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Seite:Die Gartenlaube (1876) 211.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

„Sage mir doch, wann ich Dir die Mittheilung hätte machen sollen!“ fuhr die Präsidentin fort. „Vielleicht gestern, wo Du beim Nachhausekommen kaum den Kopf zur Thür hereinstecktest, um mir und meinem Besuche guten Abend zu bieten? Oder im Hause des Doctors selbst, wo ich keinen Augenblick mit Dir allein war, und wo Dich das pauvere Hauswesen Deines Bräutigams in die übelste Laune versetzte?“

„Das war Dein Kummer, liebe Großmama, wie Du die Güte haben wirst, Dich zu erinnern; was mich betrifft, so übertreibst Du.“

Käthe öffnete weit die ehrlichen, braunen Augen vor Erstaunen über dieses kecke Verleugnen – das gestern gegen die „spukhafte Spelunke“ geschleuderte Anathema klang noch in ihren Ohren.

„Mit Dir ist schwer rechten; ich kenne Dich schon. Bei aller bis zum Ueberdrusse an den Tag gelegten derben Wahrhaftigkeit verschmähst Du doch die Schlupfwinkel des Leugnens nicht, wo es Dir gerade paßt,“ zürnte die Präsidentin und schob mit einer ziemlich heftigen Handbewegung das vor ihr auf dem Tische liegende Manuscriptenpacket weiter. Der Umschlag löste sich wieder, und der mit den „langbeinigen Krakelfüßen“ geschriebene Titel kam zum Vorscheine.

„Ah, spricht das wieder einmal vor auf seinem Zickzackwege durch die Welt?“ fragte sie und zeigte mit dem Finger auf die Papiere. Ihr Ton bewies, daß die Frau der weisen Mäßigung auch schneidend malitiös werden konnte. „Ich dächte, Du gönntest ihm endlich die Ruhe im Papierkorb. Dieses fortgesetzte Angebot von Seiten eines meiner Angehörigen und die consequente Zurückweisung der Buchhändler wird mir nachgerade unerträglich. Ich möchte wissen, wie Du es aufnehmen würdest, wenn eines von uns Deine ‚hervorragende geistige Begabung‘ auch nur mit einem Worte anzweifeln wollte, und da lässest Du es Dir alle vier, fünf Wochen schwarz auf weiß sagen –“

„Echauffire Dich nicht unnöthig, Großmama! Du könntest leicht irren, wie gewisse andere Leute auch,“ unterbrach Flora sie zornbebend; ihr Blick streifte dabei entrüstet die junge Schwester. Der Backfisch hatte ja schon gestern Abend ein ähnlich absprechendes Urtheil mit angehört. „Du bist verstimmt, weil Du an Bär eine einflußreiche Stimme bei Hofe verlierst; je nun, ich verdenke Dir das im Grunde nicht, liebste Großmama, denn Bruck wird sich schwerlich dazu verstehen, Deine kleinen Interessen bei unseren Herrschaften zu vertreten, vielleicht nicht einmal mir zu Liebe; das ist fatal für Dich, aber ich sehe trotzdem nicht ein, weshalb ich armes Opfer es nun ausbaden soll. Ich werde mir erlauben, mich zurückzuziehen, bis das Wetter im Hause wieder klar ist.“ Sie raffte die auseinanderfallenden Blätter des Manuscriptes zusammen und verschwand wie eine blaue Wolke hinter der Thür ihres Ankleidezimmers.

„Sie ist doch unberechenbar excentrisch,“ sagte die Präsidentin mit einem Seufzer. „Von ihrer Mutter hat sie nicht eine Ader; die war die Sanftmuth und Fügsamkeit selbst. … Mangold hat sehr gefehlt darin, daß er sie so frühe die Honneurs in seinem Hause machen ließ. Ich habe genug dagegen geeifert, aber das war Alles in den Wind gesprochen. Du weißt ja am besten, Moritz, wie obstinat Mangold sein konnte.“

Käthe schritt nach der Thür, um das Zimmer zu verlassen. Die allzufrühe Selbstständigkeit war für Flora allerdings verderblich gewesen, das ließ sich nicht mehr leugnen, aber das junge Mädchen konnte es doch nicht mit anhören, daß ihrem verstorbenen Vater in so verletzender Weise der Vorwurf gemacht wurde, daß – er der Frau Schwiegermutter aus guten Gründen das Herrscheramt in seinem Hause verweigert habe.

Der Commerzienrath folgte ihr und ergriff ihre Hand. „Du bist so blaß, Käthe, so erschrecklich ernsthaft und still,“ sagte er. „Ich fürchte, Du stehst noch unter dem Eindrucke des gestrigen Vorfalles und leidest, armes Kind.“ Das klang nichts weniger als vormundschaftlich.

