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Seite:Die Gartenlaube (1872) 602.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

wie einem Schlafenden, dem ein beängstigender Traum das Hirn umnebelt. War denn dies Alles nicht wie ein toller Traum, daß er in Dollan auf der Giebelstube stand und in den matten Lichtschimmer starrte, der aus dem Fenster gerade unter ihm auf die dunklen Büsche fiel? aus dem Fenster der Stube, in der sie einst als Mädchen geschlafen und in der sie jetzt an dem Bettchen ihres Kindes wachte, ihres und seines –

Gotthold sank an dem Fenster auf einen Sessel und preßte die heiße Stirn in die Hände.

Ein Windstoß, der durch die raschelnden Bäume sauste, weckte ihn aus seinem schmerzlichen Brüten. Er richtete sich schauernd in die Höhe. Seine Glieder flogen wie im Fieber. Er schloß das Fenster und warf sich im Dunkeln – das Licht, das er mitgebracht, war längst erloschen – auf das Bett. Es war dasselbe noch, in welchem er als Knabe und Jüngling so oft geschlafen, und es stand noch auf demselben Platz. Er hatte es, als er vorhin in das Zimmer trat, wohl bemerkt. Jetzt dachte er wieder daran und daß, wie er zum letzten Mal hier gelegen – vor zehn Jahren in der Morgenfrühe der Nacht, deren erste Hälfte er im Strandhause bei Vetter Boslaf zugebracht, und ein paar Stunden später, wenn sie unten wach waren, wollte er hinabgehen und Lebewohl sagen – für immer – ja, da hatte er auch seine brennende Stirn hierhin und dorthin gewandt auf dem Kissen und hatte keine Ruhe finden können.

„Nach so langem Umherschweifen in der weiten Welt zurückgewirbelt zu derselben Stelle, in dieselbe enge Kammer, derselbe, der ich damals war! Nein, nicht derselbe! ärmer, so viel ärmer!

Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
War die Welt mir voll so sehr,
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War Alles leer!

Leer, Alles leer!“ murmelte er, als ob er mit den brennenden überwachten Augen die trostlosen Worte abläse von der weißen Wand ihm gegenüber, auf deren leerer Fläche mit dem Dunkel der Nacht das erste Grauen des Morgens unheimlich spielte.


(Fortsetzung folgt.)




Die deutsche Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung.


Wer erinnerte sich nicht der Geschichte jenes Scipio, der auf den Trümmern Carthagos weinend der Zukunft des eignen römischen Vaterlands gedachte? Und wahrlich! der Held hatte Recht mit dieser Wehmuth. Sie stammte aus der richtigen Erkenntniß, daß keine Macht groß genug ist, eine einmal errungene Stufe länger zu behaupten, als die innere Tüchtigkeit dauert, die sie dorthin erhoben.

Betrachtungen solcher Art drängten sich denkenden deutschen Vaterlandsfreunden auf, als das napoleonische Kaiserthum durch den Schlag von Sedan plötzlich zerschmettert und durch den Pariser Straßenauflauf vom 4. September spurlos hinweggeblasen worden war. Wo war jetzt das Urtheil jener sieben Millionen Stimmen, die dasselbe noch vor Kurzem bejaht hatten? Mußte man sich nicht sagen: was ist das Urtheil der Menge, wenn nicht jedem Einzelnen in ihr gesunder Menschenverstand und Einsicht innewohnt? Und ferner: war nicht an dem Tage, wo Deutschland jener frevelhafte Krieg erklärt worden war, durch die Verkündigung der Unfehlbarkeitslehre ein gleich frevelhafter Angriff vom römischen Papste gegen die menschliche Vernunft gemacht worden? Und wie hatte hierauf das Urtheil der großen Menge in Deutschland gelautet? Mit Ehrfurcht und Unterwerfung hatte die Masse der katholischen Priester und Laien diese Verkündigung hingenommen, und als sie zu den politischen Wahlen gerufen wurden, sandten sie eine verstärkte Anzahl der Anhänger dieser geschichts- und vernunftwidrigen Lehre in den preußischen Landtag und in den deutschen Reichstag! Andererseits predigte die Geschichte dieses Krieges laut, wie auch die der jüngst vergangenen Zeit, daß der Erfolg der Waffen wesentlich von der geistigen und sittlichen Bildung der Gesammtheit des Volkes abhängt, das sie führt.

