Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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„Weil wir sie nicht unterbringen können, bester Freund. Käthe’s Zimmer war für die Gouvernante bestimmt, die sie mitbringen wollte.“
Der Commerzienrath zuckte die Achseln. „Dann thut es mir leid – meine Mündel bleibt selbstverständlich, wo sie ist.“
Er opponirte! Er wagte es, mit kühler Ruhe in das zornblitzende Auge der empörten alten Dame zu sehen und es natürlich zu finden, daß die Frau Baronin von Steiner Käthe weichen müsse – er, der sonst Himmel und Erde in Bewegung setzen mochte, der kein Opfer scheute, wenn es galt, vornehme Gäste in sein Haus zu ziehen! Es wich von ihm plötzlich der im Verkehr mit exclusiven Kreisen angeflogene feine Lack der Außenseite, und die plumpe, gemeine Natur des Parvenü kann zum Vorschein. Er war ja nun selbst von Adel, und dazu reicher als die meisten seiner jetzigen Standesgenossen – hatte er doch eben wieder eine immense Goldernte eingeheimst – er konnte herausfordernd auf seine Tasche klopfen und – er that es.
Die alte Dame biß sich auf die Lippe. „Ich werde unverzüglich die nöthigen Schritte thun,“ sagte sie und nahm ihre Schleppe auf, um zu gehen. „Beneidenswerth ist die Situation, in die ich ohne mein Verschulden gedrängt bin, durchaus nicht – das muß ich sagen,“ warf sie mit hochgezogenen Brauen, in bitterem Tone über die Schulter hin.
„Und das um meinetwillen?“ rief Käthe und trat mit ausgestreckter Hand einen Schritt näher, um das Hinausgehen der Präsidentin zu verhindern. „Moritz, es kann doch Dein Ernst nicht sein, daß ich junges Ding die Freunde der Frau Präsidentin verdrängen soll? Das geschieht ganz gewiß nicht. Habe ich denn nicht mein eigenes Heim? Ich quartiere mich sofort in der Mühle ein, wenn Frau von Steiner kommt.“
„Das wirst Du bleiben lassen, meine liebe Käthe; dagegen protestire ich selbst mit allen Kräften,“ versetzte die Präsidentin mit vornehmer Kälte, und jetzt brach aller Hochmuth, der dieser stolzen Weltdame innewohnte, aus ihren Augen. „Ich bin gewiß tolerant – Deine verstorbene Mutter hat sich nie über Unfreundlichkeit meinerseits zu beklagen gehabt, aber ein solch intimer Verkehr zwischen Villa und Mühle, ein solch ungenirtes ‚Hinüber und Herüber‘ widerstrebt mir denn doch in tiefster Seele, am allerwenigsten aber möchte ich diese Beziehung der scharfen Kritik meiner sehr streng denkenden Freundin ausgesetzt wissen.“ Sie neigte steif grüßend den Kopf. „Ich bin im blauen Salon zu finden, wenn Du mir die Herren vorstellen willst, Moritz.“ Damit ging sie hinaus.
Der Commerzienrath wartete mit spöttischer Miene, bis das Rauschen der Seidenfalten draußen verklungen und die entgegengesetzte Thür im Musikzimmer sehr hörbar zugefallen war, dann, indem sich seine Lippe höhnisch hob, lachte er leise in sich hinein.
„Da hast Du Deine Lection, Käthe!“ sagte er. „Gelt, es stecken recht scharfe Krallen in den Sammetpfötchen. Ja, kratzen kann sie, die alte Katze, daß es eine Art hat. Ich armer Tropf könnte Wundenmaale genug aufweisen, aber, Gott sei Dank, ihr Schicksal erfüllt sich endlich auch. Sie erlebt das Schlimmste, das ihr passiren kann: sie wird ungefährlich. Mit Bär’s Pensionirung ist ihr Einfluß bei Hofe und in der Gesellschaft gebrochen.“ Er rieb sich die Hände in lächelnder, unaussprechlicher Befriedigung. „Du weichst nicht um eine Linie, lieb Herz! Du hast mehr Rechte in meinem Hause als alle Anderen zusammen – merke Dir das!“
Er wurde unterbrochen. Ein eintretender Diener meldete, daß die fremden Herren in der Beletage den Herrn Commerzienrath erwarteten. Eiligst griff Moritz nach seinem Hute; er wollte Käthe den Arm reichen, aber diese schlüpfte verlegen an ihm vorüber, hinaus in den Corridor. Der Herr Vormund mit der befremdenden Zärtlichkeit in Ton und Geberden gefiel ihr ganz und gar nicht; seine kühlen, geschäftsmäßigen Briefe waren ihr lieber gewesen. Und welche merkwürdige Veränderung war sonst noch mit ihm vorgegangen! Unwillkürlich dachte sie an ihren neulichen Empfang in diesem Hause; noch hörte sie den ängstlichen Flüsterton, mit welchem der Commerzienrath sie auf den Respect hingewiesen, den sie der Präsidentin schulde, und jetzt machte er unehrerbietige Mienen hinter ihrem Rücken und fing an, ihrer bisher wirklich unumschränkten Machtvollkommenheit in seinem Hause unliebsame Grenzen zu ziehen. Das Alles erschreckte das junge Mädchen, war ihr unbegreiflich und so unheimlich, wie das dunkelpurpurne Zimmer voll dumpfer Luft und Bücherstaub, dem sie jetzt tiefaufathmend den Rücken wandte, um in das Haus am Flusse zurückzukehren.
