Verschiedene: Die Gartenlaube (1872) | |
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seine zweite Heimath hat, Anhänger in Hülle und Fülle. Aber auch die übrigen Staaten bleiben nicht zurück, wie dieses namentlich die Organe der Spiritualisten und die zahllosen Broschüren und Werke, in welchen der Blödsinn dieser Tausendkünstler plausibel gemacht wird, beweisen. Das Broschürenschreiben, wobei bald Dieser, bald Jener seine Erlebnisse und Conferenzen mit den Geistern mittheilt, scheint dort zu einer wahren Seuche geworden zu sein, und wenn man diese Schreibereien, von denen mir mehrere vorliegen, die ich als Geschenk von dem Herrn Fabrikanten erhalten, durchliest, könnte man leicht auf die Meinung geführt werden, daß das liebe Amerika einen ungeheuren Mangel an Irrenhäusern haben müsse, da man so viele hirnverrückte Sauertöpfe frei herumlaufen läßt. So werden in einer von einem gewissen Samuel H. Paist in Philadelphia herausgegebenen siebenundvierzig Seiten starken Broschüre Geschichten über den Geisterverkehr aufgetischt, bei welchen man nicht weiß, ob man die Bornirtheit oder die Frechheit, mit welcher sie als pure Wahrheit und Selbsterlebtes vorerzählt werden, mehr bewundern soll. Unser Erstaunen muß sich noch steigern, wenn wir vernehmen, daß die Mitglieder dieser Geisterklopfer- und Geisterschreibergesellschaften zum größern Theile aus Leuten bestehen, bei denen man etwas Bildung und Scharfsinn voraussetzen könnte. Wir finden da Doctoren und Professoren der Medicin, Geologen, Geistliche, Mathematiker, Schriftsteller und ähnliche Gelehrte vertreten, so daß es fast scheint, als habe das Sprüchwort „Je gelehrter, je verkehrter“ seine eigentliche Heimath in Amerika.
Wie weit übrigens die Dummheit geht, mag schon daraus erhellen daß z. B. der Schreibmaschinenfabrikant, trotzdem er ja die Apparate fertigt, fest und treu an den wirklichen Verkehr mit den Geistern glaubt und sich durch nichts auch nur ein Haar breit von seinem Glauben abbringen läßt. Freilich giebt er zu, daß die Maschine an sich nichts Uebernatürliches habe, sondern nur das Werkzeug sei, womit sich eben der Geist dem Menschen begreiflich machen könne, und muß dieses sogar thun, denn es wäre doch wahrlich etwas zu viel zugemuthet, wenn man von den Leuten verlangen würde, zu glauben, daß dieser ehemalige Schneidergeselle durch irgend ein überirdisches Vermögen seinen Fabrikaten ein Selbstbewußtsein einpflanze. Aber nehme man die Sache so gelind, wie man wolle, so ist dieselbe doch immer mehr oder weniger ein Betrug, und es ist geradezu unbegreiflich, wie in der letzten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts dergleichen noch möglich sein kann. Wie mir der Fabrikant ganz offen selbst mittheilte, hatte er anfänglich die ganze Geisterbannerei auch nicht so recht glauben können. Die Gesellschaft indessen, in welche er durch seinen Lehrer Dr. Ackley eingeführt wurde, hatte ihm eines Abends den Glauben beigebracht, der von dieser Zeit an dann fest saß. Er erzählte nämlich, eines Abends habe man erklärt, daß Tische und Stühle, ohne daß sie ein Mensch berühre, herumspazieren könnten, sobald nämlich der dazu gehörige Geist gefunden und Diejenigen beisammen wären, die an ihn glaubten. Er habe zu diesen Erklärungen die Achsel gezuckt und scherzweise geäußert, ein wahrer Geist werde doch wahrlich nicht in Tische und Stühle fahren – und siehe da, kaum eine Minute später habe ein Tisch gerückt und sei dann wirklich in der Stube herum- und auf ihn zugegangen; er habe sich dann in eine Ecke gedrückt und der Tisch sich schließlich fest vor ihn hin gestellt. Nach einiger Zeit sei derselbe dann wieder in Bewegung gekommen und an seinen alten Platz hin spaziert. Seit jener Zeit vermöge ihm nun kein Mensch den Glauben an ein Hereinragen überirdischer Mächte streitig zu machen, was seine Augen gesehen, glaube sein Herz, etc. Uebrigens habe er auch später einige Male sich den Tisch genauer betrachtet und nichts davon wahrgenommen, was etwa auf Taschenspielerei oder Täuschung hindeuten könne. – In was der Hokuspokus eigentlich bestand, den man dem Fabrikanten vorgezeigt, wollen wir nicht untersuchen, ebensowenig, ob die Gesellschaft, die ihn überführte (?), aus überspannten Selbstbetrügern oder Betrogenen zusammengesetzt war.
