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Seite:Die Gartenlaube (1871) 098.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


einer großen Menge originalen und fremden Materials und darum nur durch eine ebenso umfassende wie eingehende Sichtung zusammen. Natürlich ist Niemand im Stande, die ganze Masse der Zeitungen und Correspondenzen, welche den täglichen Einlauf eines großen Blattes bilden, für sich allein zu bewältigen, und es sind deshalb Hülfsarbeiter nöthig, welche die einzelnen Departements bearbeiten; indessen muß doch schon der nöthigen Controle und Vermeidung von Wiederholungen und Widersprüchen wegen der eigentliche leitende Redacteur die ordnende Hand für das ganze Sammelsurium bieten, und diese Thätigkeit erfordert abermals, selbst bei einer energischen und wohlgeschulten Arbeitskraft, eine ganz außerordentliche Anstrengung. Die fünfzehn bis zwanzig deutschen Zeitungen ersten Ranges und die zwanzig bis dreißig des zweiten, welche alltäglich ihrem originalen Inhalte nach revidirt werden müssen, bilden zusammen ein Material von der Fülle und Ausdehnung mehrerer gedruckten Bände, und wenn wir dazu noch die speciellen und autographirten Correspondenzen in Anrechnung bringen, die ein Blatt von Bedeutung aus allen wichtigeren Hauptstädten zu erhalten pflegt und deren Inhalt aus innern und äußern Gründen mit doppelter Sorgfalt geprüft werden muß, so kann man sich die Massenhaftigkeit des Stoffes vorstellen, der dem Auge und dem Gehirn eines Redacteurs auf diese Weise zufluthet.

Auch die Arbeit des Rothstiftes und der Scheere, wie sie durch die Mitredacteure eines großen Blattes hauptsächlich zu leisten ist, erscheint aus der Ferne viel leichter, als sie in Wirklichkeit ist, und manches Journal ersten Ranges verdankt seinen ungenannten, in veilchenhafter Verborgenheit thätigen Mit- und Unterredacteuren einen sehr ansehnlichen Theil seiner Achtung und Beliebtheit im Lesepublicum. Aus der ungeheuren Menge von Details, welche in fünfzig bis hundert und mehr Zeitungsnummern täglich zur Auswahl dargeboten werden, das objectiv Werthvollste, formell Bestgefaßte und für den speciellen Leserkreis des eigenen Journals in sachlicher und persönlicher Hinsicht Geeignetste auszuwählen und in derjenigen Ausdehnung und Einkleidung, wie sie dem Zweck des Gegenstandes und der Tendenz und Einrichtung des Journals am besten entspricht, an rechter Stelle zu reproduciren, – diese Thätigkeit verlangt vielseitige Kenntnisse, raschen und gewandten Ueberblick und ein sicheres Tactgefühl, wie sie durchaus nicht jedem beliebigen, selbst dem wissenschaftlich gebildeten Manne nicht überall, zu Gebote stehen. Soll die Arbeit des Hülfsredacteurs dem Journale nicht tausend Anstände und Verlegenheiten bereiten, soll sie dem einheitlichen Geist und Wirken des Blattes in keiner Weise hemmend und verzögernd entgegentreten, soll aus der Kräfte schön vereintem Streben das wahre Leben der Zeitung sich frisch und harmonisch erheben können, so müssen jene Hülfskräfte in ähnlicher Richtung und Tüchtigkeit beanlagt und geschult sein wie die des leitenden Redacteurs. Bei dem Ineinandergreifen der verschiedenen Departements ist ein solcher Gemeingeist die unentbehrliche Bedingung eines einträchtigen und energischen Zusammenwirkens.

Bei unsern großen deutschen Blättern erhebt sich die Zahl der Mit- und Unterredacteure meistens nur auf fünf bis sechs; man kann sich also denken, daß Jeder derselben ein gehöriges Päckchen Arbeit zu tragen hat. Auch wenn sich der Chefredacteur noch ein Specialdepartement reservirt hat – meist wird es die hauptstädtische (Berliner) Correspondenz sein – verbleiben noch für fünf Mann recht ausgedehnte Territorien bei dieser „Theilung der Erde“. Beispielsweise übernimmt der Erste Deutschland, der Zweite Frankreich und England, der Dritte das übrige Ausland, der Vierte die localen und provinzialen Angelegenheiten, der Fünfte das Feuilleton, Kunst und Wissenschaft. In jedem dieser Departements ist ein reicher Stoff gegeben, dessen Verwendung und Bearbeitung für ein Journal ein vollgemessenes Tagewerk ehrlich auszufüllen vermag. Die von den Redacteuren für die einzelnen Rubriken druckfertig gemachten und gehörig bezeichneten Manuscripte gehen an den ersten Metteur en pages in die Schriftsetzerei. Dieser vertheilt die Manuscripte in möglichst gleichmäßigen Portionen und in bestimmter, der Folge des Zeitungsstoffes, so gut es geht, angepaßter Ordnung an die Schriftsetzer. Der fertige Satz wird dem Metteur en pages wieder abgeliefert, von demselben sofort ein Bürstenabzug gemacht und dieser den Correctoren zur Emendation abgegeben. Nach dem corrigirten Abzuge wird vom Setzer der Schriftsatz verbessert und das Verbesserte dann vom Metteur en pages zu ganzen Spalten zusammengestellt, von denen auf der Handpresse ein Abklatsch angefertigt und der Redaction zur Revision und definitiven Anordnung vorgelegt wird. Nach dieser zweiten Correctur setzt der Metteur en pages die ganzen Columnen der Zeitung zusammen, die nun in die Druckerei wandern, um nach wenigen Minuten hundert- und tausendfach vervielfältigt ihren Weg in die weite Welt anzutreten.

