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Seite:Die Gartenlaube (1876) 301.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

an mir vorübergehen lasse, gedenke ich eines deiner Brüder, dessen Leib nun wohl längst in Staub- und Dunstatome zersetzt ist. O, das war ein Erzstaarenmännchen, ein Goethe unter den Dichtern, ein Mozart unter den Componisten, ein Bismarck unter den Diplomaten. Beleckt von der Hochcultur, hatte er sich doch die liebenswürdigen Eigenschaften des Naturkindes erhalten, die bei ihm oft recht rührend und entzückend zum Durchbruche und zur Geltung kamen. Früh von einem Mainzer Schuster aus dem Neste genommen und als Waise mit der besten Gefangenenkost gefüttert, wuchs der zartfläumige Staarenknabe zum dichtbefiederten Jünglinge heran. Sein Herr, der Schuster, wurde sein Lehrmeister. In ununterbrochener Reihenfolge sprach ihm der mit chronischem Stockschnupfen behaftete Meister Pfriem folgende Worte vor: „Halt! Wer da? Jakob, hol’ die Wacht! Du Spitzbub’! Marie, koch’ den Kaffee! Gretchen, mach’ die Thür zu! Babettchen, steh’ auf! – Ja! Lottchen, küß’ mich! (nun folgte ein täuschendes Schmatzen) Röschen, Julchen! Schön Staarchen!“

Der Lehrling ahmte getreu Betonung und Charakteristik des Vortrages nach und lernte in wenigen Monaten einzelne Theile, bis zum kommenden Frühjahr sogar sämmtliche Sätze musterhaft sprechen. Der kostbare Vogel kam durch Zufall in meinen Besitz, und ich hatte die Freude, in ein wahres Freundschaftsverhältniß zu ihm zu treten. Täglich öffneten wir ihm die Thür des Käfigs und ließen ihn ein Bad in einem Schüsselchen mit frischem Wasser nehmen. Hinderten wir ihn an dem Hineinsteigen mittelst der Hand, so hackte er leidenschaftlich darauf los und warf höchst possirlich die erlernten Worte durcheinander. Selbst Abends bei Licht, wenn wir ihn aus dem Schlafe weckten, konnten wir ihn zu einzelnen Worten bewegen. Die klangen allerdings gar schläfrigmüde, und unter dem Flügel, wenn er den Kopf bereits geborgen, tönte manchmal noch leise einer der Mädchennamen oder „schön Staarchen“ wie im Traume nach. Hätte nicht jedes Mal nach dem Vortrage der Worte der scharfe, ohrzerreißende Schäferpfiff den wohlthuenden Eindruck beeinträchtigt, wir würden den unterhaltenden Schwätzer gewiß nicht in die einsame Stube verbannt haben, wo er eines Tages bei offenem Fenster in das Freie entkam.

So lange man das Schätzenswerthe besitzt, würdigt man es zu wenig – das sollte sich nun bewahrheiten. Wir empfanden den Verlust tief und boten Alles auf, den Entflohenen wieder ausfindig zu machen. Doch vergeblich musterten wir die wilden Brüder auf den Dächern und Bäumen; vergeblich lauschten wir, ob nicht ein Wort des liebenswürdigen Plauderers aus der Höhe zu uns niedertöne. Der ganze Ort war auf den Beinen und forschte spähend und horchend, denn der Vogel war populär geworden, und die Leute aus der Umgegend hatten, von dem Wundervogel in Kenntniß gesetzt, Ueberlandmärsche unternommen, um sich selbst zu überzeugen, daß er sprechen könne. Da regte sich denn auch in dem einen oder anderen Bauer die Phantasie, und es lief der Bericht ein, der entflohene Staar habe mitten unter seinen uncultivirten Brüdern und Schwestern wie ein belehrender Missionär gesessen, und die erstaunten Naturkinder hätten vor Verwunderung die Schnäbel aufgesperrt und wie versteinert zugehört. Aber ihr wilder Pfiff sei ihnen doch lieber gewesen, und stets, wenn der „Missionär“ den Schäferpfiff oder sonst einen Naturlaut habe hören lassen, seien sie hocherfreut gewesen und hätten lustig in den erquicklichen Ton eingestimmt. Schließlich seien sie seiner herzlich müde geworden und hätten ihn als zudringlichen Störer ihrer gewohnten Ordnung weggebissen und von dannen gejagt.

Beruht der Bericht auf Wahrheit, so geht daraus eine treffliche Lehre hervor: „Eines schickt sich nicht für Alle“ und insbesondere für unseren Staar im Haselnußstrauche die Anregung zu einer Hymne auf die unersetzlichen Güter der Natur und der Freiheit.




Walpurgisnacht.


Von Moritz Busch.


