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Seite:Die Gartenlaube (1876) 302.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

aber wurde er auf dem großen, jährlich einmal stattfindenden Hexenconvente oder Hexensabbathe, der in Norddeutschland in der Walpurgisnacht und auf dem Blocksberge, in Süddeutschland auch zu anderen Zeiten und an anderen Orten abgehalten wurde. In Schwaben feiern die Hexen ihre Feste vorzüglich auf dem Heuberge bei Rotenburg. In Tirol gelten als Hexentanzplätze u. A. die Marlingerwiesen bei Meran, die Scharnitzer Klause und der Axelkopf bei Innsbruck.

Kam der Tag des Festes heran, so bereitete sich die norddeutsche Hexe mit gewissen Zaubermitteln auf die Fahrt nach dem Blocksberge vor; sie entkleidete sich und bestrich sich mit einer Salbe, die sie einschlafen ließ. Wir sehen sie dann, auf einer Katze oder auf einem Bocke, einem Besen oder einer Ofengabel mit fliegenden Haaren zum Schornsteine hinausfahren und durch die Luft reiten. Von allen Seiten kommen andere alte und junge Zauberschwestern, Teufel und Kobolde, gespenstige Thiere, Drachen, Kröten, Eulen, Fledermäuse, Menschen ohne Kopf und andere Spukgestalten herzugeflogen, bis die Versammlung vollzählig ist. Dann erscheint in Gestalt eines Bocks mit Menschenantlitz der Fürst der Hölle und ermahnt von einer Felsenkanzel seine Gemeinde zur Treue gegen sich, wofür er ihr Reichthum, Ehre und langes Leben verspricht. Darauf werden ihm von den älteren Hexen die Neuangeworbenen vorgestellt; es erfolgt eine kurze Prüfung, und findet er die Novizen willig, den Glauben endgültig zu verleugnen, so haben sie ihm eine Formel nachzusprechen, in der sie Gott und der „dicken Frau“ (so heißt in der Sprache der Hölle die heilige Jungfrau), den Geboten und Sacramenten entsagen, dem Vater der Lüge und Sünde unter Handschlag Treue und Gehorsam geloben und versprechen, ihm so viel neue Diener wie möglich zuzuführen.

Der Teufel beschenkt nun die Hexen mit einer Kleinigkeit, die ärmeren mit etwas Butter, Käse und Speck, die reicheren wohl auch mit einer Rose, einem Ringe, einer Spange oder einem Halstuche. Er tauft sie mit „garstigem Wasser“, versieht sie mit dem Trudenzeichen und weist jeder einen Leibteufel zu, der ihr Liebhaber und zugleich ihr dienstbarer Geist ist. Die Hexen erhalten eine Bohne oder eine Nuß, an welche ihr Leibteufel gebunden ist. Derselbe führt bisweilen einen christlichen, gewöhnlich aber einen nicht im Kalender zu findenden Namen. Er heißt manchmal Caspar, Kunz, Martin oder Hinz, häufiger aber Blaustrumpf, Weißfeder, Grünwedel, Federwisch, Spiegelglanz, Breitfuß, Hurlebusch, Kränzlein, Rautenstrauch, Dickbauch, Kapaun, Auerhahn oder Kuhhörnchen. Er ist immer um die Hexe und erscheint, so oft sie ihn ruft, aber auch ungerufen, auf dem Felde, beim Spinnen, während des Kirchganges, wo er aber selbstverständlich an der Kirchthür stehen bleibt; er macht seiner Gebieterin und Geliebten oft kleine Geschenke und treibt allerlei Kurzweil mit ihr. Die jungen Hexen werden in der Zauberkunst unterwiesen und zu allen bösen Streichen angeleitet. Sie bekommen Hexenpulver, und man zeigt ihnen die Bereitung der Hexensalbe. Sie lernen, wie man Gewitter und Hagelschlag zum Verderb der Saaten hervorbringt, wie man Kinder krank macht, wie man bewirkt, daß die Kühe statt der Milch Blut geben, wie man den Leuten Alpdrücken verursacht oder sie den Veitstanz tanzen läßt und dergleichen. Die alten Hexen aber haben vor ihrem Herrn und Meister ein Verhör zu bestehen und anzugeben, was sie im Laufe des Jahres Böses gethan haben, worauf sie entweder als fleißig belobt oder als träg gezüchtigt werden.

Inzwischen hat sich der Schauplatz mit Volk aus aller Herren Ländern, Männern und Weibern, Weltlichen und Geistlichen, Fürstinnen, Bauernweibern und Bettlerinnen, Verhüllten und Unverhüllten gefüllt. Allerlei Trachten, Stände und Altersstufen tummeln sich durcheinander. Unanständige Lieder werden gesungen, unsaubere Späße gemacht. Dann beginnt die Anbetung des Teufels, indem die Anwesenden sich, ihrem Meister die Kehrseite zudrehend, bei den Händen fassen und einen großen Ring um ihn bilden, der sich dann hüpfend um ihn herumbewegt und sich schließlich wieder auflöst, um jenem dadurch seine Huldigung darzubringen, daß man den Actus vollzieht, zu welchem Götz von Berlichingen, zur Uebergabe seiner Burg aufgefordert, den kaiserlichen Hauptmann einladen läßt. Wilde Tänze und ein reichliches Schmausen folgen. Dann giebt es eine Parodie des Abendmahles. Die höllische Hostie ist schwarz und zäh wie eine Schuhsohle, und der Trank, statt in einem Kelche in einer Kuhpfote gereicht, schmeckt wie Jauche. Zum Schluß verbrennt sich der Teufel zu Asche, die dann an die Hexen vertheilt wird, auf daß sie damit Schaden stiften, und nachdem die Höllengeister mit den Hexen bei ausgelöschten Lichtern noch eine Weile sich vergnügt, geht die gräuelvolle Gesellschaft aus einander. Die Hexen besteigen ihre Böcke und Ofengabeln wieder und fliegen nach allen Richtungen davon. Verspätet sich eine, kommt sie nicht vor der morgenlichen Betglocke heim, oder wird sie auf ihrer Luftfahrt von Jemand, der nicht zur höllischen Gemeinde gehört, gesehen, so stürzt sie herab und bricht den Hals.