„So verändert in der Gesichtsfarbe und so nachdenklich ist Käthe schon seit einigen Tagen,“ warf die Präsidentin rasch ein. „Ich weiß, was ihr fehlt: sie hat Heimweh. Du darfst Dich darüber nicht wundern, bester Moritz. Käthe ist an das Stillleben in kleinbürgerlichen Verhältnissen gewöhnt; dort wird sie vergöttert; um das reiche Pflegetöchterchen dreht sich schließlich Alles in dem kleinen Hauswesen. Wir können ihr das mit dem besten Willen nicht bieten. Wir leben zu sehr in der Welt; unsere gesellschaftlichen Formen, die Elemente unserer Kreise sind so ganz andere, daß sie sich bei uns entschieden unbehaglich und bedrückt fühlen muß“ – sie trat näher und streichelte[WS 1] mit linder Hand die Wange des jungen Mädchens – „hab’ ich nicht Recht, mein Kind?“

„Es thut mir leid, aber ich muß ‚nein‘ sagen, Frau Präsidentin,“ versetzte Käthe mit ihrer festen Stimme; dabei bog sie den Kopf mit einer entschiedenen Bewegung zurück – es nahm sich aus, wie ein Protest gegen jegliche fernere Liebkosung. „Ich werde nicht vergöttert, und es dreht sich auch nicht Alles um ‚den Goldfisch‘“ – sie lachte leise und schalkhaft aus – „der arme Goldfisch spürt die Zügel einer consequenten Erziehung mehr als je; ein Versehen im Hauswesen wird mir weit schwerer verziehen, seit ich die reiche Erbin bin. Und so bedrückend fremd, wie Sie meinen, sind mir die vornehmen Elemente Ihrer Kreise auch nicht. Der Staatsminister von B. ist einer der Auserwählten, die zu dem kleinen Abendzirkel meiner Pflegeeltern gehören. Unser Salon ist freilich so eng, daß keine Spieltische aufgestellt werden können, aber einige Professoren der Akademie, Freunde des Doctors, halten interessante Vorträge; öfter kehren auch musikalische Celebritäten bei uns ein, und dann wird unverdrossen, mit wahrer Lust auf meinem schlechten Pianino musicirt.“ Um ihre Lippen schwebte wieder der ganze Liebreiz jugendlicher Heiterkeit, aber auch ein Zug von Sarkasmus trat hervor – sie hatte in der That eine „streitbare Ader“ in sich.

„Ich bin, Gott sei Dank, so erzogen, daß ich dem Heimweh nicht die geringste Macht einräume, sobald ich weiß, daß ich irgendwo nöthig bin,“ wandte sie sich an den Commerzienrath. „Damit lasse Dich nicht schrecken, Moritz! Erlaube mir vielmehr, auf unbestimmte Zeit hierzubleiben – Henriette’s wegen!“

„Mein Gott, ich habe ja selbst keinen anderen Wunsch, als Dich hier zu behalten,“ rief er mit einem Feuer, das selbst dem jungen Mädchen verwunderlich erschien.

Die Präsidentin stand wieder am Tische und ließ die Blätter eines vor ihr liegenden Buches unter ihrem Daumen hinlaufen, und die gesenkten Augen hingen so nachdenklich an diesem Spiel, als sehe und höre sie nichts anderes. „Es versteht sich ja von selbst, daß Du bleibst, so lange es Dir gefällt, meine liebe Käthe,“ sagte sie gleichmüthig, ohne aufzusehen. „Nur darf dieses Bleiben beileibe nicht den Anstrich einer Aufopferung erhalten; dagegen müssen wir uns entschieden verwahren. Nanni pflegt unsere Kranke musterhaft, und auch meine Jungfer ist angewiesen, Nachts beizuspringen, wenn es nöthig ist. Du könntest sie ohne Sorge verlassen.“

„Mag doch das Motiv sein, welches es will, theuerste Großmama, es genügt, daß Käthe in unserer Mitte zu bleiben wünscht,“ fiel der Commerzienrath lebhaft ein – er konnte den Blick nicht wegwenden von dem Mädchen, das sich unverkennbar die eigene Ueberzeugung durch beschwichtigende Worte nicht übertäuben ließ. „Sieh, im frohen Vorgefühl, daß wir Dich hier behalten werden, mein Kind, habe ich den neuen Flügel“ – er unterbrach sich und küßte ekstatisch Daumen und Zeigefinger der rechten Hand – „Du bekömmst ein Instrument, Käthe, gegen welches das drüben im Musiksalon ein Klimperkasten ist; ich habe es, sage ich, gleich direct hierher dirigirt.“

„Aber, Moritz, so ist das nicht gemeint,“ rief das junge Mädchen rückhaltslos mit großen, erschrockenen Augen. „Gott bewahre mich! Dresden ist und bleibt meine Heimath und die Villa Baumgarten meine Besuchsstation“ – sie lachte mit ihrem ganzen Muthwillen auf; „soll ich den Flügel immer als Gepäckstück mitschleppen?“

„Ich bilde mir ein, daß Du eines Tages in Bezug auf Dresden ganz anders denkst,“ versetzte er mit einem feinen, ausdrucksvollen Lächeln. „Der Flügel wird morgen hier eintreffen und bis auf Weiteres in Deinem Zimmer placirt werden.“

Die Präsidentin klappte denn Deckel des Buches zu und legte die schmale, weiße Hand darauf. „Du triffst andere Dispositionen, als ausgemacht war,“ sagte sie anscheinend gelassen. „Das bringt mich zwar sehr in Verlegenheit, aber ich bescheide mich gern. Ich werde heute noch an die Baronin Steiner schreiben, daß ihr für den Monat Mai angekündigter Besuch unterbleiben muß.“

„Aber ich sehe nicht ein, weshalb –“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: steichelte
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_211.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)
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