Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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Vergieb, vergieb, Du Lieber.
Daß ich Dir das gethan!
Es war das böse Fieber;
Das fiel so jäh mich an.
Ich habe mit ihm gerungen.
Ich wies ihm meine Kraft –
Es hat mich doch bezwungen,
Es hat mich doch entrafft.
Bei Stuttgart zwischen den Reben,
Da liegt ein stiller Grund,
Da ranken an schwarzen Stäben
Empor sich Blumen bunt;
Da breiten flüsternde Bäume
Sich über mir als Zelt;
Da lieg’ ich nun und träume,
Ich junger Springinsfeld.
Da lieg’ ich nun und halte
Feldwache für und für,
Die neue und die alte
Weinsteige über mir;
Da hör’ ich herab von den Seiten
Des Berges hellen Klang:
Der Cameraden Schreiten
Und muthigen Marschgesang.
O, könnt’ ich mit euch singen,
Wie sonst im Sonnenschein!
O, könnt’ ich mich heben und schwingen
In den blühenden Lenz hinein!
In den Lenz und über die Auen,
Meerwärts und England zu –
Und könnt’ in’s Auge Dir schauen,
Du lieber Bruder, Du!
Und könnte die Hand Euch geben,
Dir, Wolf, und Dir, Marie!
Nicht, Wolf, das wär’ ein Leben
In dieser Junifrüh’?
Doch o, doch o! Nicht heb’ ich
Zum Wandern mehr den Fuß;
Um Euer Fest nur schweb’ ich
Mit stillem Geistergruß.
„Meine herzliche Liebe Allen,
Allen den Andern auch!“
Das war mein letztes Lallen,
Das war mein letzter Hauch.
Die Mutter küßt’ ihn mit Thränen
Von der brennenden Lippe mir;
Der Gruß, das letzte Sehnen,
O Bruder, galt auch Dir!
„Meine Liebe,“ ja die Liebe!
Die ist’s. Die schwingt sich weit;
Den Tod überholt die Liebe –
Lieb’ ist Unsterblichkeit.
Wohl kannst Du sie nicht sehen,
Doch lebt sie und ist da –
Mit der Liebe leisem Wehen
Bin ich Dir heute nah.
Und bin es zu allen Stunden,
Und bin es immerdar,
Im Tode Dir noch verbunden,
Wie ich’s im Leben war,
Dir und „den Andern allen“,
Und werde, trotz Grab und Tod,
Meerüber mit Dir wallen,
Und folgen Deinem Boot.
Und werde Dich treu begleiten
Entlang die großen See’n,
Durch die Steppe mit Dir reiten,
Und mit Dir jagen geh’n,
Will steh’n, eine liebende Wache,
Auf Deinem Schwellenstein,
Will Deinem jungen Dache
Hausgeist und Schutzgeist sein.
So rast’ ich unter dem Hügel
Im lieben Heimaththal
Und hebe doch auch die Flügel
Um die Heimath Deiner Wahl,
Ruf’ auch in ihr mit Flüstern
Dir zurück die alte Zeit:
Bei den Eltern und Geschwistern
Unsre fröhliche Knabenzeit.
O Wolf, in Jugendtagen
Hat mich der Tod geküßt,
Doch will ich’s nicht beklagen,
Wenn Du nur glücklich bist,
Wenn nur in Deinem Westen
Der Himmel und die Au
Hold sind Euch lieben Gästen,
Dir, Wolf, und Deiner Frau.
Nun soll auch junges Leben
Bald um Euch blüh’n – o Gott,
Wie will ich erst das umschweben,
Ich, Euer treuer Ott!
Hoch über Euern Kleinen,
Ein ernster, milder Stern,
Soll meine Liebe scheinen –
O, ich hatte die Kinder so gern!
Im Spätsommer des vorigen Jahres sah ich Freiligrath seit vielen Jahren zum ersten Male wieder. Es war in seiner neuen Wohnung in Cannstatt. Ich erschrak fast über das veränderte Aussehen des Freundes. Als ich ihn zuletzt gesehen, war es kurz nach dem ihm zu Ehren in Bielefeld gegebenen Dichterfeste, von welcher Zeit mir seine kräftige Gestalt noch vorschwebte, wie er, den Becher in seiner Rechten, jenen Dank an’s Vaterland ausbrachte:
„Geliebt zu sein von seinem Volke,
O herrlichstes Poetenziel!
Loos, das aus dunkler Wetterwolke
Herab auf meine Stirne fiel!“
Jetzt war er ein stiller Mann geworden, dem die Erinnerung an die westphälischen Festtage nur noch ein wehmüthiges Lächeln abgewann. „Ja, ja, ich bin ein anderer Mann geworden, mein Freund,“ sagte er mir, als wir zusammen auf dem Balcon seiner Wohnung standen und die Sonnenlichter im Neckarflusse und seinem Wasserfalle glitzern und auf den jenseitigen Rebenhügeln mit Blatt und Trauben spielen sahen. „Es ist hier so schön, so herrlich; freilich nicht wie auf den Kämpen und in den Buchenwäldern meiner teutoburger Heimath, aber es ist doch so ein schönes Fleckchen Erde ringsum. Nun, mir erscheint das Alles grau in grau: ich sehe das blühende, junge Leben nicht mehr um mich. Du hast, gleich mir, Deine grünen Hoffnungen in’s Grab gelegt und verstehst mich.“ Mir aber preßten solche Worte das Herz zusammen.
