Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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No. 6. | 1871. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.
Recht ruhig zu sein empfahl mir Blanche! Ich war durchaus nicht ruhig. Das Ende der Unterredung, die mir Ruhe und Klarheit geben sollte, hatte mir durchaus keine Ruhe, aber wenigstens die Klarheit gegeben, daß meine Pflicht mir gebot, jetzt das schwere Schloß in Friedrich’s Kammer zu sprengen und mich zu überzeugen, was dahinter verborgen sei. Blanche hatte mir zu augenscheinlich verrathen, daß meine Dienstpflicht es gebiete; und nun mußte ich, und ging all mein Glück darüber zu Scherben, in dies Geheimniß blicken, ich mußte mir mit Gewalt den Weg dazu bahnen! Schon morgen wollte ich es, sobald ich die Kraft hatte zu solch einer Untersuchung. –
Der Abbé kam nach einiger Zeit. Er fand meinen Puls sehr erregt und glaubte, es werde in der Nacht das Wundfieber kommen. Ich hätte ihm den erregten Puls erklären können, zog aber vor, ihn bei seinen Wundfieberideen zu lassen. Er hatte oben bei Frau Kühn Pulver, welche dieser bei fiebrigen Zuständen eine ruhige Nacht verschafften, wie er sagte, und ging, mir eines zu holen, das ich gegen zehn Uhr nehmen sollte. Er kam damit zurück, mischte es mir selber und stellte es unter vielen Anpreisungen seiner Tugenden in einem Glase Wasser auf den Nachttisch. Dann leistete er mir Gesellschaft, während ich etwas von meinem Nachtessen, das Friedrich brachte, verzehrte. Gegen neun Uhr ging er. Friedrich räumte ab, Glauroth kam noch, um mir Bericht über sein dienstliches Walten als Vicehaupt unseres kleinen Corps zu erstatten, und als er gegangen, um mir Ruhe zu lassen, bat auch Friedrich um Urlaub, sich zurückziehen zu dürfen; er fühlte sich von den Anstrengungen der vergangenen Nacht her ganz entsetzlich müde, wie er sagte, und so schläfrig, wie er in seinem Leben nicht gewesen. Ich entließ ihn, schraubte das Licht meiner Lampe niedriger und streckte mich zum Schlafen aus – ich vergaß über all den Gedanken, die, sobald ich allein war, auf mich einstürmten, des Abbé Pulver und all seine Tugenden vollständig. Für’s Erste war es mir durchaus nicht darum zu thun, mich diesen Gedanken zu entziehen und schlafen zu können.
Doch mußte mir der Schlummer nach einer Weile gekommen sein, ein halbwacher Traumzustand wenigstens; aus einem solchen fuhr ich auf, als ich die Schläge der Schloßuhr von draußen her vernahm, wie sie heiser durch die stille Nacht schwirrten. Ich lauschte auf das leise Versummen der ehernen Töne; eine Weile darauf glaubte ich über mir oder doch in der Nähe das leise Oeffnen eines Fensters zu vernehmen; vielleicht bewegte der Wind eine Jalousie. Von drüben, von den Ställen her, kam eben das Wiehern eines unserer Pferde; wahrscheinlich kehrte eine Streifpatrouille zurück, wie wir sie Nachts aussenden mußten. Ich legte mich zurück, um einzuschlafen; aber es gelang mir nicht; mir fiel des Abbé’s Pulver ein; ich dachte daran, es einzunehmen und schob den Docht der vor mir brennenden Lampe höher; in diesem Augenblick hörte ich ganz unfern von mir ein Geräusch, wie wenn langsam und leise ein Holz splittert; wäre das Geräusch stärker gewesen, so hätte man es ein Krachen nennen können – so aber kann ich es nur beschreiben, indem ich es dem möglichst leisen Aufbrechen irgend eines Holzverschlags ähnlich nenne.
Dies Geräusch kam wie aus Friedrich’s Zimmer, dessen Thür geöffnet stand, damit ich ihn anrufen könne. Seltsam, daß Friedrich nicht davon erwachte; doch schlief er wohl zu fest, ich hörte seine lauten und tiefen, oft sehr unmelodischen Nasaltöne und wähnte sogar einen Augenblick, er habe eben zur Abwechselung statt einen Mann, der ein Brett sägt, einmal einen Mann, der das Brett, zerbricht, nachgeahmt … aber es war nicht das, ein leiseres Nachkrachen überzeugte mich davon. Was konnte es sein? Flüsterte nicht auch auf dem Hofe jetzt eine Stimme? Es war wie ein heimliches Raunen, das aufhörte, als ich hinlauschte, und dann wieder ein paar flüchtige Augenblicke vernehmbar wurde, um sogleich wieder zu ersterben.
Betroffen sprang ich auf; es mußte Etwas vorgehen – der Gedanke, daß es mit dem Geheimniß der Tapetenthür in Verbindung stehe, durchzuckte mich wie ein Blitz; ich machte die wenigen Schritte, um einen Blick in Friedrich’s Kammer zu werfen. Das Erste, was mein Auge traf, war ein ganz schmaler, kaum sichtbarer Lichtschimmer, der unter der Tapetenthür herdrang. Im Augenblick war ich zurück und hatte meine Kleider gefaßt; der Schmerz, die Wunde am Arme waren vergessen; ich war innerhalb zwei Minuten in die nöthigsten Kleider geschlüpft, hatte mit einer Hand meinen Revolver erfaßt, mit der andern die Lampe und stand gleich darauf vor dem Bette Friedrich’s; ich stellte rasch die Lampe auf den nächsten Tisch, schüttelte Friedrich gewaltsam an der Schulter, raunte ihm zu: „Auf, folg’ mir augenblicklich!“ – und eilte weiter, der Tapetenthür zu.
Das schwere Hangschloß – ich hatte das schon beim ersten Eintritt wahrgenommen – hing geöffnet vor der Thür; darunter steckte ein Schlüssel, der früher nicht dagewesen – ich drehte ihn
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_089.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)