Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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schon Jesus gesagt. ‚Und so ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in’s Himmelreich kommen!‘“
Ich trommelte gedankenvoll auf den Fensterscheiben. Das Zimmer ging auf die Charlottenstraße. Gerade gegenüber lag das große Gebäude, wo ich selbst geboren bin, die Akademie. Jeder Fleck ringsum, vom jetzigen Wohnhause des Kaisers an bis zu Professor Hofmann’s chemischem Laboratorium, bis zur Universität und der Hegel-Büste, bezeichnete Spuren dieses Paradieses, das allerdings auch in mir lebendig geblieben war und das mich durch die beredte Schilderung und durch den Gegensatz zu späteren Zeiten nur rühren konnte.
„In seine Jugend soll man zurückkehren, wenn man im Alter den Weg verloren hat,“ fuhr Goltz fort. „Aus der Erinnerung an unsere Kindheit strömt uns Kraft zu, immer Mann zu sein. Als Kinder waren wir Riesen im Bergeversetzen, Feldherren im Schlachtenliefern, unerschrocken, muthig, warm und edel in der Freundschaft, treu in der Liebe.“
„Wir müssen Brockhaus in’s Interesse ziehen,“ riß ich mich von den Bildern meiner eigenen Jugendzeit los, von den Flotten, die mir da drüben ein Spahn auf einer wassergefüllten „Löschtiene“, von den Schlachten, die mir eine Knabenbalgerei in der Charlottenstraße vorstellte. Was mich erschütterte, erfuhr Goltz nicht. Interesse für Andere, das bemerkte ich sogleich, fehlte ihm gänzlich. Ob er nun mich anredete oder Theodor Mundt vor sich gehabt hätte oder Berthold Auerbach, es wäre ihm ganz einerlei gewesen. Er sah Jeden nur darauf an, ob er etwa der Colporteur seiner Interessen sein konnte.
Bogumil Goltzens dann erfolgtes literarisches Auftreten ist bekannt. Nach einer kurzen, höchst wohlthuend auf die der Erquickung so bedürftige pädagogische Welt, besonders der Volksschullehrer, wirkenden Periode brachte ihn Berlins wunderliches Treiben und Drängen erst zu einer Reise nach Aegypten, dann auf Vorlesungen über Allerlei, woraus sich ein reisendes Virtuosenthum als „Lecturer“ à la Boz und Thackeray entwickelte. Diese „Lebensart“ (eines seiner am häufigsten gebrauchten Wörter) brachte ihm keine Schätze ein. Dem Deutschen rollt das Blut nicht sensationell durch die Adern. Vorreiter und Zukunftsmusiktrompeter gab es auch anfangs bei ihm. Dann aber wurde alles stiller, bis ihm Friedrich Wilhelm der Vierte die noch auf der Kante eines Stolzenfels’schen Kamins liegen gebliebenen Freiligrath’schen dreihundert Thaler als Pension gab, die er einige Jahre lang genoß. Eine andre aus der Schillerstiftung kam hinzu.
„Der Pessimismus im Stadium der Tobsucht?“ – Allerdings! In der That konnte Goltz so rasen und Schiller und Goethe und Gott und alle Welt herunterhunzen, wie Hamerling beschreibt. Aber Hamerling hätte hinzufügen müssen: Es war alles das bewußte Schauspielerei. Es war ein Virtuosenkunststück durch und durch. Ein aufgezogenes Musikstück in einer Schweizer Kunstuhr! Bogumil Goltz war nur der Matador seiner selbst. Sein Ich war ihm die Welt. Er hatte das tiefste Gemüth für seine eigenen Zustände, aber nicht die Spur für fremde. Das war das Unheimliche, Zacharias Werner’sche, der Jesuit in seinem Auge. Er spielte nur Komödie und wiederholte hundert Mal dasselbe.
