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Seite:Die Gartenlaube (1871) 079.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Bibliothek eingenommen. An der Wand links von den Fenstern hingen große Kupferstiche in Rahmen; die Mitte der gegenüber liegenden nahm der große Marmorkamin ein, auf dessen Brüstung eine Uhr im Geschmack Ludwig’s XVI. stand; die Stelle des Spiegels füllte ein großes Crucifix aus; ein zweites hing an der Wand zwischen den Fenstern, darunter war ein Betstuhl. Rechts an dem Fenster stand ein großer Schreibtisch, daran ein mit grauem Leder gepolsterter kleiner Lehnstuhl; an diesem schien der Bischof zu arbeiten, an einem anderen, der vor dem Bücherrepositorium aufgestellt war, die Secretäre, deren er nicht weniger als sechs hat. Die Correspondenz des Bischofs erstreckt sich, wie man mir sagte, über die ganze katholische Erde, und das will noch viel mehr sagen, als über die civilisirte. Seine Thätigkeit ist rastlos, sehr häufig dictirt er mehreren Secretären zugleich; am Morgen pflegt er um vier Uhr aufzustehen, um neun Uhr des Abends legt er sich zu Bett, und von letzterer Gewohnheit vermag ihn nichts abzubringen, weder die Gesellschaft in einem fremden, noch die im eigenen Hause. Er pflegt in Orleans nur zum Präfecten und zum ersten Präsidenten des Cassationshofes zu gehen; an Sonntagen hat er seine eigenen Empfangstage, an welchen er die Gesellschaft der Stadt empfängt. Um seine Gesellschaft länger zu genießen, und da man weiß, daß er sich Schlag neun Uhr zurückzieht, versammelt man sich schon um sieben Uhr, und nirgends sieht man in Orleans mehr Menschen und bessere Gesellschaft versammelt, als bei den Empfangstagen Monseigneurs. Die Bewohner von Orleans halten aber auf ihren Bischof auch große Stücke, wie überhaupt der Einfluß desselben auf den moralischen Geist der Bevölkerung unverkennbar ist. Es herrscht in den Familien eine fast deutsche Zucht und Strenge, und nirgends in Frankreich hat sich gegen das Pariser Treiben größere Abneigung gefunden, als in Orleans.

„Sie sind mit Ihren Zeilen meinem Wunsche, etwas über Dr. Kayßler zu erfahren, begegnet, und ich heiße Sie willkommen, mein Herr.“

Es war eine weiche, etwas in hohen Tönen sprechende, aber musikalisch klingende Stimme, die sich vernehmen ließ, eine hohe ehrwürdige Greisengestalt stand vor mir, gehüllt in eine violette Soutane, mit einem bis zur Mitte gehenden Kragen gleicher Farbe. Unter dem schwarzen Käppchen, welches den Kopf bedeckte, quoll feines schneeweißes Haar hervor, das Gesicht hatte viel Farbe, der untere Theil desselben, das runde Kinn, der angenehm gebildete Mund bildeten einen merkwürdigen Contrast gegen die scharf geschnittene Nase und die lebendigen feurigen Augen. Um den Hals trug er die den Geistlichen der gallikanischen Kirche eigenthümlichen schwarzen, weißgeränderten Rabaten, auf der Brust das goldene Bischofskreuz, die ganze Erscheinung vom Scheitel bis zur Sohle der Typus eines Kirchenfürsten.

Mit graciöser Bewegung ersuchte er mich, auf dem einen der vor dem Kamin stehenden Fauteuils Platz zu nehmen, ich that es, er setzte sich mir gegenüber und ersuchte mich nun, meine Füße auf die Messinggallerie zu stellen, welche den Kamin von dem Parquet trennte. Ich entschuldigte mich, wenn ich im Laufe der Mittheilung die französische Sprache nicht mit der Feinheit spräche, welche ein Geist wie der seinige zu fordern berechtigt wäre.

„Wer französisch so schreiben kann, wie Sie es in Ihren Zeilen gethan haben, und wer sich so entschuldigen kann, der kann auch französisch sprechen.“

„Letzteres ist noch leichter, als das Schreiben, Monseigneur; bei dem Abfassen meines Billets an Monseigneur habe ich mir von meinem Wirthe, bei dem ich in Quartier liege, helfen lassen.“

Der Bischof lachte.

„Sie nennen,“ fuhr er dann fort, „mir in Doctor Kayßler keinen Fremden. Der Genannte war am Vorabend des Rückzugs der Baiern aus Orleans hier angekommen, hatte von dem Abmarsche des Generals von der Tann keine Ahnung, wurde von der Frau, bei der er wohnte, als Preuße verrathen und gefangen genommen. Er war mit einem Grafen Arco aus München gekommen, und mein Generalvicar Hetsch, ein geborener Württemberger, führte mir die beiden Herren zu, ich sah dieselben zu Tisch bei mir, und ich muß Ihnen sagen, Doctor Kayßler hat mir sehr – sehr – sehr gefallen. Der ist ein Mann von Welt, von Geist und Kenntnissen. Um den beiden Herren die Rückreise nach Deutschland durch die Schweiz zu ermöglichen, schrieb ich an die Regierung von Tours und erbat für dieselben einen Geleitsbrief. Es kam aber nur ein solcher für den Grafen Arco, nicht auch für Doctor Kayßler. Was war zu machen? Ich wußte, daß Graf Arco unter den bei der Regierung in Tours beglaubigten Gesandten Bekannte hatte, und rieth ihm daher, Doctor Kayßler mitzunehmen und durch diplomatische Vermittlung auch für seinen Begleiter einen Geleitschein zu erwirken. So reisten Beide ab. Seitdem habe ich von Beiden nichts mehr gehört.“

„Wie ich gehört habe, ist Graf Arco nach München zurückgekehrt,“ bemerkte ich.

