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Seite:Die Gartenlaube (1872) 103.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Gedenken Sie dessen, wenn die Versuchung Ihnen nahe tritt, ich lasse Sie gehen, denn ich weiß, daß Sie zu Allem fähig sind, nur nicht zum Meineid!“

Benedict war todtenbleich geworden, aber er hielt den Blick aus. Es geschah selten, daß der Prälat Jemand in solcher Weise lobte, noch seltener, daß er zu Jemand in diesem feierlich mahnenden Tone sprach; der stolze Abt begnügte sich gewöhnlich, Befehle zu ertheilen oder Vergebungen zu strafen, zu Warnungen ließ er sich fast nie herab. Der junge Priester fühlte mitten durch die finstere Drohung hindurch, daß sie mehr bedeutete, als die leutseligste Herablassung gegen Andere, es war darin etwas von der Art, wie man zu Ebenbürtigen spricht.

„Ich weiß, was ich geschworen,“ sagte er dumpf, „und was ich zu halten habe!“

„Es ist gut!“ Der Prälat fiel wieder in seinen gewöhnlichen Ton zurück. „Ich erwarte den Pater Prior und werde ihn von Ihrer veränderten Bestimmung benachrichtigen. Gehen Sie jetzt und halten Sie sich übermorgen zu der Reise bereit.“ –

Benedict hatte erst wenige Minuten den Stiftsgarten verlassen, als der Pater Prior dort eintrat und sich mit viel größerer Demuth und Unterwürfigkeit, als sie seinem Amte zukam, dem hohen Vorgesetzten näherte. In seinem Gesicht stand noch der lauernde Zug, er mochte doch wohl fürchten, daß in der Audienz von „gewissen anderen Dingen“ die Rede gewesen sei, aber seine Besorgniß schwand bald. Der Prälat zeigte sich auch gegen ihn sehr gnädig, redete gleichgültig von einigen Vorkommnissen des Tages, ließ sich über verschiedene Dinge Bericht erstatten und sagte endlich wie beiläufig: „Noch Eins! Pater Benedict wird uns in diesen Tagen verlassen, er geht in’s Gebirge, um auf seinen Wunsch dem Pfarrer Clemens die erbetene Aushülfe in der Seelsorge zu leisten.“

„Auf seinen Wunsch?“ Dem Prior blieb vor Erstaunen das Wort im Munde stecken.

„Sie sind überrascht? Ich war es gleichfalls, der Posten ist nicht danach, daß ihn Jemand wünschen sollte! Haben Sie irgend eine Ahnung, welches der Grund dieser seltsamen Bitte sein könnte?“

„Nicht die geringste! Es müßte denn sein“ – der Prior konnte unmöglich die Gelegenheit vorbeilassen, dem Gehaßten hinterrücks einen Hieb zu versetzen – „es müßte denn sein, daß ihm die strenge Klosterzucht unbequem wäre, und er sich nach einer größeren Freiheit sehnte.“

Der Prälat schüttelte den Kopf. „Das ist’s nicht! Daher stammte nicht die Flamme auf seiner Stirn. Haben Sie bemerkt, daß er sich in letzter Zeit an irgend Jemand näher anschloß, daß er Umgang mit den Familien der Nachbarschaft hatte, vielleicht mit Frauen in Berührung kam?“

„Nein, durchaus nicht. Er sucht auf seinen Spaziergängen geflissentlich die Einsamkeit und betritt nie eine fremde Schwelle, wenn man ihn nicht in seiner priesterlichen Eigenschaft verlangt.“

„Ich kann mich irren,“ sagte der Prälat gedankenvoll. „Möglicherweise will er sich eine neue Art von Pönitenz damit auferlegen, Entsagung genug fordert jene Stellung.“

„Mit der Pönitenzsucht des Paters Benedict ist es schon längst vorbei!“ warf der Prior hämisch ein. „Schon seit Wochen hat er alle die Buß- und Betübungen, denen er sonst so eifrig oblag, völlig aufgegeben. Das nahm alles wie mit einem Schlage ein Ende.“

„Er wird eingesehen haben, daß sie nutzlos und,“ meinte der Prälat kühl, „und er hat Recht, ich tadle gerade das am wenigsten. Sonst haben Sie keine Klage über ihn?“

Der Prior zögerte, gern hätte er seinem Hasse Luft gemacht, aber er wußte zu gut, daß er für jedes seiner Worte einzustehen hatte. Der Prälat war nicht der Mann, ihnen blindlings zu glauben, ohne Untersuchung. „Nein!“ sagte er endlich.

