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Seite:Die Gartenlaube (1871) 450.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


zwischen elf Uhr Morgens und drei Uhr Nachmittags heute schon dreihundert und einige vierzig Depeschen abgesandt habe. Und die gegenwärtige Zeit gilt für eine der stillsten Perioden im Jahr. Während der regsten Geschäftsmonate beträgt die Zahl der täglich abgehenden Telegramme nahezu zwanzigtausend! Hierin aber sind die vielen von der Presse in Umlauf gesetzten Depeschen nicht einmal mitbegriffen! An dem Tage, an welchem ich T. S. meinen Besuch abstattete, waren bis gegen fünf Uhr Nachmittags bereits dreizehntausend expedirt worden. Und wie viele konnten noch bis zum Einbruche der Nacht Erledigung finden! Jedenfalls wurde die Durchschnittszahl mehr als erreicht.

Eine der wichtigsten Maschinerien in T. S. bildet das Probezimmer, testing box, der Ort, wo alle die von T. S. auslaufenden Drähte geprüft werden. Dies geschieht regelmäßig jeden Morgen um sechs Uhr, wo sich der angestellte Oberingenieur mit allen Endstationen in Rapport zu setzen pflegt, um zu sehen, ob die Linien in jeder Beziehung in gutem Zustande sind. Desgleichen begiebt er sich in das Testing Box, wenn ihn irgend einer der Beamten auf einen Fehler des in sein Ressort gehörenden Drahtes aufmerksam macht. Jeder Draht hat seine besondere Nummer und Bezeichnung, und mit Zuhülfenahme des Galvanometers erkennt der Ingenieur auf der Stelle, ob die Beschädigung, der Riß oder Bruch sich an seinem Ende des Drahtes befindet. Ist dies nicht der Fall, so untersucht er den Draht in den verschiedenen Sectionen, in welche derselbe eingetheilt ist, bis er auf die schadhafte Stelle trifft, die dann der specielle Sectionsingenieur auszubessern hat. Unter dem Fußboden der Provinzial-Galerie liegen allein ziemlich sechzig englische Meilen Draht, einzig und allein zur Verbindung der verschiedenen Localbatterien etc.

Als ein zweites interessantes Instrument muß ich den Chronophor, die Normaluhr für ganz England, anführen. Sechszehn der bedeutendsten Städte des Landes stehen mit dieser Vorrichtung in directer Communication, während der Apparat seinerseits unmittelbar mit der Sternwarte zu Greenwich communicirt. Zwei Minuten vor zehn Uhr wird jeden Morgen aller andere telegraphische Verkehr suspendirt, damit keine Collision mit dem sogenannten „Zeitstrome“ eintritt, der präcis mit dem Glockenschlage die Kunde davon nach den sechszehn einzelnen Stationen blitzt, mit denen er verbunden ist. Alle großen Londoner Uhrmacher, wie Dent, Benson und andere, empfangen ihre Zeit von diesem Chronophor. Mittels elektrischer Batterien, welche mit demselben correspondiren, werden außerdem in Newcastle und Shields um ein Uhr Nachmittags Uhrkanonen abgefeuert. Die Genauigkeit des Instruments aber thut der Umstand dar, daß es den zwanzigsten Theil einer Secunde zu messen im Stande ist.

Das T. S. bedienende Personal macht augenblicklich ein Heer von siebenhundertsechsundvierzig Beamten aus. Davon sind zweihundertachtundsiebenzig männlichen und vierhundertachtundsechzig weiblichen Geschlechts. Von den letzteren tritt ein Theil seinen Dienst acht Uhr Morgens an, um bis Nachmittags vier Uhr zu fungiren; eine andere Abtheilung arbeitet von zwölf Uhr Mittags bis acht Uhr Abends. Keine Telegraphistin ist indessen vor acht Uhr Morgens oder nach acht Uhr Abends in Thätigkeit, alle Nachtarbeit bleibt vielmehr ausschließlich einem besondern männlichen Personal vorbehalten, welches von acht Uhr Abends bis neun Uhr Morgens zu functioniren hat. Ehe T. S. Staatsanstalt wurde, hielt man die weiblichen und männlichen Beamten in strengster Absonderung von einander, und Heirathen zwischen beiden zogen den Verlust der Stelle für einen und den andern Theil nach sich. Eine väterliche Regierung sieht jedoch dergleichen Dinge mit wohlwollenderem Auge an, und fern davon, ihre Beamten zur Ehelosigkeit zu verdammen, befördert sie im Gegentheil die eheliche Verbindung derselben. Um fünf Uhr Nachmittags ist allgemeine Theestunde in T. S., sämmtliche Beamten der Anstalt, welche um diese Zeit Dienst haben, erhalten die nationalenglische Erfrischung unentgeltlich geliefert. Ich habe diesen Regierungstee gekostet und vortrefflich, zugleich aber als eine nationalökonomisch sehr zweckmäßige Maßregel gefunden. Denn die Tasse wird neben jeden Arbeiter und neben jede Arbeiterin hingestellt, und diese schlürfen daraus in den geschäftsfreien Intervallen, während, wenn sie die Vespercollation irgend anderswo einnehmen würden, dadurch ein weit größerer Zeitverlust entstände, als die Kosten des gespendeten Thees betragen.