„So, das ist mir neu. Ich habe keine Nachricht von ihm. Was ist aber aus Doctor Kayßler geworden?“

„Man vermuthet, daß er in Pau sei. Soviel ich weiß, hat man keine directen Nachrichten von ihm seit Orleans.“

„Das beunruhigt mich sehr,“ versetzte der Bischof. „Wenn er wirklich in Pau sein sollte, warum hat er nicht geschrieben? Hm, hm! Was ist da zu machen? Geben Sie mir einen Weg an – ich will Alles für ihn thun, was in meinen Kräften steht, ich will selbst an Gambetta schreiben.“

„Vorläufig, Monseigneur, käme es darauf an, sich zu vergewissern, ob der Verschwundene wirklich in Pau ist, und sich dann mit ihm in das Vernehmen zu setzen, was und in welcher Weise etwas für ihn geschehen kann. Im großen Hauptquartier interessirt man sich sehr für sein Schicksal. Es sollen auch Gefangene nach den hyèrischen Inseln gebracht worden sein.“

„Nach den Inseln, das ist nicht möglich, denn diese sind ganz kahl, fast unbewohnbar, nur ein Strafhaus für Kinder befindet sich dort. Aber nach der Stadt Hyères, das ist möglich. Ich will an den Pfarrer von Hyères schreiben, an eine mir bekannte Dame in Pau, an den Père Gentry, der Ihnen jedenfalls dem Namen nach bekannt sein wird – die sollen Erkundigungen einziehen. Aber wie die Briefe nach Südfrankreich bringen, wie eine Antwort erhalten? Da fällt mir etwas ein, eine französische Dame hat vom Prinzen Friedrich Karl einen Geleitsbrief erhalten, kraft dessen sie mit der Leiche ihres bei Creyant gefallenen Sohnes die preußischen Linien passiren kann, um nach Südfrankreich zu gelangen. Diese könnte die Briefe mitnehmen, um sie in einem noch nicht von den Preußen besetzten Orte auf die Post zu geben. Die Antwort soll durch den Erzbischof von Tours gehen – ja, das wird das Beste sein. Ich werde auch an den Erzbischof schreiben.“

„Aber Monseigneur, erlauben Sie mir gnädigst die Frage, wie soll von Tours die Antwort hierher gelangen?“

„Vielleicht sind Ihre Truppen schon um diese Zeit in Tours, denn dahin gehen doch Ihre Operationen auf dem rechten wie dem linken Loireufer.“

Das war ein Fühler, den der Bischof ausstreckte; ich konnte nichts Anderes darauf erwidern, als:

„Ich weiß nicht, Monseigneur. Wenn es wirklich der Fall sein sollte, so sind Monseigneur besser unterrichtet, als ich. Aber ich wüßte vielleicht einen andern sicherern Weg, die Briefe zu befördern und Antwort zu erhalten, durch Vermittlung unseres Gesandten Herrn von Rüder in Bern. Wenn Monseigneur die Gnade haben wollten, mir die Briefe in offenen Couverts, wie es gesetzmäßig ist, zu schicken, dann würde ich dieselben an Seine Excellenz befördern, mit der Bitte, sie auf die Schweizerpost zu geben, und Monseigneur würden sich für Ihre außerordentliche Güte den Dank aller meiner Collegen verdienen.“

„Gut, gut – ich werde Ihnen die Briefe noch diesen Abend senden. O wie ist das Alles so schwierig – so verwickelt! In welche furchtbare Lage sind wir gerathen! Was wird aus dem armen Frankreich werden!“

„Eine Republik wird es jedenfalls nicht bleiben,“ bemerkte ich, und bei dieser Gelegenheit gab ich ihm eine kurze Schilderung der Stimmung, die ich südlich von Orleans bei unserem achttägigen Ausfluge in den Dörfern und kleinen Städten angetroffen hatte, eine Stimmung, die der Republik nichts weniger als freundlich, und gegen Herrn Gambetta am allerentschiedensten gerichtet war. Hiermit waren wir auf dem politischen Gebiete angelangt. Es hieße die einer so berühmten öffentlichen Persönlichkeit schuldige Discretion verletzen, wollte ich seine Anschauungen und Aeußerungen hier wiederholen; die freundlichen Leser müssen sich begnügen zu erfahren, daß sich sein Wesen von Augenblick zu Augenblick immer mehr belebte und in Erregung gerieth; ein Gedanke drängte sich an den andern, eine Folgerung jagte die andere, philosophische Sätze und historische Facta drängten sich durcheinander, aber Alles war mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_079.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
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