Das Krankenzimmer im Doctorhaus sah am Nachmittag genau so aus, wie gestern, als man Henriette hineingetragen. Auf ihre leidenschaftlichen Bitten hin hatte der Doctor die vornehmen Eindringlinge aus der Villa wegschaffen lassen. Draußen im weiten Flur, auf dem rothen Backsteingetäfel standen sie in Reih’ und Glied, die apfelgrünen Lehnstühle, der elegante Ofenschirm, und um die einfache Thonvase mit dem Tannenstrauß gruppirte sich das vergoldete Waschgeschirr. Das Steingut war wieder zu Ehren gekommen, und die altmodischen Polsterstühle mit ihren schwarzen Serge-Bezügen standen an ihrem ehemaligen Platze. Dagegen sprang das erfrischende Silbergefunkel der kleinen, zerstäubenden Zimmerfontäne aus einem Kranz von grünen Topfgewächsen, und auf einem Tisch stand der große Käfig mit Henriettens Kanarienvögeln, den man auf den sehnsüchtigen Wunsch der Kranken aus der Villa herübergeschafft hatte. Die flinken, goldgelben Geschöpfchen schlüpften, wie daheim, ungenirt aus und ein; sie umschwirrten das Bett, holten Zuckerkrumen aus den wächsernen Fingern der kranken Herrin und wiegten sich auf den schwebenden Blumenampeln an der Zimmerdecke.
Nanni, die Kammerjungfer, war gegen Mittag entlassen worden, damit sie in der Villa ausschlafen könne, und die Tante Diakonus hatte die Pflege für die Tagesstunden übernommen. Die alte Frau war noch im braunseidenen Kleide, aber sie hatte eine breite, weiße Leinenschürze darüber gebunden, um das Seidengeräusch zu dämpfen.
Henriette wußte bereits um die Wandlung, die sich so plötzlich vollzogen. Die Jungfer war von draußen hereingekommen und hatte ihr zugeflüstert, daß eben ein Herr vom Hofe im Flur feierlich von der Frau Diakonus empfangen und in das Zimmer des Doctors geführt worden sei. Ein Herr vom Hofe bei Bruck, der zuletzt nur noch Armenarzt gewesen war! Dazu hatten die festliche Toilette der Tante, ihr freudig verklärtes Gesicht die Aufmerksamkeit der Kranken erregt; sie war unruhig geworden und hatte mit Forschen und Fragen nicht nachgelassen, bis sich der Doctor an ihr Bett gesetzt und ihr in seiner ruhigen, einfachen Art und Weise Mittheilung von den Vorgängen gemacht hatte. Das Alles war geschehen, während Käthe in Flora’s Zimmer dem Auftritte beiwohnte, den die Hofdame von Berneck und der Commerzienrath mit ihrer blitzartig einschlagenden Neuigkeit hervorgerufen hatten.
Nachmittags saß Käthe am Krankenbett. Der Doctor war zu einer Audienz beim Fürsten befohlen, und die Tante hatte sich für eine halbe Stunde freigemacht, um einige häusliche Anordnungen zu treffen; die beiden Schwestern waren zum ersten Mal wieder allein. Auf Henriettens Gesicht lag ein wahrer Glanz unausgesprochener Freude und Glückseligkeit; Ruhe und Schweigen war ihr auferlegt worden. Der Doctor hatte ihr streng verboten, nochmals den Jubel laut werden zu lassen, in welchen sie bei seiner Mittheilung ausgebrochen war und der ihn tief erschreckt hatte. Sie war auch folgsam gewesen und hatte weder ihn, noch die Tante im Laufe des Tages mit weiteren Fragen belästigt, aber jetzt, wo die ernsten Augen des Arztes nicht warnten, wo die Thür hinter der ängstlich besorgten alten Frau zugefallen war, jetzt richtete sie sich plötzlich in den Kissen auf. „Wo bleibt Flora?“ fragte sie gespannt und hastig flüsternd.
„Du weißt, daß die Großmama von Stunde zu Stunde herübersagen läßt, der Boden brenne ihr unter den Füßen, aber sie könne nicht fort, man sei drüben von Beileidsvisiten dermaßen umringt, daß ein Losmachen sich noch immer nicht bewerkstelligen lasse.“
„Mein Gott, die Großmama!“ wiederholte die Kranke geärgert und sich ungeduldig herumwerfend. „Wer verlangt denn nach ihr? Mag sie doch drüben bleiben. Ich spreche von Flora!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_212.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)