Inzwischen gesellte sich zu diesem Seelenschmerze Freiligrath’s ein Herzleiden, das schließlich in völlige Wassersucht überging. Das Schreiben wurde dem Dichter schwer, und er mußte seiner mit ihrem Gatten aus Amerika zurückgekehrten Schwiegertochter Maria dictiren. Doch war er thätig bis zum letzten Augenblicke, vornehmlich bei der Redaction von Hallberger’s „Englischem illustrirten Magazin“. Todesgedanken überkamen ihn wohl hier und da; er vollzog sogar seinen letzten Willen, und doch mochte er sein Ende nicht so nahe wähnen. Seinem ältesten Freunde und täglichen Besucher, Ludwig Walesrode, war die schmerzliche Pflicht zugefallen, den Kranken durch Scherze, durch Gesang und Erzählung aufzuheitern, obgleich dem alten Manne, der sich bewußt war, ein Opferlamm zum Tode zu führen, darob das eigene Herz fast brechen wollte. In den letzten Tagen beschäftigte ihn ausschließlich der Gedanke einer baldigen Reise nach England zu seinen Kindern und Enkeln. Er sollte sie nicht wiedersehen; nur Wolfgang war um ihn. Am Morgen des 18. März früh bei Tagesgrauen wünschte er aufzustehen; seine Frau und ihre Schwester, Fräulein Marie Melos, halfen dem Kranken und geleiteten ihn zum Sessel. Noch scherzte er mit seiner Ida; als aber die ersten Sonnenstrahlen über die Rebengelände schauten, neigte er seinen Kopf leise zurück und entschlief. …
Einige Stunden nachher wurde von dem „stillen Schläfer“ die Photographie aufgenommen, die unser heutiges Bild wiedergiebt. Was soll ich noch von dem Begräbnisse, von den fast königlichen Ehren sagen, die dem Dichter im Tode gebracht wurden? Als ich den Freund wiedersah, lag er, von Veilchen, Camellien und Lorbeeren fast erdrückt, in seinem Sarge. Ich habe lange, lange die erstarrte Hand in der meinigen gehalten und konnte mich nicht satt sehen an diesen stillen, friedlichen Zügen. Während der folgenden Tage strömten die Menschen zu Hunderten in’s Sterbehaus, um den Sarg, der, umgeben von einem Palmen-, Cypressen- und Camellienwalde, auf schwarzem Postamente im Sterbezimmer stand, zu sehen. Zu Hunderten kamen die Lorbeerkränze in’s Todtenhaus; Hütten und Paläste aus allen Theilen Deutschlands sandten den Tribut ihrer Hochachtung dem todten Dichter. Wohl nie ist ein deutscher Poet im Leben und Tode mehr geehrt und geliebt worden von seinem Volke als Ferdinand Freiligrath.
Am 21. März gegen Abend begruben wir ihn unter Theilnahme von Tausenden auf dem Ufkirchhofe bei Cannstatt. Sein Grab liegt unweit der hoch gelegenen Capelle an der Friedhofmauer. Mein Wunsch, den sterblichen Theil Freiligrath’s im Walde bei Detmold zu betten, angesichts des ehernen Males der Einheit das Grab des Sängers der Freiheit zu graben, wurde zum schmerzlichen Bedauern seiner rheinischen und westfälischen Freunde von der Wittwe abgelehnt. Ich hatte den Plan eingedenk seiner Worte:
„Ich wandelte bei meiner Kindheit Bäumen,
Wo ich wohl wollte, daß sie mich begrüben –“
gefaßt und fand für seine Verwirklichung thätige und liebevolle Unterstützung beim Bürgermeister Detmolds, Herrn Dr. Heldmann. – Die Idee ist von den Freunden in Norddeutschland noch nicht aufgegeben, und man wartet eine ruhigere Zeit ab, um dann bittend bei der Wittwe und den Kindern noch einmal anzuklopfen.
Während die Lorbeerkränze an die offene Gruft gelegt wurden mit Grüßen von ganz Deutschland und selbst Amerika und ein Sängerchor sein schönes, ergreifendes „Stumm schläft der Sänger“ vortrug, sandte die Abendsonne ihre vollen Strahlen auf den menschengefüllten Friedhof. Dazwischen – ein seltenes Schauspiel – fielen Schneeflocken auf Grab und Lorbeer. Der Lenz kämpfte noch mit den letzten Spuren des Winters, aber nur kurze Zeit, denn sein Kommen hält nichts mehr auf. War das Naturspiel an Freiligrath’s Grabe ein Spiegelbild unseres Freiheitlenzes?
Deutsches Volk! Auf dem Bergkirchhofe im Neckargau schläft dein bester Freund. Du hast die letzten Jahre des nun stillen Todten durch deine hochherzige Gabe verschönt, aber bei Weitem nicht ganz abgetragen, was du ihm schuldest. Ich spreche nicht von den materiellen Gütern der Erde. Du kannst dem großen Todten nur zahlen, wenn du sein Vermächtniß erfüllst, wenn du um die Freiheit weiter streitest in dem Kampf, in welchem er dein erster Bannerträger war. Sein Hügel ragt in Schwabens Erde – o, möchte sich Nord und Süd über diesem Grabe die Bruderhand reichen; möchte aller Groll vergessen sein; möchten sich zu gemeinsamem Streben alle die wackeren Elemente verbinden, die vor Allem berufen sind, den Morgen hervorzurufen, den Morgen der Freiheit, dem das letzte Flehen Freiligrath’s galt!
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_272.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)