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Seite:Die Gartenlaube (1872) 106.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

abgeben wollen, da wir in Lucie doch jedenfalls die rechte Quelle vor uns haben. Mag sie immerhin eigensinnig sein, eine Unwahrheit ist noch nie über ihre Lippen gekommen, und zur Lüge halte ich sie unter keinen Umständen fähig. Komm zu mir, Lucie!“

Die Augen des jungen Mädchens gingen verwundert und etwas mißtrauisch von der Erzieherin zum Bruder hinüber, aber sie folgte sofort dessen Aufforderung und kam an seine Seite.

„Hast Du seit jenem Abende bei Baron Brankow den Grafen Rhaneck gesprochen?“

(Fortsetzung folgt.)




Aus den Streifzügen eines Feldmalers.

Nr. 6.0 Per Stellwagen zur Eisenbahn.

Müde von dem angestrengten Marsche – wir waren zur Abwechselung wieder einmal seit früh fünf Uhr unterwegs und gründlich vom Regen eingeweicht worden – erreichten wir in später Nachmittagsstunde Stenay. Wir, das dreizehnte Jäger-Bataillon, gehörten schon damals zu der bekannten achtundvierzigsten Brigade und sollten mit derselben, wie ich nachträglich erfahren, hier ein Ueberschreiten der Maas feindlicherseits verhindern. Nur mit knapper Noth und Mühe entgingen wir für diesen Tag dem Vorpostendienst und wurden in Alarmquartiere untergebracht. Getreu meinem Grundsatz, jede sich darbietende Gelegenheit zur Ruhe gewissenhaft auszunutzen, suchte ich, nachdem ich nebst einigen dreißig meiner Cameraden unser Hôtel, die Hausflur eines von den Bewohnern verlassenen Hauses, erreicht, sofort mein Nachtlager auf, welches wie gewöhnlich aus Stroh par requisition als Unterlage, dem Tornister als Kopfkisten und dem Dache als Bettdecke bestand, und schlief sehr bald unter dem eintönigen Geräusch des herabströmenden Regens ein.

Erst zwei wohlgemeinte Rippenstöße meines Nachbars, dem mein leiser Schlaf schon längst kein Geheimniß mehr war, und der Ruf: „Vorwärts, die erste Compagnie muß sofort ausrücken,“ brachten mich am andern Morgen wieder zum Bewußtsein. Die Toilette war schnell beendet, ein Schluck Kaffee aus dem Feldkessel meines mitleidigen Nachbars bildete das Frühstück, und fort ging es nach dem Stellplatz. Hier hielt auch schon unser Hauptmann Walde zu Pferde und eröffnete uns, daß er, einem erhaltenen Auftrag gemäß, mit uns und unter dem Schutze einer Schwadron die Eisenbahn bei dem zwei Stunden weiter vorwärts am Dorfe Chauvancy gelegenen Bahnhof zerstören solle und daß wir zur schnelleren Ausführung dieses Unternehmens auf acht gestellten vierspännigen Wagen zur Bahn befördert werden würden. Eine Schwadron vom zweiten Reiterregiment traf bald darauf ein, nicht so schnell die acht französischen Fuhrwerke, so daß sich unsre Abfahrt, die um sieben Uhr stattfinden sollte, um eine Stunde verzögerte. Die einzeln ankommenden Wagen, große Rüstwagen, jeder mit vier schwerfälligen Rossen bespannt, wurden von uns mit Sturm genommen, denn ein flüchtiger Blick genügte, um Jeden zu überzeugen, daß acht Geschirre nicht ausreichen würden, um die ganze Compagnie fortzubringen, freiwillig aber wollte Keiner zurückbleiben. Nachdem mit ungefähr hundertdreißig Mann sämmtliche Wagen gefüllt waren und die Kutscher sich auf ihre Pferde geschwungen, ging es unter Hurrah in flottem Trabe zum Städtchen heraus. Die originelle Art der Beförderung, die Aufregung in der Erwartung kommender Dinge und die stille Hoffnung, den Rothhosen eine sächsische Jägerlection geben zu können, versetzte uns in die heiterste Stimmung, die selbst der herabströmende Regen, der uns auch während der ganzen Expedition nicht verlassen sollte, nicht zu beeinträchtigen vermochte. Weniger vergnügte Gesichter machten Kutscher und Pferde, denen weder das Wetter, noch das von uns angedeutete Tempo behagte. Sehr häufig bedurfte es der eindringlichsten Aufmunterung des neben jedem Wagen trabenden Reiters, um Erstere für unsere Wünsche geneigt zu stimmen.

Nachdem wir zwei an der Straße gelegene Ortschaften ohne Hinderniß passirt und die Höhe des dahinter liegenden Berges erreicht hatten, zeigte sich unseren Blicken vor uns ein längeres Thal, an dessen linkem steileren Rande sich die Straße, aus der wir weiter fuhren, herabschlängelte und welches an seinem jenseitigen Ende durch einen ziemlich hohen Eisenbahndamm gesperrt schien, auf dem wenige Minuten später zwei in kurzen Zwischenräumen sich folgende starke Züge angedampft kamen und hinter welchem ein Dorf mit seinem Kirchthurm und höchsten Giebeln hervorragte. Unstreitig hatten wir hier unser Ziel vor Augen.

