Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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großen Rasenplatze vor dem Schlosse versammelt, auch Graf Morynski mit seiner Tochter befand sich dort. Die Herren bewunderten einstimmig das schöne Reitpferd Nordeck’s, das dieser erst kürzlich hatte nachkommen lassen und das vorgestern eingetroffen war; sie gestanden es dem jungen Gutsherrn zu, daß er in dieser Beziehung wenigstens sehr viel Geschmack zeige.
„Ein herrliches Thier!“ sagte der Graf, indem er den schlanken Hals des Rappen klopfte, der sich die Liebkosung geduldig gefallen ließ. „Waldemar, ist dies wirklich der wilde Normann, den Sie in C. ritten? Pawlick stand jedesmal Todesangst aus, wenn er den Zügel halten mußte, denn das Thier war eine Gefahr für Jeden, der in seine Nähe kam – es ist ganz eigenthümlich sanft geworden.“
Waldemar, der mit seinem Bruder soeben aus dem Portal getreten war, näherte sich der Gruppe.
„Normann war damals noch sehr jung,“ erwiderte er. „Es war das erste Jahr, wo er überhaupt den Sattel trug. Seitdem hat er sich an Ruhe gewöhnen müssen, wie ich selbst mir das wilde Reiten abgewöhnt habe. Was übrigens die Sanftmuth des Thieres betrifft, so fragen Sie Leo danach! Er hat sie gestern kennen gelernt, als er dem Versuch machte, das Pferd zu besteigen.“
„Ein Satan von einem Pferde!“ rief Leo ärgerlich. „Ich glaube, Du hast es eigens darauf abgerichtet, sich wie unsinnig zu geberden, wenn ein Anderer als Du den Fuß in den Bügel setzt. Aber ich zwinge es doch noch.“
„Laß das lieber bleiben! Normann gehorcht nur mir und keinem Andern. Du bändigst ihn nicht – ich dächte, das hättest Du doch gestern gesehen.“
Eine dunkle Gluth schoß in das Antlitz des jungen Fürsten; er hatte einen Blick Wanda’s aufgefangen, der gebieterisch von ihm forderte, er solle der Behauptung widersprechen, daß er das Pferd seines Bruders nicht habe bändigen können. Das geschah nun zwar nicht, aber der Blick stachelte doch und verschuldete jedenfalls die Heftigkeit Leo’s, in welcher er antwortete:
„Wenn es Dir Vergnügen macht, Deine Pferde so zu dressiren, daß sie einen anderen Reiter überhaupt gar nicht in dem Sattel gelangen lassen, so ist das Deine Sache. Solche Kunststücke habe ich meinen Vaillant allerdings nicht gelehrt,“ er wies nach dem schönen Goldfuchs hinüber, den sein Reitknecht am Zügel hielt. „Im Uebrigen aber würdest Du mit ihm so wenig fertig werden, wie ich mit Deinem Normann. Du hast freilich bisher noch nie die Probe machen wollen. Willst Du es heute versuchen?“
„Nein,“ versetzte Waldemar gelassen. „Dein Pferd ist bisweilen sehr ungehorsam. Du gestattest ihm allerlei Unarten und einen Eigenwillen, den ich nicht dulden würde. Ich käme in die Nothwendigkeit, es mißhandeln zu müssen, und das möchte ich Deinem Lieblinge denn doch nicht anthun. Ich weiß, wie sehr er Dir an’s Herz gewachsen ist.“
„Nun, das käme doch auf einen Versuch an, Herr Nordeck,“ mischte sich Wanda ein; sie hatte gleich nach der ersten Begegnung das vertrauliche „Cousin Waldemar“ ein für alle Mal fallen lassen. „Ich glaube zwar, Sie reiten beinahe so gut wie Leo.“
Waldemar verzog keine Miene bei dem Angriff. Er blieb vollkommen ruhig.
„Sie sind sehr gütig, Gräfin Morynska, mir doch wenigstens einige Fertigkeit im Reiten zuzugestehen,“ erwiderte er.
„O, das sollte keine Beleidigung für Sie sein,“ erklärte Wanda in einem Tone, der noch verletzender war, als vorhin ihr „beinahe“. „Ich bin überzeugt, daß die Deutschen ganz gute Reiter sind, aber mit unseren Herren können sie es darin doch nicht aufnehmen.“
Nordeck wandte sich, ohne irgend etwas darauf zu erwidern, an seinen Bruder. „Willst Du mir Deinen Vaillant für heute überlassen, Leo? Auf jede Gefahr hin?“
„Auf jede!“ rief Leo mit blitzenden Augen.