Auf jener Brühl’schen Terrasse, in jenem angenehmen Oval des Belvedere, wo sich so traulich mit Freunden beim Mahle plaudern läßt, wo man durch die rauschende Musik im unteren Geschoß nicht gestört und nur von dem Gefühl belebt wird, daß es noch eine heitere Welt giebt, saßen wir unser zehn bis zwölf von „auf Bogumil Goltz“ Zusammengetrommelten beisammen. Natürlich führte er allein das Wort und war ein Brillantfeuer an Laune und komischen Behauptungen. Immer höher gipfelten sich die Raketen, die er steigen ließ. Auf Champagner hatte ihn Niemand von uns setzen wollen. Er bestellte sich ihn selbst und rief dadurch den Wetteifer der Portemonnaies hervor. Das ging so eine Weile fort. Der Mond draußen leuchtete wunderbar. Die Sterne spiegelten sich in der sanft dahin rollenden Elbfluth. Die Musik hatte schon aufgehört. Auf dem Rundbogen, der sich um den Terrassensaal zieht, saßen noch fröhliche Gesellschaften, hier und da vereinzelte liebende Paare. Schon schlug es elf. Goltz war ein vollständiger Tänzer auf dem Seile der Dialektik. Er bewies, daß das Wirkliche Täuschung und die Täuschung das Wirkliche sei, daß die größten Männer zu früh der Zuchtruthe ihrer Lehrer entlaufen gewesen, daß die Menschheit nur ein Gesammtgehirn, wie ein Ameisenhaufen, hätte, dessen einzelne Bestandtheile er analysirte. Das ging so fort. Alles staunte, Alles horchte, bis er plötzlich – sozusagen vom Seil fiel und das Bein brach. Er konnte nicht weiter. Der Moment war geradezu für den, der ihn verstand, schreckhaft. Man fühlte das Stocken der geistigen Maschine. Sie hatte plötzlich Schaden gelitten. Ein Rad war gebrochen. Sie arbeitete nicht mehr. Der Unsinn schien vor sich selbst zu erröthen. Er blieb ihm wie ein unvollendeter Satz auf der Zunge liegen. Eine spätere Sammlung, gleichsam ein Zusammenbinden des vielleicht nur gerissenen Seiles schien von keiner Seite mehr möglich. Er selbst warf einen langen vielsagenden Blick auf meine Person. Es war der der äußersten Beschämung und Verlegenheit. Ich mußte an die erste Begegnung, an Shakespeare’s bekanntes Wort vom Schauspieler, der sein Stündlein abgespielt hat und still nach Hause schleicht, denken. Den unsrigen hatte vollends noch sein geheimer Souffleur heute im Stiche gelassen. Welche Stimmung – –! Seitdem habe ich den bei alledem originellen Mann nicht wiedergesehen.
Als kürzlich die Scheffel-Feier durch Deutschland brauste, trat an die Mitbewohner des deutschen Parnaß eine eigenthümliche Aufgabe heran. War ein Poet gleicher Meinung über den Gefeierten, wie die akademische und polytechnische Jugend, und stimmte doch nicht hörbar in den Chorus mit ein, so hatte die Conjecturalkritik Gelegenheit, auf Neid zu forschen. Dachte aber der Nichtgefeierte geringer von den Leistungen, die so enthusiastisch gepriesen wurden, so sagte ihm Gracian’s „Handorakel“ (bekanntlich die Moral der an der Tagesordnung befindlichen Schopenhauer’schen Philosophie): Zügle dein Urtheil! Es ist nicht immer an der Zeit, es auszusprechen.
Wie dem sei, ich erzähle ein Nonplusultra, wie sich Dichter geberden können, wenn andere Lieblinge Apoll’s, und noch dazu todte, gepriesen werden.
Friedrich Hebbel, der geistreiche, scharf combinirende Poet, der markige Dichter einer Epoche, die leider in der Poesie durchaus nur das Süßliche und Gemachte begünstigen zu wollen schien, war ein geborener Dithmarsche. Somit gehörte er einem Staate an, der von je Dichter geehrt hat, einem Staate, der in die deutsche Literatur, in Klopstock’s, Schiller’s Leben mit überraschenden Spenden eingriff, einem Staate, der auch noch jetzt Reisestipendien an hervorragende Talente austheilt und, wenn diese zurückkehren, für ihre weitere Versorgung und Auszeichnung sorgt, worunter allerdings der alte Zopf der Adelserhebung fehlt, denn das gemeinte Land hat keinen Adel. Es ist also nicht Deutschland, nicht Preußen oder Bayern, sondern Dänemark.
„Ich mußte selbst nach Kopenhagen,“ erzählte mir einst der bald im guten Bunde, bald auf der Mensur mit mir stehende Hebbel, „um mir auf drei Jahre die für literarische Ermunterungen üblichen sechshundert Reichsthaler zu erobern. Am Sund hatte man mich angeschwärzt. Der Director des Kopenhagener Hoftheaters war selbst Dichter, Professor Heiberg. Seiner Frau, einer unvergleichlichen Schauspielerin lag ganz Dänemark zu Füßen. ‚Emiliens Herzklopfen‘ ist ja auch bis zu uns gedrungen. Es war meinen Gegnern geglückt, mich mit meiner ‚Judith‘ den maßgebenden dänischen Potenzen als einen unbedeutenden Aufdringling darzustellen. Wenigstens schilderten sie mich so bei denen, wo die Entscheidung lag.“
Ich kannte Hebbel’s Fehde mit Heiberg. Er hatte in einer kleinen Schrift „Mein Wort über das Drama“ den Mund etwas zu voll genommen. Aber die Weise der Dänen war ja damit nur nachgeahmt. Denn wir Alle wissen, die neuen dänischen Skalden leisten im Erkennen der Schönheiten, die Gott ihrem Geiste verliehen haben soll, das Unglaubliche. Giebt es nicht zwei ganz verschiedene Lesarten selbst über den guten Christian Andersen, den kürzlich die Norne dahinraffte? Eine, der zufolge die kindliche, aus dem Reich der Elfen und Märchen stammende Natur des Dichters ganz so genommen wird, wie sich diese gegeben haben wollte, und eine andere, die nur einen mit Orden behangenen, von Fürstenhof zu Fürstenhof reisenden, eitlen, sich selbst überschätzenden Mann gesehen hat, einen Schwächling, dem nur unter Damen wohl war, die ihn wie ein Lämmlein
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_317.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)