Es mochte wohl kaum eine Viertelstunde seit jener ersten Beobachtung vergangen sein, als vor uns ein Schuß fiel und gleich darauf die Spitze der Avantgarde in Carrière zurückgejagt kam und die Meldung überbrachte, daß die Eisenbahn von den Franzosen besetzt sei. Was wir schon beim Anblick der Züge vermuthet hatten, ward hier zur Gewißheit; kein Zweifel, daß es nun erst recht darauf losgehen würde. Halten, absteigen und, unter Zurücklassung der Wagen, geschlossen noch ein Stück weiter vorwärts traben bis zu einer gedeckten Stellung, von wo aus wir zum directen Angriff übergingen, war das Ergebniß weniger Minuten. Kaum hatten die Plänkler sich nach rechts und links entwickelt, in Folge dessen längs des ganzen Bahndammes ein heftiges Feuer eröffnet wurde, so brach der Hauptmann an der Spitze der noch zurückbehaltenen Abtheilung auf der Straße gegen den Damm vor. Mit ununterbrochenem Hurrah, ohne Aufenthalt und mit nur zwei Mann Verlust – Dank dem schlechten Schießen der Franzosen, denn die meisten Kugeln gingen hoch über uns weg – gelangte der Damm in unsern Besitz. Ein nach links entsendeter Zug war bei seinem Vorgehen auf das Bahnhofsgebäude gestoßen und hatte dessen Besatzung nach mehreren wohlgezielten Schüssen daraus vertrieben. Zwanzig Mann davon fielen unverwundet in unsere Hände, weil zwischen Bahn und Dorf ein breiter Bach sich hinzog, der nur auf der an der Straße gelegenen Brücke passirt werden konnte; diese aber war nach Einnahme des Dammes von uns besetzt worden. Aus der Zahl der hinter dem Dorfe sturmschnell sich zurückziehenden Trupps, dann der Todten, Verwundeten und der Gefangenen zu schließen, mußte der Feind uns an Zahl überlegen gewesen sein.

Unter dem Schutze ausgestellter Posten ging es nun nach dem Bahnhofe, um daselbst die Zerstörungsarbeiten vorzunehmen. Mit Spaten und Schaufeln, dem Handwerkszeug unsrer Zimmerleute, war hier jedoch nichts auszurichten. Indessen war bald Rath geschafft. Ein verschlossener Güterschuppen, der nach Ansicht Sachverständiger das Gesuchte bergen konnte, ward erbrochen und in demselben das Gewünschte gefunden. Und nun ging es an ein Demoliren, so systematisch und gründlich, als wenn ein Ingenieur das Ganze geleitet hätte. Es war eine wirkliche Lust, das Hämmern und Pochen, das Winden und Wuchten mit anzusehen. Schuster und Schneider führten das Brecheisen so geschickt wie daheim ihre Nadel, Kaufmann und Schreiber den Schraubstock wie zu Hause im Comptoir ihre Feder. Innerhalb einer Stunde waren die Schienen aufgerissen, waren die Weichen, Drehscheibe, Wasserbehälter und Telegraphenapparat zerstört.

Es schien aber auch die höchste Zeit; denn noch ehe wir unsere Arbeit beendet, verbreitete sich die Nachricht, daß wieder ein neuer Eisenbahnzug eine Viertelstunde vom Bahnhof entfernt halte und Truppen aus demselben ausstiegen. Mit doppeltem Eifer ward nun das begonnene Werk beendet und dann ungesäumt, in etwas beschleunigtem Schritt, mit unseren Gefangenen, zu denen sich noch drei neue gefunden, der Rückmarsch nach den Wagen angetreten.

Nachdem wir diese erreicht und, die Höflichkeit wie immer auch hierin nicht außer Acht lassend, nach unseren Gästen aufgestiegen waren, ging es in demselben Tempo wie bei der Herfahrt nach Stenay zurück. Unterwegs stieß auch wieder die Schwadron zu uns, die kurz vor der Einleitung des Gefechts uns verlassen und auf dem Eingangs erwähnten Höhenrücken zur Beobachtung und Sicherung unserer Arbeiten Stellung genommen hatte.

Ich vermag nicht den tollen Jubel zu schildern, der sich unser mach solch einem Coup auf der ganzen Heimfahrt bemächtigte und der sich in Hurrahs auf unsern Hauptmann gipfelte, wenn derselbe sich den Wagen näherte. Mit Ausnahme des Capitäns schienen sich auch unsere Gefangenen, sämmtlich dem 66. Linien-Infanterieregiment angehörend, sehr bald mit ihrem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_106.jpg&oldid=- (Version vom 1.5.2020)
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