Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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zusammen, um den Abend mit einer gemüthlichen Plauderstunde zu beschließen. Meister Arnold lag behaglich im hohen Lehnstuhle, die Cigarre zwischen den Fingern, und unterhielt sich mit seinem alten Freunde, Professor Hilger, während auf der andern Seite des Tisches sich ein paar Gruppen um die anmuthige Hausfrau gebildet hatten. Zunächst ihre kürzlich verheirathete junge Schwester und deren Gemahl, welche letzteren Beiden heute in ganz ungewohnter Schweigsamkeit nebeneinander saßen, dann das ältliche Tantchen des Hauses und ihr alter Plagegeist, Doctor Aegidius Pfefferkorn, ein „hartgesottener Sünder“, wie sie ihn mit Vorliebe zu nennen pflegte, ohne deshalb aber seinen Neckereien im Geringsten aus dem Wege zu gehen. Links davon unterhielten sich ein schöner junger Mann und eine reizende Blondine lachend miteinander. Beide waren seit zwei Jahren als Schüler in diesem Atelier, und die Welt hatte sich nach langem vergeblichem Beharren endlich entschließen müssen, die Beiden als Paar aufzugeben. Olga Petroff, eine junge Russin, hatte offenbar nur ihre Kunst im Kopfe und Richard von Stetten mußte trotz aller verbindlichen Formen ein versteckter Weiberfeind sein, anders ließ sich die Sache nicht erklären.
„Nun, Doctor,“ sagte die Tante und füllte ihrem Feinde das Glas, „Sie strecken sich ja so bequem und behaglich am Ofen, daß man denken sollte, Sie hätten hier einmal die ‚vollkommene Existenz‘, die sonst nirgends zu finden ist, glücklich erwischt.“
„Jungfer Apolloine,“ erwiderte er, das Glas absetzend, „Sie sprechen in den Tag, oder vielmehr in die Nacht hinein, wie Sie’s verstehen, was freilich eine der allgemeinen weiblichen Gewohnheiten ist. Im Uebrigen gebe ich Ihnen zu bedenken, daß die wunderbarste Existenz, wie wir sie z. B. eben hier führen, keine vollkommene ist, sobald man weiß, daß sie in einer Stunde spätestens aufhört, ganz abgesehen davon, daß schon in den nächsten Minuten ein politischer Disput oder ein Kunstgespräch der Herrlichkeit ein Ende machen kann.“
„Ja, es ist schändlich,“ rief Richard, der den letzten Satz gehört hatte, mit der Hand durch seine krausen Haare fahrend. „Hier glänzen die Farben und der Schmuck der Damen, dort das Gold am Vorhange so frisch aus dem Dämmerlichte heraus, daß man meint, man könne sie morgen nur so auf die Leinwand werfen; die besten Ideen schwimmen hier in der Luft, und dann – gute Nacht! heraus aus all’ dem Zauber und hinunter in den kalten Mondschein, der Einem heimleuchtet in die frostige Junggesellenwohnung. “
„Nun hört den verrückten Menschen!“ rief Arnold laut lachend. „Klagt er nicht herzbrechend und brauchte nur die Hand auszustrecken, um es gerade so gut zu haben, wie andere Leute! Warum heirathest Du denn nicht, wenn Dir die Junggesellenstube anfängt frostig vorzukommen?“
„Aus Gründen, aus sehr guten Gründen,“ wehrte sich der junge Maler. Aber damit kam er übel an.
„Heraus mit Ihren Gründen!“ rief die kriegslustige Tante. „Ueber die habe ich mir schon lange den Kopf zerbrochen, aber heute müssen Sie einmal mit der Sprache heraus, da hilft Alles nichts.“ Die Hausfrau und ihre Schwester Agnes schlossen sich der Forderung der Tante lachend an, und Richard erklärte zuletzt, von allen Seiten in die Enge getrieben:
„Ja, sehen Sie, bis vor Kurzem war es nur eine allgemeine Ahnung, die mich bewog, mein allzu empfängliches Herz zu hüten. Ich konnte mit einem meiner Freunde sagen: ‚Ich habe Gründe, aber ich weiß sie nicht.‘ Aber nun stellen Sie sich mein Entzücken vor, als ich neulich in Chamfort’s Schriften meinen Grund finde, einen so herrlichen Grund, daß ich auf der Stelle wußte: dieser ist’s! und ihm nun mit vollem Bewußtsein nachlebe.“
„Darf man ihn erfahren, diesen Grund der Gründe?“ fragte Frau Agnes voll Neugierde. „Olga, Sie werden doch nicht fortgehen wollen, wo es so etwas zu hören giebt? Nun, Herr von Stetten, was sagt Chamfort?“
Der junge Mann warf einen raschen Blick auf die schlanke Gestalt, die gleichmüthig wieder Platz nahm, und antwortete dann: „Er sagt also: ‚Es geht mir wie jener Frau, die einen Sohn im Kopfe hatte, wie sie ihn nie bekommen sollte – so habe ich eine Frau im Kopfe, wie es Wenige giebt. Diese Frau hat mich vor Denen bewahrt, wie es Viele giebt, und dieser Frau bin ich großen Dank schuldig.‘ Ungefähr so ist es mir auch ergangen,“ schloß er mit künstlicher Unbefangenheit und richtete die Augen nach der Decke empor, während Olga sich abwandte, um ein leises Lächeln zu verbergen.