Während bei dem Aberglauben, der sich an eine Anzahl von Tagen des deutschen Jahres knüpft, sich fast immer Nachklänge aus dem germanischen Heidenthume mit christlichen Vorstellungen mischen, ist die Fülle abergläubischer Meinungen, die sich früher allenthalben an den ersten Mai knüpfte und ihn noch heute in Mancher Augen bedeutungsvoll, unheimlich und zauberhaft erscheinen läßt, von rein heidnischem Charakter. Der „Walperntag“, jetzt der heftigen Walpurgis geweiht, ist mit dem gesammten Brauch, Glauben und Spuk, der sich auf ihn gehäuft hat, nichts Anderes als der Rest eines dem Donar, dem Gewittergotte unserer Urväter, gewidmeten Frühlingsfestes. Er ist darum reich an Zauber und Zukunftsdeutung theils guter, theils schlimmer Art. In Holstein sagt man: Thau an diesem Morgen bewirkt ein reiches Butterjahr. In der Oberpfalz galt und gilt wohl hier und da noch jetzt dieser Thau als Sympathiemittel. In ihm sich unbekleidet wälzen, schützt in Niedersachsen vor Ungeziefer und gewissen Hautkrankheiten, und mit ihm sich waschen, vertreibt die Sommersprossen. In Westphalen pflegt man zu Walpurgis bei Sonnenaufgang einen Zweig von einer Eberesche (die dem Donar heilig war) zu schneiden und die Kühe damit auf’s Kreuz zu schlagen, denn damit werden sie milchreich gemacht. Linsen, an diesem Tage gesäet, gedeihen besonders gut; ein Kranz von Epheu, von einem Mädchen an ihm aufgesetzt, lockt Liebhaber und Freier an; ein Kranz von Gundermann, an ihm getragen, läßt seinen Träger in der Kirche alle Hexen erkennen, indem sie sich von den andern Weibern der Gemeinde dadurch unterscheiden, daß sie Melkkübel auf den Köpfen haben. Regnet es am ersten Mai, so giebt es nach den mecklenburgischen Bauernregeln eine schlechte Ernte; dagegen sichert sich zu Stockach in Tirol der, welcher sich mit solchem Regen die Stirn wäscht, auf das ganze folgende Jahr vor Kopfweh. In Schlesien weiß man, daß Kinder, an diesem Tage geboren, ungeschickt und blöde werden, in Ostpreußen, daß Gänse, die an ihm auskommen, nicht gerathen.

Noch bedeutungsvoller als der Walpurgistag ist die ihm vorhergehende Nacht, in welcher alle Zaubermächte losgebunden sind; denn in ihr feiert der Teufel mit den Hexen auf dem oder jenem Berge ein großes Fest, nach dessen Beendigung die bösen Weiber sich nach allen Richtungen hin zerstreuen, um den Menschen mit ihrer Kunst allerlei Schabernack anzuthun. Um sich dagegen zu schützen, hat man in Norddeutschland verschiedene Mittel, welche der Vorsichtige und Altgläubige nicht ungebraucht läßt. Das gewöhnlichste ist, daß man am Abende vor dem Walperntage an alle Thüren ein Kreuz oder einen Trudenfuß malt. An einigen Orten nimmt man drei Häufchen Salz, streut sie dem Vieh schweigend zwischen die Hörner und geht dann rücklings aus dem Stalle fort. Gleichfalls für ein gutes Recept gegen Behexung und gegen den bösen Blick gilt, daß man in der Walpurgisnacht Zweige von Erlen und Drachenblutbäumen über die Stallthüren hängt. Anderswo schützt man die Thiere dadurch vor den Unholdinnen, daß man jenen am Abende des 30. April ein Gemenge von wildem Knoblauch, Dill, Mehl und Honig zu fressen giebt. Wieder anderwärts genügt es, wenn man eine Sense oder ein Beil vor die Stallthür legt, um die Hexen fern zu halten, und in manchen Dörfern thut es ein bloßer Besen. Die Saat wird dadurch vor Schaden bewahrt, daß man am Walpurgisabende mit Gewehren darüber hinschießt oder eine Weile die Kirchenglocken läutet.

Hexen waren dem Aberglauben (und sind ihm in manchen Gegenden noch heute) Weiber, die sich dem Teufel verschreiben und mit seiner Hülfe allerlei Unfug treiben. Oft vererbte sich die Hexerei von der Mutter auf die Tochter. Gewöhnlich aber wurde sie jungen Mädchen, bisweilen schon kleinen Kindern, durch alte Frauen gelehrt. Vorher hatten die Betreffenden Gott, der Taufe und der Kirche zu entsagen und „dem Meisterlein“ zu huldigen. Sie traten dazu auf einen Kreuzweg oder auf den ersten besten Düngerhaufen, legten die Hand auf einen ihnen von der Verführerin hingehaltenen abgeschälten Stab und sprachen:

„Ich greif’ an diesen weißen Stock
Und verleugne unsern Herrn Gott
Und seine zehn Gebot.“

Damit war der Bund für alle Ewigkeit geschlossen. Besiegelt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_301.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
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