Verschiedene: Die Gartenlaube (1872) | |
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Behandlungsart finden. Dort sei der Gedanke, der im zweiten Verse ausgedrückt, gewissermaßen als der Rahmen des ganzen Liedes benutzt worden.
Etwas neugierig folgte ich der gewiesenen Spur und schlug The village lay auf. Ich fand zu meiner Ueberraschung, daß dies unser all- und altbekannter Lauterbacher sei, gewissermaßen der Patriarch aller Schnaderhüpfel, der damals voranging, als sie in die gebildeten Stände eingeführt wurden. Ich hörte das Liedlein schon im Jahre 1827 singen, aber damals hieß es noch: „Z’ Pfeifenberg“ etc., was um so mysteriöser, als es im ganzen Königreiche Baiern kein Pfeifenberg giebt. Und in diesem Umkreise sollte es sich doch nothwendig finden, denn der Lauterbacher ist, wie unter den Kennern feststeht, kein Almenlied, keine Tiroler Melodie, sondern im Unterland, vielleicht im bairischen Wald oder gar noch nördlicher entstanden, – eine Meinung, die auch dadurch nicht erschüttert wird, daß sich Felix Rainer in England als den Erfinder der Melodie ausgab.
In der jetzt gültigen Lesart lauten also die beiden ersten Verse jenes merkwürdigen Liedes bekanntlich:
Z’ Lauterbach hab’ i mein Strumpf verlor’n;
Ohne Strumpf geh’ i nit heim –
und der zweite Vers soll also der Rahmen sein, in welchen der Uebersetzer seine ganze Umdichtung hineingemodelt hat. Dieser zweite Vers nun lautet, aus dem Englischen übertragen in’s Schnaderhüpfel-Deutsch, etwa folgendermaßen:
Lieber Vater, hör’ mir zu
Sagt a junger Hüterbue,
Vater, gieb mir bald a Kue
Und a Häusel ah dazu,
Daß i Hochzeit halten kann;
’S Warten kommt mich gar z’ hart an.
Die Freiheiten, „die jedem Uebersetzer zukommen“, scheinen hier allerdings vollkommen gewahrt zu sein; aber daß Herr Ball als „maßgebende Idee“ des Liedes nicht den verlornen Strumpf erkannt und diesen in seinen Rahmen aufgenommen, ist doch höchst auffallend! Indessen, je weiter wir vergleichen, desto fester wird unsere Ueberzeugung, daß es eigentlich nur stellenweise auf eine Uebersetzung abgesehen war, und daß sich Herr Ball in der Hauptsache begnügte, seine eigenen Ideen, die er hin und wieder etwas alpenhaft färbte, in das tirolische Metrum zu gießen. Im dritten Hefte, das dem Earl von Stanhope gewidmet ist, tritt übrigens ein neuer Uebersetzer ein, Herr T. H. Baily, der sich aber, wenn möglich, noch mehr Freiheiten herausnimmt als sein Vorgänger. Doch ist er auch noch aufrichtiger als dieser, denn er erklärt im Vorwort einfach:
„Es mag nothwendig sein, zu bemerken, daß der Verfasser des Textes dieser Sammlung keineswegs eine Uebersetzung der Originale geben will, denn die außerordentliche Einfachheit der deutschen Worte trotzt fast jeder poetischen Uebersetzung. Der Autor hat jedoch versucht, dem Geist der Originale treu zu bleiben. Er hat den Gedanken der Worte wiedergegeben, so weit es möglich war, und er glaubt, in keinem Falle von dem Sinn der Worte abgewichen zu sein.“
Nach dieser Vorrede mag sich Jeder selber denken, wie Herr Baily in diesen Schnaderhüpfeln und Almenliedern herumgehaust hat; doch verzichten wir gern auf eine nähere Besprechung seiner Arbeit.
Wie dem aber auch sei, diese tirolischen Lieder, these wild inimitable songs, diese wilden unnachahmlichen Gesänge in ihrer englischen Verballhornisirung hatten damals einen Erfolg in Großbritannien, den die Insulaner selbst bewitching und bewildering, d. h. bezaubernd, nannten. Von den Bädern von Brighton bis hinauf zu den Shetlands-Inseln schwelgten Albions blonde Töchter in diesen Tyrolese melodies. Fräulein Sontag, welche 1828 ebenfalls nach London gekommen, hatte sich den „schönen Schweizerbua“ als Liebling ausersehen, und trat in keinem Concert mehr auf, ohne diesen wilden und unnachahmlichen Gesang mit unerschütterlichem Beifall herunter zu jodeln. Ja, die ganze musikalische Industrie Alt-Englands warf sich eine Zeit lang auf die Almenlieder. Das dritte Heft enthält eine Anzeige von sechsunddreißig „Arrangements“ für Guitarre, Piano, Harfe, Flöte, Waldhorn, Violine, für zwei, drei, vier dieser Instrumente zusammen; für eine, zwei, drei, vier Singstimmen, als Walzer, als Quadrillen, kurz, in jeder denkbaren Weise.
