Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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mit verstelltem Ernste: „Sollte das vielleicht die Geschichte von der Rosenlaube sein? Erinnerst Du Dich noch, Felicitas?“
„Ob ich mich erinnere!“ antwortete lächelnd die schöne Frau. „Ich verdanke ihr ja mein ganzes Glück.“
„Potztausend, welche wunderkräftige Geschichte!“ rief der Doctor. „Ist sie für unsere profanen Ohren zu gut?“
„Keineswegs, ich möchte sie sogar allen jungen Frauen erzählen können – und solchen, die es werden wollen,“ setzte sie mit einem schalkhaften Blicke auf Olga hinzu, was ein kleines Aufwerfen der schönen Lippen zur Folge hatte. „Also – wir waren ein paar Monate verheirathet und von einer entzückenden Reise nach Italien zurückgekehrt. Arnold fand eine Menge Geschäfte vor, die ihn den Tag über ganz in Anspruch nahmen; ich freute mich nun auf den Abend und wartete mit stets neuer Sehnsucht auf die Stunde nach Tisch, wo wir plaudernd und kosend in der Sophaecke saßen und uns in tausend schönen Erinnerungen ergingen. Als er sich aber jeden Tag etwas rascher losmachte, seine Lampe anzündete und nach der Zeitung oder dem Skizzenbuche griff, als er auf jedes ‚Weißt Du noch?‘ antwortete: ‚Ja, ja, aber ich sage Dir, ich habe heute riesig gearbeitet‘ –“
„Verleumdung!“ rief Arnold. „So arg war es nicht.“
„Gerade so arg! – – da fing ich an, mir sehr verlassen und unglücklich vorzukommen, und ging den ganzen Tag mit verhaltenen Thränen herum. Auf meine zärtlichen Vorwürfe antwortete er mir einmal lachend mit Jean Paul’s Wort: ‚So lange ein Weib liebt, liebt es in Einem fort; der Mann hat dazwischen zu thun.‘ An diesem Tage beschloß ich, meine unverstandenen Gefühle in mich zu verbergen und mich darein zu ergeben, daß unser schönstes Glück nur wochenlang gedauert habe.“
„Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder; mir hat er abgeblüht,“ recitirte der Doctor.
„Ja, so ungefähr,“ lachte sie. „Nun, an demselben Morgen fiel mir beim Abstäuben von Arnold’s Büchergestell ein alter Band von Justus Möser in die Hand, den ich mechanisch aufschlug; ich fand darin als Erstes einen ‚Brief einer alten Ehefrau an eine junge‘, der mir einen ganzen Wald von Lichtern aufgehen ließ. Es heißt darin ungefähr: ‚Nicht wahr, Sie wünschen wohl, daß Ihr Mann wie vormals einsam mit Ihnen auf der Bank in der Rosenlaube sitzen, Ihnen in das blaue Aeugelein sehen und, um einen Kuß auf Ihre schöne Hand zu drücken, knieen soll – meine Wünsche gingen wenigstens in dem ersten Jahre unserer Ehe auf nichts Geringeres, als auf dies. Aber das geht nicht an, der beste Mann ist auch der thätigste, und wenn unsere Männer von ihrer Vernunft in dieser Beziehung wohl geführt werden, so dürfen wir uns nicht darüber beklagen, daß sie sich nicht so oft wie ehemals mit uns am Silberbache und unter Louisens Buche unterhalten.‘ Dann erzählt sie, wie es auch bei ihr Thränen und Klagen gab, und läßt ihren Mann sprechen: ‚Ich sehe wohl, Du willst, ich soll noch wie vormals an Deiner Seite hängen und von Deinem Odem leben, aber dies ist mir unmöglich, wenn ich Dich auch in jedem Augenblicke mit Gefahr meines Lebens auf einer Strickleiter vom Glockenthurme herunterholen würde, falls Du nicht anders zu erreichen wärst. Mein Ehrgeiz will immer ein neues Ziel; ehe Du mein warst, brauchte ich alle Tugenden zu Stufen, um zu Dir zu gelangen; nun, da ich Dich habe, setze ich Dich oben darauf und Du bist bis dahin die oberste Stufe, von der ich weiter schaue.‘“
„Das war, was man eine starke Dosis nennt,“ sprach der Doctor und nahm eine Prise.
„Ja, und sie wirkte ganz gehörig. Erst traf es mich wie ein Blitz, daß Einer vor hundert Jahren so genau meine eigene Geschichte habe schreiben können – ich wußte noch nicht, daß es eine allgemeine ist – dann ärgerte ich mich unsagbar über den groben Ehemann und sein ungeschliffenes Gleichniß von der Treppenstufe. Aber endlich las ich doch weiter und fühlte immer deutlicher: die alte Frau hat Recht.“
„Was sagte sie denn noch?“ fragte Agnes so unbefangen wie möglich.
