hercules aufzutreten …“
„Sie spotten,“ erwiderte sie, „und glauben, ich leide an einer überspannten und romantischen Idee, wie sie so oft die Träume junger Mädchen beherrscht. Sie haben Unrecht. Was ich Ihnen gestanden, ist mir tiefer und heiliger Ernst. Ich darf sagen, ein sehr schmerzlicher Ernst, denn eine schmerzliche Lebenserfahrung hat ihn mir eingegeben.“
„Eine schmerzliche Lebenserfahrung?“
Blanche hatte sich wieder in den Sessel am Fußende meines Bettes gesetzt; nach einer Pause sagte sie:
„Weshalb sollte ich es Ihnen nicht erzählen? Sie werden dann einsehen, daß Ihr Spott mir Unrecht thut. Es war ein Jahr vor dem Tode meines Vaters, als dieser mich mit dem Sohne eines Geschäftsfreundes verlobte. Sie wissen, es ist das mehr Sitte in Frankreich, als in Ihrem Deutschland, bei solchen Verbindungen weniger die Herzen als die Interessen zu fragen …“
„Sie sind verlobt, Blanche?“ rief ich erschrocken aus. „Sie waren es! Sagen Sie mir, daß Sie es waren!“
„Hören Sie meine Erzählung an. Ich liebte meinen Verlobten, den ich früher wenig gesehen, nicht; aber er gefiel mir, er flößte mir Vertrauen ein, ich war von den ehrlichsten Gefühlen für ihn erfüllt; ich malte mir die Zukunft, wie er sie mir gestalten würde, als eine glückliche und rosige aus. Er war aufmerksam gegen mich, er war wohlerzogen und von großer Gutmüthigkeit, gefällig gegen Jedermann. Nur begann nach einer längern Zeit
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_074.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)