Dergleichen Thorheit wurde in der „guten alten Zeit“ so ziemlich von aller Welt geglaubt, von Bürgern und Bauern nicht blos, sondern auch von den Gelehrten und Obrigkeiten. Und – was schlimmer war – die „gute alte Zeit“ bestrafte die Betreffenden, nachdem sie dieselben mit der Folter überführt, bestrafte sie mit nichts Geringerem, als mit dem Feuertode. Die Walpurgisnacht erinnert uns an eine der schrecklichsten Krankheiten, von welcher die Phantasie und das Rechtsgefühl der europäischen Menschheit je heimgesucht worden sind. Die Evangelischen waren nicht weniger bethört und nicht weniger unbarmherzig als die Katholiken dieser entsetzlichen Zeit, die sich über drei Jahrhunderte ausdehnte, in Deutschland kurz vor und kurz nach dem dreißigjährigen Kriege ihre grimmigsten Perioden hatte und in Spanien, in der Schweiz und in Polen bis in Tage hereinreichte, die einige von den ältesten Lesern dieses Blattes noch gesehen haben können.

Ein paar Zahlen mögen zeigen, daß hiermit eher zu wenig als zu viel gesagt wurde. Ich spreche dabei nur von Deutschland, obwohl es in anderen Ländern, vorzüglich in Italien und Spanien, nicht im Mindesten milder zuging und allein in Sicilien binnen anderthalb Jahrhunderten gegen dreißigtausend der Zauberei Beschuldigte den Scheiterhaufen bestiegen, in Schottland in einem einzigen Jahre sechshundert solche Unglückliche den Feuertod erlitten und in der einen Stadt Genf im Jahre 1515 nicht weniger als fünfhundert angebliche Hexen hingerichtet wurden. Mit besonderer Wuth raste diese schreckliche Geisteskrankheit, wenn wir uns nach Deutschland wenden, in einigen Theilen Frankens, in verschiedenen Gegenden Schwabens, in Schlesien und im braunschweiger Lande. Im Bisthum Bamberg wurden von 1627–30 bei einer Bevölkerung von etwa hunderttausend Seelen zweihundertfünfundachtzig, und im Bisthum Würzburg binnen drei Jahren hundertsiebenundfünfzig Hexen „eingeäschert“, im Ganzen aber ließ der damals dort gebietende Unhold, Bischof Adolph, während seiner Regierung zweihundertneunzehn des Umgangs mit dem Teufel Angeklagte verbrennen. Auch Bischof Johann von Trier zeigte großen Eifer; er sandte 1585 in seinem Gebiet so viele Weiber auf den Scheiterhaufen, daß an zwei Orten nicht mehr als zwei am Leben blieben. In der kleinen Reichsstadt Nördlingen wurden von 1590–94 zweiunddreißig Zauberer und Hexen verbrannt. Noch gräßlicher wütheten die Hexenrichter in Schlesien. Im Fürstenthum Neiße sollen in dem zuletzt erwähnten Zeitraum gegen tausend Hexen verurtheilt worden sein, über zweihundert Brände liegen Urkunden vor, und unter den Hingerichteten finden wir Kinder von ein bis sechs Jahren. In Braunschweig wurden zwischen 1590 und 1600 so viele Hexen hingerichtet, daß die Stelle, wo die Scheiterhaufen gestanden, wie die Stätte eines Waldbrandes aussah. Den furchtbaren Ruhm, das größte Autodafé in Deutschland gefeiert zu haben, hat die Stadt Quedlinburg, wo 1589 an einem einzigen Tage hundertdreiunddreißig Hexen verbrannt wurden. Die nicht beneidenswerthe Ehre, das letzte Autodafé innerhalb der Grenzen des damaligen deutschen Reiches veranstaltet zu haben, gebührt einem Erzbischof von Salzburg, der, 1678 dem Aberglauben, von dem wir hier reden ein Brandopfer von siebenundneunzig Menschen darbrachte. In Spanien starb 1781, im Canton Glarus 1783 die letzte Hexe den Feuertod. Am längsten hielt sich dieser wüste Spuk in Polen, wo in einem Orte an der preußischen Grenze noch im Jahre 1793 zwei Hexen den Scheiterhaufen bestiegen, nachdem kurz vorher ein ganzes Dorf sich der Wasserprobe hatte unterziehen müssen – auch eine von den Segnungen, welche ein langes Jesuitenregiment für das Land im Gefolge gehabt hatte.

Die Hexenrichter sind wir los, der Hexenglaube aber lebt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_302.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
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