Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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Shakespeare’s Triumph in Ketten. (Mit Abbildung S. 307.) Unter der zu einem wahrhaft riesigen Umfange angeschwollenen Shakespeare-Literatur befindet sich so manches Unfruchtbare, vom Grau der Theorie Angekränkelte, daß es ein um so wohlthuenderes Gefühl ist, einmal einem Shakespeare-Buche zu begegnen, in dem man „des Lebens goldenen Baum“ frisch und voll rauschen hört. Als ein solches müssen wir Karl Fulda’s Studie „William Shakespeare“ (Marburg, Ehrhard) bezeichnen, welche nicht nur über die Stellung des großen Briten zur Weltliteratur und seinen Einfluß auf alle späteren dramatischen Dichter interessante Aufklärungen enthält, sondern auch über das äußere und innere Leben Shakespeare’s eine Fülle des Neuen und Beachtenswerthen mittheilt.
Wir können uns nicht versagen, unter Hinweisung auf unser heutiges Bild und anknüpfend an den kürzlich, wie alljährlich, gefeierten Geburtstag Shakespeare’s (23. April) aus dem Buche eine Episode wiederzugeben, welche zur Charakteristik sowohl des Dichters wie seiner Zeit von allgemeinem Interesse sein dürfte.
„Die Tradition,“ heißt es in dem erwähnten Buche, „hat folgende Nachricht über die erste Aufführung von Shakespeare’s ‚Romeo und Julie‘ in London aufbewahrt.
Das Blackfriars-Theater in London hatte den ganzen Luxus einer grotesken Decoration entfaltet, um seine Räume wo möglich glänzend herauszuputzen. Noch heller beleuchtet, als der übrige Raum war die für die Königin bestimmte Estrade, auf welcher bereits mehrere Hofdamen und Kronofficiere Platz genommen hatten. Die Zuschauer hatten sich in Menge versammelt. Der Dichter, welcher mit ‚Titus Andronicus‘, mit der Trilogie ‚Heinrich des Sechsten‘, dem ‚Sommernachtstraum‘ etc. öffentlich aufgetreten war, wollte heute in seinem ‚Romeo und Julie‘ ein noch größeres, genialeres Werk zur Aufführung bringen, welches endlich seine Verleumder zum Schweigen verurtheilen und ihm eine noch von keinem dramatischen Dichter erreichte Stelle anweisen sollte. An demselben Tage jedoch wurde Shakespeare einiger Beleidigungen halber, die er sich unvorsichtiger Weise gegen mehrere Lords zu Schulden kommen ließ, verhaftet und sollte noch an demselben Abende in den Tower geführt werden. Von Shakespeare’s Gefangennehmung war indessen im Publicum noch nichts lautbar geworden.
Das Parterre erwartete mit Sehnsucht das Aufgehen des Vorhanges, während hier und da Gruppen von Studenten, Soldaten und Matrosen sich die Zeit mit Kartenspielen vertrieben und unter Lachen und Scherzen die Alekrüge umhergehen ließen.
Die Königin erschien, umgeben von einem glänzenden Hofstaate, und gab das langersehnte Zeichen zum Anfange.
Schon im ersten Acte wurde die ganze Versammlung durch das hinreißende Interesse der Handlung dergestalt gefesselt, daß die Gegner des Dichters vergaßen, weshalb sie sich eigentlich eingefunden. Jedermann wollte wissen, wie Romeo und Julie in den Stürmen und Gefahren, welche ihnen durch Familienhaß und Zwietracht bereitet wurden, das zerbrechliche Schifflein des Glückes in den sicheren Hafen führen würden.
Das Theater erdröhnte von lautem Beifallsturme. Durch das Jauchzen und Jubeln drang Shakespeare’s Name; mit starker, kräftiger Stimme wurde gerufen: ‚Der Dichter solle selbst erscheinen, um die Glückwünsche des Publicums in Empfang zu nehmen.‘
Diesem in jener Zeit ganz ungewöhnlichen Hervorrufe folgte ein allgemeiner Ausbruch der Begeisterung. – Das Rufen und Stampfen wurde immer stärker, und der Enthusiasmus drohte in Tumult auszubrechen. Endlich tritt der Director schüchtern vor und verkündet mit zagender Stimme, daß der Dichter nicht erscheinen könne, weil er arretirt und in den Tower abgeführt worden sei.