Um nun auf meinen Amerikaner zurückzukommen, so habe ich schließlich nur mitzutheilen, daß, wie ich schon erwähnte, sein Geschäft noch blüht. Der Mann beschäftigt eine große Anzahl Menschen mit der Zusammensetzung der famosen Maschinen, und obgleich dieselben im Verlaufe der Zeit im Preise gefallen sind, macht er doch immer noch eine gute Einnahme damit. Die Dummen werden nicht alle!
Man sollte meinen, daß die Natur veredelnd auf die Menschen einwirke, die täglich den Genuß dieses großen Theaters, das rings um sie aufgebaut ist, vor Augen haben. – Ich bin auf meinen Reisen fast immer das Gegentheil gewahr worden.
In Constantinopel widersprechen sich Natur und Menschen wie Tag und Nacht, doch hier in Neapel, dieser paradiesisch schönen Stadt, erscheint der Gegensatz noch stärker. – Erlauben Sie mir, einen Beweis für die Wahrheit meiner Behauptung zu bringen.
Die Neapolitaner haben zwei Kirchhöfe, das Campo santo nuovo und das Campo santo vecchio (den neuen und den alten Friedhof), beide an der nordöstlichen Seite der Stadt, nicht weit von einander entfernt. Das Campo santo nuovo liegt auf der Höhe unter Poggio reale in der Richtung nach Nola zu mit herrlichem Blick auf die Stadt, das Meer und die Berge. Ich möchte es mit einem Garten vergleichen, voll der schattigsten Bäume und Blüthen, die mit ihrem narkotisch süßen Duft die Luft erfüllen, voll Oleander, Amaranten, Tulpenbäumen, Hortensien, blühenden Myrthen allüberall. Hier stehen die Grabmonumente, meistens von der Form sehr zierlicher Säulentempel, die bisweilen ganze Straßen bilden, da sie auf beiden Seiten sich aneinanderreihen. Andere stehen in Gruppen vereint, oder schließen sich zu einer kleinen Todtenstadt zusammen. Auf den Giebelseiten der einzelnen Grabmonumente liest man die Namen der Brüderschaften Neapels; diese bilden gegen zweihundert Vereine, welche die Besitzer der Grabmäler und Veranstalter der Begräbnisse und gleichzeitig treffliche sociale Gemeinschaften sind, da sie auch Kranke und Nothleidende pflegen. Andere Monumente sind Familiengräber, über ihnen befindet sich eine kleine Capelle, welche durch eine Gitterthür verschlossen ist und einen Einblick in das Innere gewährt. Ein kleiner Altar, ein Madonnenbild, die ewige Lampe, Bilder und Büsten der Todten bilden die innere Ausstattung derselben. In ihnen halten die Zurückgebliebenen ihre Andacht ab in dem tröstenden Gedanken, daß die geliebten Todten nicht weit von ihnen weilen. Auf der Höhe des Hügels erhebt sich eine Säulenhalle und eine Kirche, in welcher Todtenmessen gehalten werden; zwölf Capucinermönche wohnen in der Nähe dieser Kirche in einem zierlichen kleinen Kloster, wo sie ihren Gottesdienst halten.
Die Grabmonumente erinnern mit ihren heitern und sinnreichen, angenehmen und graciösen Formen an die der Alten; ja viele sind sogar nach pompejanischer Weise mit Farben geschmückt; und nun diese entzückende Lage inmitten der erhabenen Natur! Muß dies nicht dem klagenden Auge des Zurückgebliebenen wie ein Trost und eine Versöhnung mit seinem Schicksale erscheinen? Dort dehnt sich das gesegnete Campanien, das azurblaue Meer, die fernen Küsten von Sorrento und Castellamare und der weite Gürtel des Vesuv mit unzähligen Ortschaften zu seinen Füßen; das Alles winkt uns wie aus einer andern Sphäre des Raumes und des Lichtes beruhigend entgegen, und da zieht wohl unwillkürlich der Wunsch auch in unser Gemüth, einst so gebettet zu liegen wie diese Todten hier. – Man sieht, die Neapolitaner haben für die ehrende Bestattung ein tiefes Verständniß, aber um so befremdender und verletzender, ja ich möchte sagen, empörender erscheint es, zu welcher Rohheit und Uncultur sie sich bei denjenigen Verstorbenen herabwürdigen, die ohne Besitzthum von dieser Welt scheiden.
Auf dem Campo santo nuovo giebt es drei Classen von Begräbnissen, die je nach dem Preise mit größerem oder geringerem Luxus ausgestattet werden. Die dritte Classe für die Armen besteht in der einfachen Beisetzung des Todten in einem Sarge und ist für zwanzig Franken zu erschwingen. Wer diese aber nicht zurückläßt, dem ist das Campo santo nuovo überhaupt nicht zugänglich und er kommt dann auf das Campo santo vecchio. Das ist der große Armenkirchhof Neapels; wer jedoch nur einem einzigen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_606.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)