„So mag die Sache vorläufig auf sich beruhen. Benachrichtigen Sie inzwischen den Pfarrer.“

„Hochwürdigster,“ begann der Prior wieder mit seiner kriechenden Demuth. „Es ziemt mir freilich nicht, einen Rath ertheilen zu wollen, wo Reverendissimus bereits entschieden haben, aber diese Bestimmung – ohne dem Pater Benedict nahe treten zu wollen – ich zweifle dennoch an seiner Zuverlässigkeit.“

„Ich habe längst daran gezweifelt!“ sagte der Prälat kalt, „und eben deshalb soll er fort. Hier im Convent hütet er Blick und Wort wohlweislich, weil er weiß, daß jede Miene beobachtet wird; hier ist dieser Verschlossenheit nichts zu entreißen. Wir wollen es einmal mit der Freiheit versuchen, vielleicht zeigt sich da eher, was eigentlich an ihm ist. Selbstverständlich wird für die nöthige Ueberwachung gesorgt. Sie haben doch zuverlässige Leute an jenem Orte?“

„Den Schullehrer, auf den ich mich in jeder Hinsicht verlassen kann. Von dem alten schwachköpfigen Pfarrer Clemens konnte er freilich nicht viel berichten, in Bezug auf Pater Benedict stehe ich dafür, daß uns auch nicht eine Silbe von seinem Thun und Lassen verborgen bleibt.“

„Es ist gut. Instruiren Sie den Mann genau, ich werde persönlich seine Berichte empfangen. Sollte Benedict seine Freiheit mißbrauchen, so nehme ich ihn wieder in strenge Zucht.“

„Wenn es nur dann nicht zu spät ist!“ wagte der Prior zu bemerken. „Das Nachbarstift hat in dieser Beziehung schlimme Erfahrungen mit einem seiner jungen Mönche gemacht, dem eine ähnliche Stellung zur heimlichen Flucht aus dem Orden verhalf.“

„Das Nachbarstift verdankt diese Erfahrung seiner laxen Zucht und der Schwäche seines Prälaten, ich habe meine Mönche besser im Zügel!“

„Aber gerade Benedict –“

„Herr Pater Prior,“ unterbrach ihn der Prälat mit stolzer, beinahe verächtlicher Ueberlegenheit, „wenn Sie es doch mir überlassen wollten, für die Richtigkeit meiner Maßregeln einzustehen. Gerade bei Benedict kann ich das wagen, denn er besitzt etwas, das freilich Sie gewohnt sind immer in den Hintergrund zu stellen, das aber bei solchen Experimenten schwer in’s Gewicht fällt, ein Gewissen. Ihm sind Gelübde und Eidschwur nicht bloße Worte, wie so vielen Anderen, er ist noch Schwärmer genug, ihre ganze Wucht zu empfinden. Der vernichtet sich vielleicht selbst, wenn es zum Aeußersten kommt, oder liefert sich in offenem Trotz in unsere Hände, in feiger heimlicher Flucht wird er uns niemals den Rücken kehren, darauf kenne ich ihn!“

Der Prior verneigte sich unterwürfig, er schluckte die bittere Pille hinunter, die der Prälat mit dem „Gewissen“ auch ihm zu kosten gegeben, im Grunde war es ja sein Vortheil, wenn Benedict auf einige Zeit entfernt ward, er hatte mehr der Form wegen opponirt. –

Der junge Priester stand in seinem Gemach und blickte hinüber, wo aus den Laubkronen der Bäume das Dach des Schlosses von Dobra auftauchte. Ob er sich wirklich eine Pönitenz auferlegte mit dem rasch gefaßten Entschluß? Der Prior hatte Recht: es war längst vorbei mit den früheren Bet- und Bußübungen; den Kopf hatte er zur Noth noch damit betäuben können, als aber das Herz sich zu regen begann, sah er ein, daß „sie nichts mehr nützten“. Der Kampf war ein anderer geworden von dem Tage an, wo er am Rande des Baches liegend zum ersten Male jene rosige kleine Elfengestalt erblickte, freilich leichter war er darum nicht geworden, und jetzt galt es sich ihm mit einem Gewaltstreiche zu entreißen. Benedict setzte energisch das Messer an die Wunde; mochte sie zucken und bluten, gleichviel, wenn er nur den Pfeil mit herauszog. Dort oben im Gebirge war er sicher vor einem erneuten Zusammentreffen und vor der gefährlichen traumhaften Poesie der Waldeinsamkeit, sicher hoffentlich auch vor den Träumen, vor denen er selbst an den Stufen des Altars vergebens Rettung gesucht, denn auch der schützte ihn nicht mehr – da galt es, sich selbst zu helfen!




„Und ich sage Ihnen, irgend etwas ist mit dem Kinde vorgegangen! Und wenn sie es mir zehnmal in’s Gesicht hineinleugnet, und wenn Sie noch so spöttisch die Achseln zucken, ich bleibe dabei!“ Mit diesem Satze, augenscheinlich dem Schluß einer längeren Rede, setzte sich Fräulein Reich nieder, warf dem ihr gegenübersitzenden Günther einen herausfordernden Blick zu und nahm ihre Handarbeit mit einem solchen Eifer wieder auf, als gelte es, die mit Sprechen verlorene Zeit im Sturm wieder einzubringen.

Günther sah in der That etwas spöttisch drein, und er zuckte auch die Achseln, als er gleichgültig erwiderte: „Aber, bestes Fräulein, wozu die lange Rede und dies Echauffement, um die einfache Thatsache festzustellen, daß Lucie endlich anfängt vernünftig zu werden.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_103.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)
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