Ohne mancherlei Irrthümer und Versehen läßt sich natürlich ein menschliches Institut von einer solchen Ausdehnung und Complication, wie unser T. S., nicht wohl denken, der Totaleindruck aber, den ich aus demselben mitnahm, war der einer seltenen und von Tag zu Tage steigenden Vollkommenheit. Es steht ebenbürtig da neben seinem älteren Bruder, dem britischen Postorganismus, der nach unserem deutschen Postwesen, welches gegenwärtig den ersten Rang einnimmt, als der ausgezeichnetste der Welt anerkannt ist.

S.




Ein Held der Feder.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Jane zuckte zusammen unter diesem Hohne, sie fühlte, daß ihr Henry von dieser Seite nicht zugänglich war, und fühlte zugleich, daß er sie jetzt das hochmüthige „Ich will nicht!“ büßen ließ, das sie ihm einst hier entgegengeschleudert. Nicht umsonst hatte Atkins sie vor diesem Manne gewarnt, der keine Beleidigung je vergaß oder verzieh, selbst wenn er sie zu übersehen schien. Er rächte sich jetzt dafür, und Jane wußte, daß sie auf kein Erbarmen rechnen durfte, aber diese Gewißheit gab ihr auf einmal die Fassung zurück. Sie erhob sich fest und kalt und ein verächtlicher Ausdruck legte sich um ihre Lippen. Die Nutzlosigkeit dieses letzten Versuchs war ja vorherzusehen gewesen, sie hatte andere und ihrer Meinung nach unfehlbare Waffen in Bereitschaft.

„Bevor wir diesen Punkt weiter erörtern, darf ich Sie wohl bitten, einen Vorschlag anzuhören, den ich Ihnen zu machen habe.“

Henry war gleichfalls aufgestanden, er verneigte sich zustimmend.

„Sie wissen, daß ich nach dem Tode meines Bruders die Alleinerbin alles dessen bin, was mein Vater hinterließ. Sein Testament spricht mich mündig, mir steht also die freie gesetzliche Verfügung über das gesammte Vermögen zu.“

„Allerdings!“ Henry sah sie befremdet an, er wußte nicht, wo das hinauswollte.

„Nun denn, ich bin bereit, Ihnen dies ganze Vermögen abzutreten – um den Preis meiner Freiheit.“

Henry trat einen Schritt zurück, er war auf einmal bleich geworden und sein Blick heftete sich mit einem unheimlich räthselhaften Ausdruck fest auf ihr Antlitz.

Jane schritt rasch zum Schreibtisch und zog aus einer dort liegenden Mappe ein Papier hervor.

„Ich habe das Nöthige bereits aufgesetzt, Sie werden daraus ersehen, daß ich nichts zurückbehalte, als was sich augenblicklich in meinen Händen befindet. Eine Summe, hinreichend, mir hier in Deutschland eine Existenz zu sichern, und kaum nennenswerth im Vergleich zu dem, was Ihnen zu Theil wird. Die gesetzliche Vollziehung kann jeden Augenblick stattfinden, sobald Sie es wünschen, die Sache bleibt natürlich Geheimniß für jeden Fremderen. Ich biete Ihnen alles an, was ich besitze, nur lassen Sie mich frei!“

Sie reichte ihm das Blatt, Henry nahm es schweigend aus ihren Händen und las es schweigend durch, die Blässe seines Gesichtes wurde noch tiefer und das Papier knitterte seltsam in seinen Fingern, endlich legte er es langsam wieder auf den Tisch und schlug die Arme übereinander.

„Vor allen Dingen möchte ich Sie ersuchen, Miß Forest, den Ton zu ändern, in dem Sie mit mir zu sprechen belieben. Man begegnet einem Manne, der die ganze Zukunft in seinen Händen hält, nicht mit solcher – Verachtung.“

Jane erröthete flüchtig, ihre Stimme hatte unwillkürlich verrathen, was sie bei diesem „Vorschlag“ empfand, indessen faßte sie sich schnell.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_450.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)
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