Während diese Nachricht trotz der Gegenwart der Königin eine ernste Störung der Ruhe durch das aufgeregte Publicum befürchten ließ, führte ein glücklicher Zufall den gefesselten und von Hellebardieren umgebenen Dichter durch eine Gasse beim Theater vorüber. Er hatte bis jetzt im Gerichtshause gewartet, bis er nach Erfüllung der gesetzlichen Formalitäten in den Tower abgeführt werden konnte.
Als er hinter der Bühne vorüberging, wo seine Person eine so beispiellose Begeisterung erregte, hörte er den lauten Tumult und vernahm deutlich seinen Namen. Unbeschreiblich war der Eindruck, den diese von tausend Stimmen dargebrachte Huldigung auf ihn machte. Es trieb ihn mit unwiderstehlicher Gewalt in die halb offene Seitenthür; er machte sich Bahn durch die ihn umgebenden Hellebardiere und eilte, trotz seiner Fesseln, ihnen voraus auf die Bühne.
Die heftige Aufregung, der Glanz der flimmernden Lichter, der Anblick der bewegten, tobenden Menge – der ganze Eindruck dieses Augenblicks war von so erschütternder Wirkung auf ihn, daß er, durch die Ketten überdies in seinen Bewegungen gehindert, in die Kniee sank, die eine seiner gefesselten Hände auf den Boden stützend, während er mit der anderen dem Publicum Dank zuwinkte. Zwei Söldner, welche ihn verfolgten, blieben, durch den Anblick des überfüllten Hauses betroffen, zu beiden Seiten des Gefangenen stehen und bildeten mit Letzterem eine ergreifende Gruppe.
Bei diesem unerwarteten Erscheinen des Dichters, den der Ruf der Menge aus der Tiefe des Kerkers heraufbeschworen zu haben schien, erreichte der Jubel den höchsten Grad; Blumen und Kränze häuften sich um den Gefeierten. Selbst die Königin warf ihm eine Rose zu. Das ganze Theater schien unter dem freudigen Getöse zusammenstürzen zu wollen.
Als endlich der Vorhang fiel und das Publicum sich allmählich zerstreute, wurde Shakespeare von den Schauspielern freudig begrüßt. Aber die Hellebardiere traten jetzt ein, um ihren Gefangenen neuerdings abzuführen. Vor der zur Bühne führenden Seitenthür jedoch hatte sich eine zahlreiche Menschenmenge angesammelt, welche nicht übel Lust zu haben schien, sich als Vertheidiger Shakespeare’s aufzuwerfen und ihn durch eigene Gewalt zu befreien.
Der Tumult fing an, einen bedenklichen Charakter anzunehmen, so daß die im Theater Wache haltenden Bogenschützen zur Unterstützung der Hellebardiere beordert werden mußten. So standen die Kriegsmänner dem murrenden Volkshaufen gegenüber, in der Mitte der Gefangene, welchen zwei Hauptleute hielten, der dichtgedrängten Menge halber jedoch nicht wegführen konnten.
Schon flogen einzelne Steine auf die Soldaten, als ein Reiter, den das Volk bisher von der Hauptscene des eben ausbrechenden Kampfes fern gehalten hatte, sich endlich Bahn brach. Shakespeare erkannte seinen Freund Henry von Southampton, der den Hauptleuten zurief: ‚Gebt den Gefangenen frei, Capitains! Im Namen der Königin!‘
Ein lauter Freudenruf erhob sich von allen Seiten. Shakespeare wurde nebst seinem Freunde im Triumphe nach der in der Nähe befindlichen Syren-Taverne geführt; es wurde tapfer auf den errungenen Sieg getrunken, und selbst manche junge Lords, welche die classische Taverne zu besuchen pflegten und auch an diesem Abend den Ausgang der Dinge erwarteten, schlossen sich den fröhlichen Zechern an.“
