Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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Wie hätte der fürstliche Jüngling, nunmehrige Kronprinz, in dem Anschauen der Züge des großen Todten nicht des letzten Zusammenseins mit dem Leben gedenken müssen, und seiner letzten Worte, die er, ein theures Vermächtniß, dem ältesten hoffnungsvollen Sprossen seines Hauses in die Seele sprach, und der Mahnung, die wie ein letzter Abschied klang: „Vergiß diese Stunde nicht!“
Der spätere König hat sie auch nicht vergessen; er wurde oft genug durch die Tragik der Ereignisse, die über ihn, seinen Thron und sein Land hereinbrachen, daran erinnert, und daß ein prophetischer Geist es war, der da sprach: „Ich fürchte, Du wirst ’mal einen schweren, bösen Stand haben.“
Wie sehr der Weise und Prophet von Sanssouci Recht hatte, ist allerwärts bekannt und es kann darum nicht unsere Sache sein, hier nochmals auf die Geschichte jener ruhmlosen Tage, welche Deutschlands größte Erniedrigung bildeten, zurückzukommen, und auf die jener andern, in welchen sich Volk und König aus tiefem Sturze emporarbeiteten, die schmachvollen Fesseln fremder Gewaltherrschaft auf immer abzuschütteln. In diesem Ringen nach Rettung mochte dem König die Stunde vor dem Obelisk in Sanssouci in die Erinnerung, in den thatkräftigen Willen zurückgekehrt, jetzt mochte ihm die Offenbarung der neuen Zeit aufgegangen sein, daß die Zeit der einzelnen großen Individualitäten, wie Friedrich der Große, als der Lenker des Volkes vorüber sei, daß der König der Zukunft nicht wie eine Art Vorsehung über dem Volke stehen müsse, sondern in ihm selbst Blut von seinem Blute, Herzschlag mit seinem Herzschlage, daß die Mitthätigkeit des Volkes, das Zusammenwirken der Gesammtheit zur Erhebung und zur Ehre des Vaterlandes der neue Gedanke der neuen Zeit sei. In seiner Seele wachte wieder auf, was er schon damals, als er den Thron bestieg, gefühlt und gedacht hatte, er berief Stein in seine Nähe, den Mann, dessen Seele ein brennender Dornbusch war, er zog Scharnhorst und Gneisenau, Hardenberg in seinen Rath, und mit diesen Männern vollbrachte er die gesetzgeberischen Thaten, die den Staat auf einer neuen Grundlage erbauten, die Preußen in die erste Reihe der Culturvölker und nach und nach auf eine Machtstufe stellten, auf der es zu seinem großen deutschen Berufe heranwuchs.
Friedrich Wilhelm der Dritte erhob den großen Gedanken Scharnhorst’s zum Gesetz: das Volk ist die Armee! Er befreite den Nacken des Soldaten, der das fremde Joch abschütteln sollte, auch von dem Joche der entehrenden Fuchtel, er gab die Städte-Ordnung, er hob die Leibeigenschaft auf, er nahm von dem Bürger und Bauer den Alp weg, der Jahrhunderte auf ihnen lag, er entband die Kräfte seines Volkes zu freier Thätigkeit, und dieses Volk hat es ihm nie vergessen, aus freiem dankbarem Herzen jubelte es ihm zu, als er den Aufruf an dasselbe ergehen ließ: Frei sein von fremder Herrschaft oder untergehen! Und mit seinem Volke hat er seine Sache hinausgeführt zu einem glorreichen Ende.
Vor sieben Jahren legte König Wilhelm zum Andenken an jene große eiserne Zeit, zum Ehrengedächtniß des Königs und Vaters den Grundstein zu einem Denkmal auf dem Platze zwischen Schloß und Museum in Berlin. Die Enthüllung sollte am 3. August 1870, am hundertjährigen Geburtstage Friedrich Wilhelm’s stattfinden; Alles war zu dieser Feier vorbereitet, aber es sollte nicht sein. Statt auf den Festplatz in Berlin marschirten an diesem Tage unsere Truppen gegen den Feind; am 4. August hielten sie bei Weißenburg eine Nachfeier des Tages. Die Enthüllung der Statue Friedrich Wilhelm’s des Dritten war einer andern Zeit, einem bedeutungsvolleren Moment aufbehalten, dem 16. Juni, als man schrieb im ersten Jahre der Einheit Deutschlands, als unsere Truppen aus Feindesland wiederkehrend ihren siegreichen Einzug in Preußens und Deutschlands Hauptstadt hielten.
In sieben Monaten hatte Napoleon Bonaparte einst Preußen zertrümmert. Sieben Monate waren hinreichend, um 1870 dem deutschen Erbfeinde zu beweisen, wie weit der Staat Friedrich Wilhelm’s des Dritten sich aus jenem Falle wieder erhoben hat. Die Brust der unter dem Volksjubel dahin schreitenden Tapferen schmückt dasselbe Zeichen und Andenken jener eisernen Zeit, das eiserne Kreuz, das der König am 10. März 1813, am Geburtstage seiner im Andenken des Volkes verklärten unvergeßlichen Louise gestiftet hatte. Weihen wir inmitten des Festjubels einen Blick der Dankbarkeit, einen Gedanken der Pietät der Geburtsstätte des Mannes, der seinem Volke mehr als ein Gerechter war, wallen wir im Geiste hinaus in die hohe, weite grüne Allee von Sanssouci an die Stelle, wo er aus dem Munde des großen Königs wie einen Geistessegen die große Lehre empfangen hat: „Halte es stets mit dem Volke, daß es dich liebe und dir vertraue; darin allein kannst du stark und glücklich sein. Vergiß diese Stunde nicht!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_439.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)