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Seite:Die Gartenlaube (1876) 273.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

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Das rothe Quartal.


(März–Mai 1871.)


Von Johannes Scherr.


8. Zerstörungscancan.


Wer schon Wahnwitzige beobachtet hat, weiß, daß mit ihren Wuthschreien das blödsinnige Lallen, mit ihren Zorngrimassen das kindische Lachen zu wechseln pflegt.

Die Kommune hat es auch so getrieben. Sie fiel aus dem Wilden in’s Läppische, aus dem Schrecklichen in’s Lächerliche und umgekehrt. Wo ihr Zerstörungstrieb nicht mordete und sengte, faselte er. Die Zerstörung des Hauses von Thiers war die kindische Rache eines dummen Lümmeljahrejungen, die Zerstörung der Napoleonsäule auf dem Vendômeplatz eine barbarische Albernheit, welche bewies, daß die Kommunarden den Geist ihrer eigenen Nationalität gänzlich verkannten und daß für den mit Recht berühmten französischen „Esprit“ im rothen Quartal kein Platz war.

Die erste Gebäulichkeit, an welcher die Kommune ihren rothen Zorn ausließ, war die Kirche Bréa, zur Erinnerung an den während der Junischlacht von 1848 durch die Insurgenten schändlich ermordeten General dieses Namens im dreizehnten Arrondissement erbaut. Dieses Zerstörungswerk sah ganz so aus, als wollten dadurch die Mörder der Generale Thomas und Lecomte den Mördern des Generals Bréa eine nachträgliche Ehrenerklärung geben. Dann sollte die Reihe an die sogenannte Sühnkapelle (für die Hinrichtung Ludwigs des Sechszehnten) kommen, allein der Zerstörungsbefehl gelangte nicht zur Ausführung.

Schon am 3. April hatte die Kommune ein Anklagedekret gegen Thiers und sein Ministerium geschleudert. Zugleich ein Raubdekret, denn die Besitzthümer der Regierungsmitglieder sollten mit Beschlag belegt werden, bis die Angeklagten „vor der Volksjustiz“ erschienen wären, um sich zu verantworten. Wofür? Dafür, daß sie patriotisch genug gewesen waren, das ihnen von seiten der rechtmäßigen Nationalvertretung Frankreichs übertragene Regierungsmandat unter den schwierigsten Umständen anzunehmen und dem rothen Wahnsinn entgegenzutreten. Am 9. Mai wurde in Paris eine Proklamation bekannt, welche Herr Thiers Tags zuvor an die Bevölkerung der Hauptstadt gerichtet hatte. Darin versprach er den Wehrleuten, welche die Waffen niederlegen würden, Verzeihung, sowie den Arbeitern jede mögliche Unterstützung, zugleich aber kündigte er die nachdrucksame Niederwerfung des Aufstandes an. Am 10. Mai oder, wie sie datirte, am 21. Floréal – denn auch die historische Kuriosität des „republikanischen“ Kalenders von 1793 hatten die Stadthausaffen unter dem Staube der Verschollenheit hervorgescharrt – gab die Kommune ihre Antwort auf diese Proklamation, das heißt der Wohlfahrtsausschuß dekretirte, das Vermögen von Thiers sei zu konfisciren und sein Haus auf der Place Saint-Georges dem Erdboden gleich zu machen.

Am 14. Mai wurde unter der Leitung der Bürger Fontaine und Andrian, jener so zu sagen Domänen-, dieser Bautenminister, der kindische Vandalismus in Ausführung gebracht. Das Mobiliar, die Gemälde, die beträchtliche Bibliothek, die reiche Münzensammlung des gesetzmäßigen Staatsoberhauptes wurden weggenommen und das Haus bis auf den Grund zerstört. Ein Mitglied der Kommune illustrirte den Bildungsgrad dieser Sippschaft mittels seines scharfsinnigen Vorschlags, die aus dem niedergerissenen Hause geraubten Bronzestatuetten und alten Münzen in die Münze zu schicken, um eine hübsche Anzahl von Sousstücken daraus zu prägen.