„Sie erzählt, wie sie sich ihrerseits mit einem herzhaften Entschlusse von den Liebesträumen ab und einer frischen häuslichen Thätigkeit zugewandt habe. ‚Wenn wir dann am Abende zusammen saßen und uns erzählen konnten, was wir den Tag über in Haus und Feld geschafft hatten, da waren wir oft froher und vergnügter, als alle liebevollen Seelen von der Welt. Und glauben Sie nicht, daß ich darum ganz auf das Vergnügen, ihn zu meinen Füßen zu sehen, verzichtet hätte; diese Gelegenheit findet sich weit eher, wenn man sie nicht sucht und sich zu entfernen scheint, als wenn man sich allemal, so oft es dem Herrn beliebt, in der Rosenlaube finden läßt.‘ Kurz, sie ist eine glückliche Frau, Mutter und Großmutter geworden und empfiehlt ihr Recept zur Nachahmung. Ich saß damals mit dem Buche auf dem Schooße lange Zeit, und es wollte mir gar nicht in den Kopf, daß der einzige Weg aus diesem Unglücke über meinen geopferten Egoismus gehen sollte. Aber allmählich kam ich zum Entschlusse, es einmal zu probiren, heiter und liebenswürdig zu sein, wenn er abgespannt heimkam, und seine Interessen, auf die ich eben noch so bitter eifersüchtig war, zu den meinigen zu machen. Das glückte mir so, daß ich bald ohne alle Verstellung an den Dingen mit Lust und Liebe Antheil nahm. Nun führten wir wieder lange Gespräche, wenn auch nicht mehr über unsere Empfindungen, und seither haben Mißmuth und Verdruß bei uns keine Stätte mehr gefunden – nicht wahr, Arnold?“ Sie reichte ihm die Hand über den Tisch, die er so herzlich drückte, daß man wohl sah, sie sprach wahr.
„Nun, es ist Ihnen geglückt, verehrte Freundin,“ sagte der Doctor, „aber Sie gehören eben zu den Ausnahmen und Arnold auch, obgleich mir das Complimentensagen sonst zuwider ist. Bei Andern geht es anders; dort würde sich auch Herr Justus Möser die Lunge umsonst lahm reden, denn da vermehrt sich der erste Verdruß in geometrischer Progression, bis zuletzt des Mißverstehens kein Ende und keine Rettung mehr ist.“
„Ja, das Mißverstehen,“ sagte Arnold, „das spielt allerdings eine Hauptrolle in allen Ehezwisten.“
„Nicht wahr!“ rief Agnes lebhaft. „Aber ein Mann sollte sich doch auch Mühe geben, seine Frau zu verstehen, so gut, wie sie ihn.“
„Die Mühe wäre ziemlich umsonst,“ bemerkte der bis jetzt schweigsame Philosoph. „Mann und Frau verstehen sich nicht eigentlich so, wie Freunde desselben Geschlechts, um so weniger, je mehr sie sich lieben, und vor allen Dingen lernen sie niemals ihre innersten Motive kennen. Das, was die Frau ‚ihren Mann kennen‘ heißt, ist nur eine Fertigkeit, ihn zu behandeln; in das Warum seiner Handlungen kann sie sich nicht versetzen, so wenig wie er in das ihrige, und Beide machen manchmal durch einen unverhofften Einblick darein die unliebsamsten Erfahrungen. Freilich täuscht sich Eines in seinen Voraussetzungen und Erwartungen so lange über das Andere, bis jedes von Beiden auf dem Erfahrungswege lernt, daß es ein von ihm grundverschiedenes Geschöpf ist, mit dem es zu thun hat – und nun respectirt es dessen Eigenthümlichkeiten –“
„Drücken Sie sich doch nicht so unaussprechlich kühl aus!“ fuhr der junge Maler dazwischen. „Das ist ja eben das Schönste von der ganzen Sache. Einen Freund verstehen und darum lieben – was ist dabei Besonderes? Aber nicht verstehen und doch lieben, über eine schlechte Behandlung wüthend sein und sie nach Kräften vergelten, umsonst nachdenken: warum hat sie dies gethan oder nicht gethan? und dabei noch toller verliebt sein als Tags zuvor, kurz –
‚Glück ohne Ruh’,
Liebe, bist du –‘“
„Sagt Chamfort!“ ergänzte lachend der Doctor. „Petre, Petre, ehe denn der Hahn zweimal kräht –“
Aber Richard hörte den Spott nicht. Seine Augen waren fest auf Olga gerichtet, welche die ihrigen mit einem muthwilligen Lächeln erhob. „Es war ja von der Ehe die Rede, nicht von der Liebe, und die Herren hier in Deutschland sprechen sich in der Ehe über das ‚nothwendige Mißverstehen‘ so viel weniger entzückt aus, daß ich zum Beispiel keine Lust hätte, die Erfahrung an mir selbst zu machen.“
„Also das ist Ihr ‚Grund‘?“ fragte der Doctor. „Schön, daß Sie Aufrichtigkeit mit Aufrichtigkeit erwidern und Ihre Antipathie gegen eine deutsche Ehe uns nicht verhehlen.“
„Sie meint es nicht so schlimm,“ begütigte Frau Felicitas.
„Doch, doch, ich meine es ganz so schlimm, wenn das überhaupt schlimm ist. Ich möchte keinen Deutschen heirathen, weil mir ihre berühmte Hochachtung vor den Frauen immer vorkommt
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_305.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)