In Kriegszeiten steigert sich nicht nur die redactionelle, sondern auch die technische und ökonomische Aufgabe der Zeitungen in sehr beträchtlicher Weise, und die schon in ruhigen Zeiten selten an Stoffmangel leidenden Redactionen müssen alle Kräfte anstrengen, um die überreiche Fülle interessanter Neuigkeiten zu bewältigen.

Jedes große Journal sendet im Kriege seine eigenen Berichterstatter aus, die entweder in den Hauptquartieren der einzelnen Armeen accreditirt, oder als „Wilde“, auf eigenes Risico, den Truppen folgen. Um hier gleich die Leistungen der Berichterstatter im gegenwärtigen Kriege zu charakterisiren, so muß zugegeben werden, daß die Referate dieser Männer ihrem Werthe nach allerdings verschieden waren; indessen haben einige deutsche Correspondenten, wiewohl man ihnen die ihren Berufsgenossen zugewandten Bevorzugungen nicht einzuräumen beliebte, anerkannter Maßen Vorzügliches geleistet, und nicht minder haben sich einige militärische Schriftsteller hervorgethan, welche dem großen Publicum das Verständniß der Kriegsoperationen vermittelten. – Zugleich öffnen im Falle eines Krieges die officiellen Blätter die Schleußen ihrer sonstigen Schweigsamkeit und schütten ein unerschöpfliches Füllhorn militärisch-politisch-feuilletonistischer Weisheit auf ihren vervielfachten Spalten aus. Noch reichlicheren Zufluß an Kriegsnachrichten führt das eigene Lesepublicum der Zeitung herbei: häufiger als sonst jemals werden Officiere des heimathlichen Armeecorps auf dem Feldzuge von schriftstellerischen Anwandlungen erfaßt, denen sie sich bald mit Eifer ergeben, und aus den Reihen der Daheimgebliebenen bringt so mancher sonst bis an den Hals zugeknöpfte Philister von Vater „zur gefälligen Benutzung für die geehrte Redaktion“ einen Feldpostbrief nach dem andern herbei, den der liebe Sohn vom Regimente nach Hause zu richten Muße fand. So freundlichem Zuspruch gegenüber nehmen die großen Zeitungen natürlich keinen Anstand, dem Publicum und der vaterländischen Sache zu Ehren ihren redactionellen Theil beträchtlich zu erweitern; die Verleger bringen da oft recht bedeutende Opfer, wie sie überhaupt die Kriegsquartale keineswegs zu den geschäftlich günstigen zu zählen haben. Auch wenn die Abonnements um Tausende steigen, wie es gegenwärtig bei allen großen Blättern der Fall ist, bietet dies bei Weitem kein Aequivalent für die vermehrten redactionellen und technischen Ausgaben und namentlich für den enormen Ausfall an bezahlten Inseraten – dieser materiellen Hauptbasis des Zeitungswesens.

Die Menge des auf den bezeichneten Wegen herbeiströmenden Stoffes nimmt für die Zeitungen um so mehr Arbeit in Anspruch, als derselbe fast durchgehends erst eine weitere redactionelle Behandlung nöthig macht. Abgesehen davon, daß selbst in unserer hochgebildeten Nation die Zahl derjenigen Leute, die druckfertig schreiben, merkwürdig gering ist, und daß fast stets, wo man es nicht mit fachmäßigen Schriftgelehrten zu thun hat, aus den Manuscripten erst eine Menge unnützen Ballastes entfernt werden muß, haben hier besonders oft Widersprüche und Ungenauigkeiten ihre Erledigung zu finden, welche mit den schwächsten Seiten der wissenschaftlichen Durchschnittsbildung zusammenhängen. Hierzu gehören namentlich die in Kriegszeiten beinahe in jedem Berichte vorkommenden geographischen Angaben und die ebenfalls sehr häufigen Citate und Entlehnungen aus fremden Sprachen. Linguistische Zuverlässigkeit ist nun einmal so wenig Jedermanns Sache wie Geographie und Statistik, aber für die Kenner ist gerade in diesen Dingen die strengste Kritik unabweisbar, wenn nicht Salon und Bierbank von lauten Rügen über sie und die Zeitung widerhallen sollen. Der deutsche Spießbürger findet ein gar zu erhabenes Vergnügen darin, seine Weisheit leuchten zu lassen, sobald er in der Zeitung einen Fehler – und sei’s auch nur ein Druckfehler – entdeckt zu haben so glücklich ist.

Ueberhaupt ist unser Publicum in seinen Anforderungen an die Zeitungen ebenso anspruchsvoll wie an die Redacteure selber. In unbescheidenster Mißachtung des für beschäftigte Menschen so eindringlich fühlbaren Satzes, daß Zeit Geld ist, glaubt sich so mancher Abonnent und Leser, ja sogar mancher Nichtleser eines Journals berechtigt, durch Aufdrängen unnützer Besuche, Zuschriften,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_098.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
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