Am vorhergegangenen Tage hatte im „Journal officiel“ dieses Dekret gestanden: „In anbetracht, daß die kaiserliche Säule auf dem Vendômeplatz ein Symbol viehischer Gewalt (un symbole de force brute) und falschen Ruhmes, eine Bekräftigung des Militarismus, eine Verneinung des internationalen Rechtes, ein den Besiegten durch den Sieger zugefügter Schimpf, ein fortwährendes Attentat auf eins der drei großen Principien der französischen Republik, die Bruderschaft, – befiehlt die Kommune: Die Säule auf dem Vendômeplatze wird umgestürzt.“ Den Kommentar zu diesem Dekret gab der Bürger Pyat in seinem „Vengeur“: – „Paris wird den Mann vom Brumaire mitsammt dem Piedestal umwerfen, welches er seinem Stolz und unserer Schande, seiner Tyrannei und unserer Knechtschaft, unseren Attentaten auf uns selbst und auf andere, endlich unseren Verbrechen gegen die Freiheit Frankreichs und Europa’s aufgerichtet hat. Die eroberungslustigste, aber auch erobertste, die kriegerischste, aber auch friedfertigste Rasse giebt dieses Freundschaftspfand den Nationen. A bas la colonne!“

So angesehen – das ist wahr – hatte die Sache schon ihren Sinn. Aber gerade diese Betrachtungsweise war durch und durch unfranzösisch, so unfranzösisch, daß gerade der Umsturz der napoleonischen Gloire-Säule Hunderttausende, vielleicht Millionen von Franzosen standhaft glauben machte und noch immer glauben macht, die Kommune, welche so ungeheuerlich Unfranzösisches wollen und thun konnte, müßte schlechterdings eine fremde Machenschaft gewesen sein.

Für den eigentlichen Vendômesäulestürzer muß bekanntlich der Maler Gustav Courbet gelten, Mitglied der Kommune, in seiner Kunst ein Realist, in der Politik ein Narr. Nur ein solcher konnte beim Beginne der Belagerung von Paris durch die Deutschen an diese ein Sendschreiben erlassen, worin es hieß: „Gebt uns eure Krupp’schen Kanonen! Wir wollen sie mit den unsrigen zu einer zusammengießen. Diese letzte Kanone soll mit ihrer Mündung in die Höhe gerichtet, mit einer Freiheitsmütze bekränzt und als ein gemeinsamer Denkmalkoloß auf den Vendômeplatz aufgestellt werden. Diese Säule soll euch und uns gehören; sie soll die Säule der Völker, die Säule der für immer verbündeten Länder Deutschland und Frankreich sein.“ Um dieser deutsch-französischen Phantasieriesenkanone des exaltirten Malers platzzumachen, mußte die Napoleonsäule weg. Also bringen wir es dahin, daß die Kommune, in welcher wir ja selber sitzen, das ohnehin – künstlerisch betrachtet – unschöne Ding von bronzenen Pfahl wegdekretire.

Und er brachte es richtig dazu. Sehr wahrscheinlich haben wir es, wie auf Schritt und Tritt in dieser Historie, auch hier wieder mit einem Plagiat zu thun, mit einer Nachäfferei der sansculottischen Nivellirungswuth von 1793. Hatten damals doch in der Wolle rothgefärbte „Patrioten“ die Abtragung der Thürme von Notre-Dame, sowie des Münsterthurms von Straßburg gefordert, weil diese „aristokratischen Unverschämtheiten von Thürmen“ dem Gleichheitsprincip hohnsprächen.

Den Umsturz der Säule, Dienstags den 16. Mai, umgab man mit allerlei rothem Brimborium und Firlefanz. An 20,000 Menschen oder mehr wohnten dem Spektakel an. Es hieß in der Menge, ein Engländer habe 1000 Francs geboten, so man ihm gestattete, als der Letzte zur Balustrade der Säule hinaufzusteigen, von wo man eines so prächtigen Rundblickes über die schönste Stadt auf Erden genoß. Ein anderer Engländer soll gar 1 Million angeboten haben, so man ihm den ehernen Koloß käuflich überließe. Um 3½ Uhr begannen die Ingenieure das Zerstörungswerk, das nur mit Hindernissen vor sich ging. Um 5½ Uhr wankte die Säule, neigte sich, lös’te sich von ihrem Sockel und stürzte mit einem dumpfen Krach auf die aufgeschichteten Sand-, Reisig- und Strohhaufen nieder. Im Sturze lös’te sich von der auf dem Säulenknaufe stehenden Napoleonstatue der Kopf ab und rollte weithin. Die Menge brach in einen Schrei aus, der ebenso gut Freude als Trauer signalisiren konnte, Musikbanden spielten die Marseillaise, rothbeschärpte Kommunarden stiegen auf den Stumpf der Säule, schwangen rothe Fahnen und hielten rothe Reden, Veteranen aus der napoleonischen Zeit stießen Flüche aus oder vergossen Thränen, aber man hörte auch die Bemerkung: „Das ist das Ende der (napoleonischen) Legende,“ was freilich nur eine philosophische Ansicht, keine geschichtliche Thatsache war. Denn der Glaube an den napoleonischen Mythus ist in Frankreich so wenig zu Ende wie der Glaube an den römisch-katholischen. Der weiland Graf Rochefort klatschte in seinem „Mot d’ordre“ dem Sturze der Säule Beifall und forderte das Volk auf,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_273.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
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