Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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verwundet, rollen sich Walroß sowohl als Seehund stets in das nahe Wasser und gehen, todt oder lebendig, verloren. –
Endlich erlaubten uns Wind und Eis die Fahrt fortzusetzen, und wir fingen in kurzer Zeit verschiedene Wale, deren Ertrag unsere gezwungene Unthätigkeit reichlich vergütete. Die Thiere zogen vorwiegend nordwärts und ihnen folgend treffen wir unter fast 72 Grad nördlicher Breite auf das stehende Eis. Seiner Beschaffenheit nach unterschied es sich in nichts von dem überall treibenden Pack, nur war es nirgends „segelbar“, das heißt für Schiffe unzugänglich. Immer neue Wale sahen wir unter dieser sich endlos dehnenden gefrorenen Einöde verschwinden. Wohin gingen sie? Wann kehrten sie zurück?
War ihre Wanderung nicht ein Beweis, daß im höchsten Norden sich ein offenes Meer befinden muß, in welchem sie den Winter verleben? Wo anders als dort können sie ihre Jungen ungestört aufziehen? Denn es ist eine Thatsache, daß noch kein Walfänger ein Kalb des nordischen Bartenwales weder diesseit noch jenseit der Bering-Straße gesehen hat; ihre Kinderstube muß sich also in der Nähe des Poles befinden. Wie vor zweiundzwanzig Jahren der amerikanische Walfänger Capitän Roys muthig durch die Bering-Straße vordrang und den reichsten Fischgrund der Neuzeit entdeckte, so wird es endlich auch gelingen, den Zugang nach den höchsten Breiten zu finden, und dann werden sich den „Speckjägern“ neue unermeßliche Reichthümer erschließen. –
Südwärts kreuzend sahen wir auf einem Eisfelde eine ungewöhnlich zahlreiche Bärenversammlung, die doch sicherlich ihre ganz besondere Ursache haben mußte. Sie blieb uns auch nicht lange verborgen. Am Rande des Feldes lag der aufgedunsene Leichnam eines Wales und die Bären hatten sich zu einem Schmauße eingefunden. Es war ein köstliches Bild, diese weißgekleideten Festtheilnehmer, deren einige sich bei der immerhin schwierigen Zerlegung des Fleischberges in graulicher Weise besudelt hatten, ihr Strandrecht ausüben zu sehen. Ueber unsere Ankunft waren sie sehr ungehalten und schienen nicht übel Lust zu haben, den herannahenden Booten die Beute streitig zu machen. Als aber der stattlichste Bursche, der wenigstens seine tausend Pfund wog, mit zerschossenem Genick zusammenbrach und ein zweiter schlimm verwundet war, nahmen sie merkwürdig schnell Reißaus. Wie eine Meute grollender Hunde umkreisten sie uns dann in sicherer Entfernung, und unter allerhand ungeschlachten Demonstrationen warteten sie auf unsern Abzug. Für uns war der Wal leider werthlos und wir zogen uns discret zurück, um das „Diner im Eismeer“ nicht weiter zu stören.
Im September begann das Wetter, sich zu verschlechtern; eiskalter dichter Nebel stellte sich häufiger denn je ein und schwere Schneestürme verkündeten den kommenden Winter. Oft waren Tauwerk und Segel so mit Eis bedeckt, daß wir es mit Knitteln losschlagen mußten, und das Schneeschaufeln war eine wirkliche Sisyphus-Arbeit. Die Wale waren selten geworden und die meisten Schiffe hatten den Fischgrund schon verlassen; nur wenige Capitäne, auch der unsrige, trotzten jedem Wetter, um einen letzten Fang zu machen. Wir erlegten auch glücklich unsern zwölften Wal und bereiteten uns jubelnd zur Heimreise vor. Beinahe aber wären wir nie zurückgekehrt. Ein entsetzlicher Sturm faßte uns unweit vom Cap Lisburne und brachte unser Schiff, das langsam der Küste zutrieb, dem Untergang nahe. Auch der Muthigste wagte nicht mehr zu hoffen, als im Augenblick der höchsten Noth der Sturm nachließ, seine Richtung veränderte und erstarb.
Bald darauf arbeiteten wir uns mühsam und vorsichtig, die Lothleine in der Hand, in Nebel und Schneegestöber durch die Bering-Straße, wo kein Leuchtfeuer den Seemann vor Gefahren warnt. Verschiedene Schiffe in Noth erhielten von uns erbetenen Beistand, sie hatten durch den Sturm viel mehr gelitten, als wir – ein Fahrzeug war sogar mit reicher Ladung zu Grunde gegangen –, und mußten von uns mit Segeln und Hölzern versehen werden. Glücklich passirten wir die Alëuten, und Schnee und Kälte hinter uns lassend, liefen wir am letzten October durch das „goldene Thor“ von Californien und ankerten im Hafen von San Francisco.
