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Seite:Die Gartenlaube (1876) 279.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 17.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Käthe wollte Bruck’s Antwort nicht hören, denn es war ihr schrecklich, stets unfreiwillige Zeugin der Scenen zwischen den Verlobten zu sein – Bruck mußte sie zuletzt hassen. Aber sie war namenlos empört über die abermalige Komödie, die sich eben wieder vor ihren Augen abgespielt. Das abgegriffene, wandermüde Manuscript, das aus seinen „Zickzackwegen durch die Welt“ von competenter Seite wiederholt als nicht brauchbar zurückgeschickt worden war, es hatte die Rolle eines thränenwerthen Opfers spielen müssen, das die Seelengröße, die hehre Selbstüberwindung eines hochbegabten, sich und ihren Genius verleugnenden Weibes dem strengen Herrn und Gebieter brachte.

Es wurde drüben gesprochen. Käthe hörte durch die Melodie, welche ihre Hände energischer als sonst den Tasten entlockten, die ernste, unbewegte Stimme des Doctors, aber sie verstand zu ihrer eigenen Beruhigung kein Wort, und als sie schloß, da kam auch Flora schon wieder herüber, um in das Balconzimmer zurückzukehren. Diesmal hing sie nicht an Bruck’s Arm; sie hielt das Bouquet der Fürstin in der Hand und ging neben dem Doctor her, verdrossen wie ein gescholtenes Kind, das aber nicht zu widersprechen wagt – Flora hatte ihren Herrn und Meister gefunden. … Ein zorniger Seitenblick streifte die am Flügel sitzende Schwester, die eben die Hände von den Tasten sinken ließ. „Gott sei Dank, daß Du fertig bist, Käthe!“ sagte sie stehen bleibend. „Du lärmst ja auf dem Instrument, daß man sein eigenes Wort nicht versteht. Schau, Deine eigenen Sachen spielst Du ja ganz nett – das sind eben harmlose Kindermelodien ohne alle Tiefe – an Schubert und Liszt aber solltest Du Dich nicht wagen; dazu fehlt Dir das Verständniß und vor Allem die Fertigkeit.“

„Henriette hat die Pièce zu hören gewünscht,“ entgegnete Käthe gelassen und schloß den Flügel. „Für eine fertige Clavierspielerin habe ich mich nie ausgegeben –“

„Nein, Herzenskäthe, das hast Du niemals gethan, bist auch keine Virtuosin, die Bockssprünge mit ihren Fingern macht,“ fiel Henriette ein; sie stand plötzlich, wie hingeweht, auf der Schwelle des Musiksalons, „aber das Mädchengemüth möchte ich kennen, das Schubert inniger aufzusagen vermöchte, als Du – oder meint Schwester Flora, die Thränen, die Einem dabei in die Augen treten, weine und heuchle man aus purer Gefälligkeit?“

„Kranke Nerven, Kindchen – weiter nichts!“ lachte Flora und folgte dem Doctor in den Salon, von wo die Präsidentin ihn gerufen hatte.

Die alte Dame saß drüben mit etwas echauffirtem Gesicht, in der einen Hand die Lorgnette, in der anderen einen Brief, den ein Bedienter eben gebracht hatte. „Ach, liebster, bester Hofrath,“ – sie gebrauchte diesen Titel, so oft er sich anbringen ließ; denn er schmeichelte ihrem Ohre trotz alledem und alledem – „da schreibt mir eben meine Freundin, die Baronin Steiner, daß sie in den nächsten Tagen hierher kommen will, um Rath und Hülfe bei Ihnen zu suchen. Sie ist ganz trostlos über ihren kleinen Enkel, den Stammhalter der alten Familie von Brandau – der Junge hinkt seit einiger Zeit ein wenig, und die tüchtigsten Aerzte tappen im Dunkeln über den Ursprung des Leidens. Wollen Sie das Kind untersuchen und in Behandlung nehmen?“

„Sehr gern, vorausgesetzt, daß die Dame nicht allzu große Ansprüche an meine Zeit macht.“ Er kannte schon diese hocharistokratisch sich geberdenden Damen, die gar zu gern „warten lassen“ und einen angehenden Schnupfen wie eine Todeskrankheit respectirt sehen wollen.

Die Präsidentin war sichtlich verletzt durch die gleichgültige Art und Weise, mit welcher ihre Bitte aufgenommen wurde; sie antwortete nicht.

„Die Baronin ist sehr pikirt über meinen neulichen Absagebrief,“ wandte sie sich an Flora, „der Zettel da“ – sie tippte mit der Lorgnette auf das Briefblatt – „strotzt von Anzüglichkeiten, und wenn nicht Sorge und Angst an sie heranträten, würde sie mir wohl nie wieder geschrieben haben; wie mich das schmerzt, kann ich kaum sagen. Sie will nun im ersten besten Hôtel wohnen, von wo aus unser Hofrath am ersten zu erreichen ist, und bittet mich wenigstens um die Gefälligkeit, ihr eine Wohnung von fünf Zimmern auszumachen.“ Jetzt zuckte ein wahrhaft vernichtender Blick unter den breiten Lidern hervor nach dem jungen Mädchen im weißen Kleide, das ihr gegenüber hinter einem Stuhle stand und, die Hände auf die Lehne desselben gelegt, mit niedergeschlagenen Augen den Verhandlungen zuhörte, wobei abwechselnd Erröthen und Blaßwerden über das liebliche Gesicht hinflogen – war doch jedes Wort ein Vorwurf für sie.

„Mein Gott, es ließe sich ja schließlich in der Beletage einrichten, wenn die gute Steiner nicht à tout prix fünf Zimmer haben müßte,“ fuhr die Präsidentin fort. „Aber sie braucht doch nothwendig einen Salon für sich und ihre Tochter Marie, ein Wohnzimmer für den kleinen Job von Brandau und seine Gouvernante, und allermindestens drei Schlafzimmer – die Jungfer kommt ja auch mit.“ Sie stützte sorgenschwer und tief verstimmt den Kopf in die Hand.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_279.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)
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