So wandte sich der Blick jener Vaterlandsfreunde, ungeblendet durch die gleichzeitigen glänzenden Siege, schon damals den heimischen Bildungszuständen zu. Wie viel war da zu thun, wie wenig Grund zur Ueberhebung war da vorhanden! In Preußen Herr v. Mühler und um ihn die Wiese, Stiehl, Bormann etc., alle dauerhaft wie er und in der Wolle gefärbt, das höhere Schulwesen verknöchert, die Volksschule im Unkraute der Regulative erstickt, die Lehrerbildung in jesuitisch geleitete Seminarien verwiesen, viele Tausende von Lehrerstellen unbesetzt, noch mehr Tausende, wo die bittere Noth aus allen Ecken schrie, die aus freier Strebekraft des Volkes entstandenen Bildungsvereine endlich mit wenigen Ausnahmen verkümmert und oft genug von einer beschränkten Bureaukratie gehudelt, geächtet und ihrer meist abhängigen Lehrkräfte durch Einschüchterung beraubt. Und wie sah es ferner in Altbaiern, Mecklenburg und einigen anderen Mittel- und Kleinstaaten aus! Hieß es nicht die Früchte der herrlichen, kostbar erkauften Siege schon jetzt verkümmern lassen, wenn hier nicht Abhülfe geschafft wurde?

Dazu kommen die Umtriebe verschiedener socialdemokratischer Parteien, die offen den blutigsten Classenhaß auf ihre Fahnen geschrieben hatten und die Tausende von urtheilslosen Arbeitern zu Spielbällen in der Hand ehrgeiziger und zum großen Theil arbeitsscheuer Agitatoren machten.

Den Siegern über den äußern Feind stand also im Innern ein viel mächtigerer und schwerer zu überwindender Feind gegenüber: die Unwissenheit, ja man durfte stellenweise sagen: die geistige Umnachtung der Massen. Auf diese gestützt, schürten die clericalen und socialdemokratischen Volksverführer einen Haß, der ihnen zur Vernichtung der gesammten modernen Cultur, der Wissenschaft, des Rechtes und des Besitzes verhelfen sollte, um auf ihren Trümmern die alleinige Despotie der Kirche oder die große Maschine des Wirthschaftsstaates zu errichten.

Was helfen gegen den Fanatismus Bajonnete! Aufklärung, Belehrung, dauernde geistige Entwickelung that hier Noth. Da lenkten sich die Blicke einiger rheinischer Männer auf das Volksbildungswesen. In einer Leipziger Wochenschrift erschien im Januar 1871 ein Aufsatz über „den gegenwärtigen Zustand des freiwilligen Bildungswesens in Deutschland“. Er legte die falsche Politik, welche Behörden und Regierungen besonders in Preußen gegen die Bildungsvereine bisher verfolgt hatten, in ihrer Thorheit und Verderblichkeit bloß und deutete die ersten Grundzüge zu einer Reform der freien Volksbildungspflege an. Während sich um die hier aufgestellten Grundzüge eine Anzahl von Männern sammelte, traten in Paris die Schrecken der Commune ein und zeigten die chaotische Auflösung einer Gesellschaft, die völlig vergessen hatte, daß der Mensch nicht vom Brode allein lebt.

Vom Rhein her wurde die Bewegung für das Volksbildungswesen nach Berlin getragen. Ein von hier aus im März verbreiteter Aufruf sprach den Satz aus: „Seit der Einführung des allgemeinen und directen Stimmrechts ist die Freiheitsfrage zu einer Frage der Bildung der Massen geworden.“ Dieser Aufruf forderte mit besonders dringender Mahnung an die großen Arbeitgeber und die Besitzenden überhaupt zur Bildung einer „Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung“ auf, die sich folgende Ziele stecken sollte: 1) Gründung von Bildungsvereinen in allen städtischen und ländlichen Orten, die deren noch nicht besitzen; 2) Herstellung einer Verbindung zwischen den bereits bestehenden Vereinen dieser Art; 3) Gründung eines Blattes, welches ausschließlich den Interessen des freiwilligen Bildungswesens gewidmet ist; 4) Aussendung von Wanderlehrern; 5) Abfassung und Verbreitung guter Volksschriften. Die Unterzeichner, unter denen sich Brehm, Franz Duncker, v. Holtzendorff, Friedrich Kapp, Julius Knorr, Löwe, E. Rittershaus, Schulze-Delitzsch, Ed. Pfeiffer u. a. m. befanden, gehörten allen Schattirungen des freisinnigen Deutschlands an.

Bezeichnend ist, daß die kirchlichen und conservativen Parteien gegen diese auf Hebung der Volksbildung gerichtete Bewegung von Anfang an eine feindselige Stellung einnahmen. Die „Nordd. Allg. Zeitung“ verhöhnte geradezu in einem ihrer Leitartikel das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_602.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)
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