Aber die Almenlieder selbst? Darf man auch jetzt nach vierzig Jahren noch ihre Reize näher untersuchen und mit der kritischen Hechel darüber fahren? Wir wagen es, denn die Gebrechen, die sich in der Rainer’schen Liedersammlung von Anno Achtundzwanzig zeigen, sie finden sich auch noch in den heutigen.
Die eigentliche Ur-, Grund- und Lieblingsform des Almengesangs ist nämlich das Schnaderhüpfel – die bekannten vier Zeilen mit je zwei Hebungen. Ihre Zahl ist unzählbar; sie blühen und verwelken fort und fort und erneuern sich täglich in unverwüstlicher Fruchtbarkeit. Nach ihren Melodien läßt sich singen und tanzen; sie entsprechen daher dem täglichen Bedürfniß der Jagersbuben und der Sennerinnen. Sie reichen aber nicht hin, um einen Concertabend auszufüllen, zumal vor einem Publicum, das den epigrammatischen Text nicht versteht, was bei den Tirolersängern doch häufig der Fall war.
Diese fanden sich daher bald gedrungen, nach Abwechselung zu trachten und bunte Reihe herzustellen. Allein die Lieder, welche in mehreren Strophen einen zusammenhängenden Gedanken durchführen und nach einem andern und längern Rhythmus als die Schnaderhüpfeln gesungen werden, die eigentlichen Almenlieder, sind nicht zahlreich. Sie bringen sich auch neben jenen, die sich viel leichter merken lassen, nur mühsam fort; die älteren sind meist halb vergessen, nur stückweise noch bekannt, in den jüngeren macht sich nur zu häufig der hochdeutsche Finger des Schullehrers bemerkbar. So zogen denn schon die Rainer allerlei fremdartige Surrogate herbei, und als solches erlebte z. B. auch das bekannte „Sagt er“ (Wennst in Himmel, sagt er, willst kömma, sagt er, mußt Handschuh, sagt er, mitnehma etc.) das Glück, damals vor Georg dem Vierten gesungen zu werden, ein unverdientes Glück, da es keine Tyrolese melody, sondern aus einer Posse, „Die Wiener in Berlin“, entlehnt ist. Aus ähnlicher Quelle stammt auch das ehemals so gern gehörte „War’s vielleicht um eins, war’s vielleicht um zwei“, welches ebenfalls im Coventgarden gesungen und beklatscht worden ist. Diese der Bühne entlehnten Stücklein kamen nun in der Regel so ziemlich gut weg, aber die eigentlichen Almenlieder wurden oft bitterlich mißhandelt. Namentlich wenn sie zu kurz waren, d. h. wenn man im Zillerthal nur noch einige Trümmer des Textes auftreiben konnte, während die anderen Stücke verloren gegangen, entblödeten sich die Sänger keineswegs, irgend etwas Beliebiges hinzuzusetzen oder selbst etwas anzudichten.
So sehen wir z. B., daß „Der Fuhrmannsbua“, ein niederbairisches Lied, das jetzt in volksthümlichen Liederbüchern mit neun oder zehn Strophen vorkommt, hier nur in zwei G’sätzeln erscheint, deren zweites lautet:
Kellnerin, leb’ wohl und vergiß mich nicht;
I muß jetzt scheiden von Dir.
I kann nit bei Dir bleiben,
Denn i muß fahren nach Trier.
Die letzte Zeile ist entschieden unecht und lächerlich, denn es ließe sich wetten, daß unter tausend niederbairischen Fuhrmannsbuben nicht einer zu finden ist, der je von der allerdings berühmten Stadt Trier gehört hätte.
Hier haben sich nun die Natursänger mit einem sehr verstümmelten Torso begnügt und nur eine unbedeutende Restauration versucht, aber „der schöne Schweizerbua“ war nicht so glücklich, denn dieser mußte sich folgende höchst bedenkliche Schlußstrophe aufhalsen lassen:
Frau Wirthin, schenk’ nur fleißig ein,
Sei es Bier oder sei’s Champagnerwein.
Schenk’ nur ein, wir trinken’s wiederum aus
Und gehen dann froh nach Haus!
Der Champagnerwein, der den Tiroler Thölerern (Thalbewohnern) in den zwanziger Jahren gewiß noch ebenso fremd war, wie den niederbairischen Fuhrmannsbuben die berühmte Stadt Trier, er bürgt allein schon dafür, daß diese Strophe nicht auf den Almen entstanden sei. Er drängt sich aber auch in einem andern Liede, welches „Der genügsame Jäger“ überschrieben ist, sehr ungeziemend ein.
Dieses Lied beginnt ganz leidlich: „Wenn i auf die Alma geh, den Stutzen an der Seit’“, schließt dann aber mit folgender dritter Strophe:
Wie man herzlich froh kann sein,
Das sieht man in Tirol;
Man braucht hier nicht Champagnerwein,
Befindet sich doch wohl;
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_108.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)