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Seite:Die Gartenlaube (1871) 084.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Je weiter wir nach Nord-Westen vordrangen, desto seltener wurde das Eis, und zuweilen war auch nicht ein einziger Block in Sicht. Eines Morgens weckte uns der Ruf: „Ein Bär! Ein Bär!“ und brachte alle Schläfer in größter Hast an Deck. Nicht weit von uns auf einer einsamen Scholle befand sich einer dieser weißröckigen Beherrscher des hohen Nordens und schaute verwundert nach uns herüber. Als wir ein Boot zu Wasser brachten und auf ihn zuruderten, wurde er unruhig. Sich aufrichtend und seltsam mit den Vordertatzen gesticulirend, betrachtete er uns argwöhnisch, lief dann einige Mal hin und her und ließ sich endlich an passender Stelle in einer drolligen Weise, mit dem Hintertheil voran, behutsam in das Wasser gleiten. Der rüstige Schwimmer wurde aber nach einer fliegenden Fahrt erreicht und, obgleich er auch geschickt zu tauchen wußte, mit sicherer Kugel getödtet.

Nach einigen Tagen sahen wir zum ersten Male den Eisblink, einen wenig auffallenden bleichen Schein, der über dem Horizonte hing.


Meine Ausrüstung als Bären-Jäger.


Bald trafen wir auch auf wirkliche Eisfelder. Sie bestanden aus schneebedeckten Schollen und Blöcken, welche durchschnittlich nur einige Fuß über Wasser hervorragten und nur an wenigen Stellen – in Folge des von Stürmen und Strömungen verursachten oft ungeheuren Druckes – bis zu zehn und fünfzehn Fuß hohen Wällen und Haufen über einander geschoben waren. Doch erschienen diese Erhöhungen ganz unbedeutend, wenn verglichen mit der Ausdehnung der Massen. Hatten wir nun auch, in Folge übertriebener Schilderungen, ganz andere Größenverhältnisse zu sehen erwartet, und fühlten wir uns auch etwas enttäuscht, so wurden wir doch nicht müde, die eigenthümliche Schönheit dieser Eislandschaft zu bewundern.

So weit das Auge schweifte, zeigte sich Eis und wieder Eis, ewig wechselnd in Form und Farbe. Vielfach gewundene Canäle verzweigten sich nach allen Richtungen, an einigen Stellen wurden sie so eng, daß ein Boot kaum durchschlüpfen konnte, an andern erweiterten sie sich und bildeten mitten im Meere einen dunkeln stillen See, rings von krystallenen Ufern umschlossen. Bald strahlte diese nordische Scenerie im vollen Tageslicht so blendend und flimmernd, daß sich das Auge schmerzend abwandte, bald wurde sie von der scheidenden Sonne mit Purpur und Gold übergossen, und dann wieder hüllte sie sich in das geheimnißvolle Zwielicht der kurzen Nacht. – In der Nähe dieser großen Eisflächen war das Wetter beständig schön; der Wind wurde schwach und wir glitten nur leise entlang. Einzelne klare Eisstücke zeigten eine entzückende Farbenpracht in vorherrschend grünen und blauen Tinten, wie schimmernde Edelsteine ruhten sie in der unbewegten Fluth. Bisweilen rollte ein dumpfes Dröhnen durch die Luft, wenn eine große Scholle plötzlich von einer Spalte durchsetzt wurde, und dann stürzte wohl ein überhängendes Eisgebäude klirrend und prasselnd in sich zusammen. Das geräuschvolle Blasen auftauchender Wale drang zu uns, und wir sahen bald nah, bald fern das Dunstgebild ihres Athems aufsteigen. Seehunde ruhten hier und da auf dem Eise oder plätscherten im Wasser, während die Walrosse meistens in großer Anzahl bei einander lagen und einzeln oder im Chor ihr kurzes Gebrüll hören ließen. Möven aller Art umstreiften uns; auch Bären, welche schlau wie die Füchse auf Beute ausgingen, waren nicht selten, doch ergriffen sie bei jeder Annäherung von unserer Seite stets die Flucht. Jetzt und auch späterhin hatten wir volle Gelegenheit, zu beobachten, wie sehr das arktische Thierleben an das Eis gebunden ist.