„Ein Hausbuch des geographischen Wissens.“ Was wir bei der Beurtheilung der ersten Hefte von A. Hummel’s „Handbuch der Erdkunde“, J. M. Gebhardt’s Verlag (Leopold Gebhardt), Leipzig 1876, gehofft und (Gartenlaube, Nr. 43, 1873) ausgesprochen, liegt nun vollendet und so treu wie schön erfüllt vor uns da. In zwei Bänden und mit zweiundzwanzig erläuternden Holzschnitten ausgestattet, hält das Buch, was es zu werden verheißen, ist es in der That ein Werk geworden, in welchem sich „für den Bildungsuchenden die Summe der modernen geographischen Wissenschaft in leichtverständlicher Fassung darbietet und das dabei auch dem praktischen Bedürfniß innerhalb vernünftig gezogener Grenzen entsprechen kann.“ Wir müssen dem Werke drei besondere Vorzüge zugestehen. Zum Ersten die populäre Klarheit der wissenschaftlichen ersten Abtheilung der „Allgemeinen Erdkunde“, nämlich der „Astronomischen Erdkunde“, und der „Allgemeinen Physik der Erde“; hier zeigt sich der Verfasser als erfahrener Lehrer, welcher den Horizont der Bildungs- und Anschauungskreise, die er fördern will, genau kennt. Zweitens widmet das Buch dem vaterländischen Boden und Volke und der Beschreibung, Schilderung und Geschichte derselben den breitesten Raum, über dreihundert Seiten des ersten Bandes; dadurch behauptet es den Charakter einer „Vaterlandskunde“, während es durch die Führung rund um die Erde zu allen der Forschung geöffneten Ländern und Völkern die belehrenden Vergleiche bietet, um Einheimisches und Fremdes gerecht würdigen zu lehren. Endlich hat der Verfasser durch die Abwechselung, in welcher er neben den kahlen Zahlen und Classificationen die farbenreichen Schilderungen der Geschichts-, Cultur- und Naturkundigen uns vor Augen bringt, dieses Lehrbuch der Geographie zu einem lieben Geist und Herz zugleich nährenden Lesebuch am Familientische erhoben.
Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger. Ende April dieses Jahres findet in Hamburg zum Vortheile der Pensionscassen ein Bazar statt. Das Unternehmen, an welchem sich namentlich die kunstliebenden Kreise der alten Hansestadt mit Eifer betheiligen, verspricht ein ebenso großartiges, wie in seinen Folgen segensreiches zu werden. Das Gabenverzeichniß ist ein glänzendes. Namentlich haben sich die Dichter und Schriftsteller Deutschlands warmherzig betheiligt. In herrlichster Fülle ist deutsches Geistesleben und deutsches Schriftthum unter den Gaben vertreten. Fast alle Namen von goldenem Klange finden sich neben den frisch und kräftig dem Höchsten zustrebenden Talenten. Was aber diesen Gaben der deutschen Dichter und Schriftsteller einen ganz besonderen Werth verleiht, ist der Umstand, daß jeder Spende eine autographische Widmung des Verfassers beigegeben ist. Abgesehen von dem Werthe der Facsimiles, sind diese Widmungen meist eigenartige Documente dichterischer Production. Wir erwähnen hier nur die herzlichen Verse Holtei’s, die wir leider des beschränkten Raumes wegen nicht mittheilen können, und Gutzkow’s freundliche Einladung, mit welcher er sein „Vom Baume der Erkenntniß“ begleitet:
„Wem dies Büchlein wird zu eigen,
Wolle mir die Gunst erzeigen:
Daß er – ich erwart’ es fest –
Wer er sei, mich wissen läßt!“ –
Nicht minder freundlich sind die Widmungen, welche neben vielen Anderen, L. Steub, Friedrich Hofmann, E. Marlitt und Klaus Groth ihren Spenden mit auf den Weg geben. Der Letztere sagt:
„Ik gröt den unbekannten Mann,
Den mal dit Bok kummt in de Hann,
Wünsch em so veel Tofredenheit,
Als in dat Bok beschreben steit.“
Scheffel macht ein höchst sinniges Eingeständniß, und Theodor Drobisch ruft dem künftigen unbekannten Besitzer seines Buches sehr bescheiden und liebenswürdig zu:
„Wer Du auch bist, der auf des Glückes Bahn
Gewinnt dies Buch, mit Nieten in dem Streite –
Spricht Dich in ihm nur eine Stelle an,
Ist der Gewinn auf meiner Seite.“
Gewiß eine prächtige Gelegenheit für den Literaturfreund und Büchereibesitzer. Wem es unter diesen „seine Verhältnisse erlauben“, der kann seine Bibliothek trefflich und eigenartig bereichern. Das „Comité für den Bazar zum Vortheile der Pensionsanstalten der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger, Hamburg, St. Anscharplatz 1“ ist zu Auskunft in dieser Beziehung bereit.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_310.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)