Der Doctor klopfte ihm auf die Achsel und sprach gravitätisch: „Du hast weise gehandelt, mein Sohn.“
Zu gleicher Zeit riefen die Tante und Frau Agnes wie aus Einem Munde: „Nein, das ist doch zu stark. Und das wagen Sie uns Allen zu sagen?“
„Warum nicht?“ versetzte der Sünder lächelnd, „ich hatte Sie ja natürlich Alle zu den Ausnahmen gezählt, und Sie werden sicherlich mit mir finden, wie Recht der alte Chamfort hat.“
In das nun beginnende Durcheinander von Entrüstung und Gelächter krähte des Doctors scharfe Stimme: „Redefreiheit, meine Herrschaften, Redefreiheit, und sprechen Sie lieber nach einander, als Alle zusammen! Jeder möge seine unverfälschte Meinung von sich geben, die meinige aber geht dahin, daß Einer, der auf’s Heirathen ausgeht, viel mehr Aussicht hat, Eine zu bekommen, wie es Viele giebt, als das Gegentheil, und daß man deshalb wohl thut, die Finger davon zu lassen.“
„Das sagt er nur, weil er selbst in einer so unglücklichen Ehe gelebt hat,“ zischte die Entrüstung der Tante zu Frau Agnes hinüber, aber im Eifer etwas zu laut, sodaß er boshaft lachend erwiderte:
„Wo sind denn die vielen glücklichen Ehen? Nennen Sie mir einmal ein Dutzend, wie die beiden hier! Oder soll ich Ihnen aus meiner Erfahrung – ein Arzt sieht ja so vieles mehr, als andere Leute – erzählen, wie das Glück wirklich aussieht, womit man der Welt Sand in die Augen streut?“
Franz Vollmer, der junge Ehemann warf seiner Frau einen raschen Blick zu, der nicht erwidert wurde.
„Sie übertreiben wieder einmal unglaublich, Doctor,“ sagte die Hausfrau, „so viel unglückliche Ehen, wie Sie meinen, giebt es nicht, aber leider viel gleichgültige, die besser sein würden, wenn die Menschen verstünden, glücklich zu sein.“
„Oder wenn die Frauen verstehen wollten, glücklich zu machen,“ erwiderte er, „die Interessen des Mannes zu theilen und wie der Schwindel sonst noch heißt, den sie Einem vor der Heirath so zuckersüß um den Mund streichen. Hinterher freilich thut man sich keinen Zwang mehr an, da kommen andere Eigenschaften zum Vorschein und entwickeln sich so riesengroß, daß der arme Geprellte, nach wiederholten vergeblichen Versuchen seinem Engel die Anfangsgründe menschlicher Logik beizubringen, sich in’s Unabänderliche ergiebt und, ohne zu mucksen, die Toiletten und Badereisen weiter bezahlt. Das heißt dann vor der Welt eine glückliche Ehe – mit Ausnahmen natürlich, mit Ausnahmen!“ schloß er in einem Tone der Hochachtung, welcher lächerlich genug von dem vorigen abstach.
„Aber er hatte sich umsonst angestrengt mit seiner verspäteten Höflichkeit. Die Lippen der jungen Frau bebten, und sie wollte eben etwas erwidern, als ihr Schwager sagte:
„Du redest Dich um Hals und Kragen, lieber Freund, und hast dabei nicht einmal das Verdienst der Neuheit, denn ungefähr so sprechen alle Ehefeinde seit alten Zeiten. Wir wollen lieber an Montaigne’s Satz erinnern: ‚Man beschuldigt leichter ein Geschlecht, als man das andere entschuldigt.‘ Wenn es in vielen Ehen übel aussieht, haben die Männer ebenfalls ihren Theil an der Schuld.“
„Warum nicht gar!“ und „ja, ja, so ist’s,“ riefen Franz und Agnes zu gleicher Zeit.
„Wenn die Frauen sich nach der Hochzeit verändern,“ fuhr diese mit hochgerötheten Wangen fort, „so soll man den Grund nur darin suchen, daß sich die Männer zuerst verändern, so sehr und so unglaublich, daß man wohl oder übel, nachdem man sich genug darüber gegrämt hat, sich in die Zeiten schickt und auch ein wenig anders wird, als früher.“
„Ein wenig!“ lachte der junge Kaufmann bitter auf.
„Sie könnten uns wohl die Geschichte zum Besten geben,“ sagte der Doctor trocken. „Das Aussprechen erleichtert ungemein.“
Agnes sah, ohne zu antworten, vor sich auf den Tisch, und Franz trommelte energisch mit den Fingern. Arnold, dem die Verstimmung der Beiden den Abend über aufgefallen war, sagte
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_304.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)