Mitte Mai endlich erreichten wir die Küste Sibiriens. Sie war noch theilweise von einem Eisgürtel umlagert, hinter diesem erhoben sich kühne Vorgebirge, dunkle Klippen, und landeinwärts ragten schneeige Berggipfel in das klare Blau des Himmels. –

Da die Bering-Straße selten vor Ende Juni mit Sicherheit zu passiren ist, so halten sich die zeitiger anlangenden Walfänger nahe der asiatischen Küste, vorzüglich zwischen Cap Pakhoghinsk und Cap Navarin, um die nach dem Eismeere hier vorüberziehenden Wale abzufangen. Zwischen dem Lande und dem im Meere treibenden Eise findet sich immer ein je nach zufälligen Umständen breites oder enges Fahrwasser. In diesem kreuzten oft mehr als ein Dutzend Schiffe in Sicht von einander, und die vielen Boote derselben schwärmten überall umher oder lagen an geschützten Orten beisammen, während die Mannschaften rauchend und plaudernd die neuesten Nachrichten über Thran, Unglücksfälle und Wetter austauschten. Viele Wale wurden harpunirt, die meisten aber im Eise wieder verloren. – Bei dem schönen Wetter und der keineswegs unangenehmen Kälte befanden wir uns alle sehr wohl, nur der Nebel erregte allgemeine Unzufriedenheit. Ueberraschte er uns, so war größte Vorsicht nöthig, sowohl des Eises, als auch der umherkreuzenden Schiffe wegen. Viele der letzteren machten sich hörbar durch das gerade, vier Fuß lange Nebelhorn, welches die wachthabenden Leute mit aller Kraft ihrer Lungen bearbeiteten und dem sie schauerliche Töne entlockten; auf anderen Schiffen wieder paukte man lustig auf ein leeres Faß los und erzielte einen so heillosen Lärm, daß sich die Stellung der verschiedenen Schiffe leicht errathen ließ.

Das Land war stark bevölkert, überall an geschützten Buchten standen Gruppen niedriger Zelte, die Wohnungen der Tschuktschen, der asiatischen Eskimos. Waren die Umstände günstig, so näherten sich kleine, aus Häuten gefertigte Fahrzeuge, Baidaren, dem Schiffe, und am zugeworfenen Tau kletterten die Insassen behende an Deck. Ihre mittelgroßen, kraftvollen Gestalten waren gänzlich in Pelz gehüllt, die breiten Gesichter hatten einen gutmüthigen, zuweilen etwas listigen Ausdruck. Ihre Bewegungen waren lebhaft und bestimmt, ihre Sprache schnell und energisch, doch lachten sie oft und viel. Sie brachten uns vielerlei Artikel zum Tauschen: vollständige, gut gearbeitete Pelzkleidung; Anzüge, von den Gedärmen der Robben gefertigt und gleich einem Hemd mit Kapuze über dem Pelz zu tragen, um diesen gegen Nässe zu schützen[1]; schön verzierte, warme und wasserdichte Stiefeln von Seehundsfell, Kappen und Stulphandschuhe von demselben Material; ferner Walroßzähne, Fischbein und unbrauchbar gewordene Waffen und Geräthschaften. Sie verlangten dafür Tabak, Flinten, Pulver und Blei, Messer, überhaupt Stahlwerkzeuge aller Art, und wußten diese Sachen sehr wohl mit englischen Namen zu benennen.

Die Beharrlichkeit, mit welcher sie, trotz verlockender Gebote, jede Veräußerung ihrer eigenen trefflich gearbeiteten, obgleich sehr einfachen Waffen verweigerten, hätte allein hingereicht zu beweisen, daß wir es mit einem echten Jägervolke zu thun hatten. Auch die Spiele der Knaben zeugten davon. So fuhren diese, mit der uralten Davidschleuder bewaffnet, hinauf auf das Meer und sandten ihre Geschosse nach den einzelnen vorüberziehenden Vögeln. Bemerkenswerth war es, daß sie nie die Vögelschwärme am Lande belästigten, wo doch ein Fehlwurf kaum möglich war. Sie handhabten ihre Schleuder mit großer Kraft, doch mit wenig Geschicklichkeit. Der beste Schütze erlegte erst mit dem siebenten, ein andermal

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_084.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
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