Als der große Krieg zum Ausbruch kam, der nun hoffentlich bald seinem Ende zugeführt ist, war nur Ein Vertrauen, nur Eine Zuversicht auf die Tapferkeit der deutschen Armee, und darüber, wie herrlich diese ihr Wort eingelöst hat, fest und treu die Wacht am Rhein zu halten, ist heute kein Wort mehr zu verlieren. Eine Sorge aber bekümmerte damals doch gar viele deutsche Herzen, die Sorge um die junge Flotte und die Furcht vor einem Landungsversuche der Franzosen in Hannover oder Schleswig-Holstein oder Pommern, nachdem der Feind doch bestrebt sein mußte, sich die Entblößung dieser Strecken von Truppen und so manches Andere zu Nutzen zu machen.
Zwar war mit der Leitung der militärischen Angelegenheiten in den Küstenlanden vom Bundesfeldherrn der General Vogel von Falkenstein betraut worden, ein Mann, von dem erwartet werden konnte, daß er mit scharfem Blick und rascher Hand einen Landungsversuch des Feindes auch mit wenigen Truppen abschlagen würde. Aber unmöglich konnte man an allen Orten, an denen eine Landung sich ermöglichen ließ, große Truppenkörper anhäufen; deshalb mußte es als ein glücklicher Gedanke des Generals gepriesen werden, als er am 23. Juli 1870 in einem Erlaß zur Bildung einer freiwilligen Küstenbewachung aufforderte. Das Schreiben des Generals wurde in allen Hafenstädten mit Freuden begrüßt und aus allen deutschen Küstenlanden an der Nord- und Ostsee meldete sich eine große Schaar brauchbarer Männer, die freiwillig dem Rufe des Gouverneurs folgten und sich „für die Dauer des Krieges“ für die Bewachung unserer Küsten zur Disposition stellten. In Hamburg war der Hauptmann a. D. Wagemann mit der Aufnahme von geeigneten Persönlichkeiten betraut und hatte die Freude, dem stellvertretenden General des neunten Armeecorps bald ein stattliches Häuflein Küstenwächter zustellen zu können. Da stellte sich denn der Mann, der seinen bedeutenden ländlichen Besitz freiwillig verlassen hatte, neben den Steuermann, dessen treues Fahrzeug träge im Hafen lag; da verließ der Kaufmann sein Geschäft, das seiner Leitung doch durchaus bedurfte, und diente neben dem Führer der Fischersmack der deutschen Nordseefischereigesellschaft. Die Standesunterschiede schwanden vor dem Bewußtsein, daß die Noth des Vaterlandes Männer brauche. Auch ich eilte, meine Dienste anzubieten, da meine Verhältnisse mir vollständig gestatteten, ohne Empfang von Sold zu leben, denn Löhnung und Equipirung ward den Mannschaften, die ja freiwillig dienten, nicht gewährt, und ich wurde nach Auseinandersetzung meiner Lage sofort unter die Zahl der Wächter der deutschen Küste aufgenommen.
Die Uniform, welche der Küstenwächter sich anzuschaffen hatte, war ebenso praktisch als kleidsam. Der Waffenrock von blauer Farbe, mit rothem Kragen, nach österreichischem Schnitt, gab dem kleinen Heere, das in kleinen Abtheilungen von sechs bis zehn Mann ausgesandt wurde, ein keck militärisches Aussehen. Die grauen Beinkleider waren in hohen, fast bis zum Knie reichenden Stiefeln verborgen, und der Kopf wurde durch eine blaue Mütze mit sehr großem Schirm geschützt. Um aber bei dem Aufenthalte an der Küste allen Einflüssen der Witterung Trotz bieten zu können, war jeder Küstenwächter mit einem tüchtigen Gummimantel versehen, und damit der Wächter auch nöthigenfalls ein Vertheidiger werden konnte, führte Jeder eine Zündnadelbüchse neuester Construction. Die Patronen für die Waffen wurden in einer Tasche aufbewahrt, welche die Mannschaften an einem sehr breiten, um den Leib geschnallten Lederriemen trugen.
Ich begrüßte den Tag der Abreise an unsern Stationsort mit vollster Freude. Unser kleiner Trupp von acht Personen kam zum großen Staunen der Einwohner unerwartet in seinem Bestimmungsorte P. an, einem schleswig-holsteinschen Dorfe, das unfern der See gelegen ist, und der kühle Empfang, der uns zu Theil wurde, ließ uns nicht ahnen, mit welcher Leichtigkeit wir uns unter den Dörflern einleben und mit welcher Herzlichkeit sie uns bei unserem endlichen Abmarsche ein Abschiedswort zurufen würden. Unmittelbar nach unserem Einrücken begaben sich zwei Männer aus unserer Mitte an die Küste, um nach französischen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_095.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)