„Gehen Sie nicht darauf ein, Waldemar!“ fiel Graf Morynski ein, dem die Sache unangenehm zu sein schien. „Sie haben ganz recht gesehen – das Pferd ist ungehorsam und ganz unberechenbar in seinen Launen; überdies hat Leo es an allerlei Tollkühnheiten und Wagestücke gewöhnt, denen ein fremder Reiter, und wäre es der beste, nicht gewachsen ist. Sie setzen sich fraglos dem Abwerfen aus.“
„Nun, probiren könnte es Herr Nordeck doch wenigstens,“ warf Wanda hin, „vorausgesetzt, daß er sich in die Gefahr begeben will.“
„Seien Sie ohne Sorge!“ sagte Waldemar zu dem Grafen, der seiner Tochter einen unwilligen Blick zusandte. „Ich werde das Pferd reiten, Sie sehen ja, wie dringend Gräfin Morynska wünscht, mich – abgeworfen zu sehen. Komm’, Leo!“
„Wanda, ich bitte Dich,“ flüsterte Morynski seiner Tochter zu. „Das wird ja jetzt eine förmliche Feindschaft zwischen Dir und Waldemar. Du reizest ihn aber auch bei jeder Gelegenheit.“
Die junge Gräfin schlug heftig mit der Reitgerte gegen die Falten ihres Sammetkleides. „Da irrst Du, Papa. Reizen! Dieser Nordeck läßt sich überhaupt nicht reizen, am wenigstens durch mich.“
„Nun, weshalb versuchst Du es denn immer wieder von Neuen?“
Wanda blieb die Antwort schuldig, aber der Vater hatte Recht – sie konnte keine Gelegenheit vorübergehen lassen, den zu reizen, der einst bei jeden unbesonnenen Worte in leidenschaftlicher Empfindlichkeit aufloderte und der ihr jetzt mit dieser unverwüstlichen Gelassenheit gegenüberstand.
Die übrigen Herren waren inzwischen auch aufmerksam geworden. Sie kannten Nordeck bereits als tüchtigen, wenn auch besonnenen Reiter, aber es galt ihnen als ausgemacht, daß er es darin mit dem Fürsten Baratowski nicht aufnehmen könne, und weniger rücksichtsvoll, als Graf Morynski gönnten sie dem „Fremden“ die voraussichtliche Niederlage von Herzen. Die beiden Brüder standen bereits bei dem Goldfuchs. Das schlanke, feurige Thier schlug ungeduldig mit seinen Hufen die Erde und machte mit seiner Unruhe dem Reitknechte viel zu schaffen. Leo nahm dem Letzteren die Zügel aus der Hand und hielt das Pferd selbst, während sein Bruder aufstieg; die tiefste innerste Genugthuung leuchtete dabei aus seinen Augen; er kannte seinen Vaillant. Jetzt ließ er ihn los und trat zurück.
Der Goldfuchs spürte in der That kaum die fremde Hand am Zügel, als er seinen ganzen Eigensinn zu zeigen begann. Er bäumte, schlug und machte die heftigsten Versuche, den Reiter abzuschütteln, aber dieser saß wie festgewachsen und setzte dem leidenschaftlichen Ungestüm des Pferdes einen ruhigen, aber so energischen Widerstand entgegen, daß es sich endlich in sein Schicksal ergab und ihn duldete.
Damit war aber auch die Fügsamkeit zu Ende, denn als Waldemar das Thier jetzt antreiben wollte, weigerte es sich entschieden zu gehorchen und war nicht vom Flecke zu bringen. Es erschöpfte sich in allerlei Tücken und Launen. Alle Geschicklichkeit, alle Energie brachte es auch nicht einen Schritt vorwärts. Dabei gerieth es aber in eine immer größere Aufregung und nahm zuletzt eine entschieden drohende Haltung an. Bisher war Waldemar noch ziemlich ruhig geblieben, jetzt aber begann sich seine Stirn dunkel zu röthen; seine Geduld war zu Ende. Er hob die Reitpeitsche, und ein schonungslos geführter Hieb sauste auf das widerspänstige Roß nieder.
Doch diese ungewohnte Strenge brachte das eigenwillige und verwöhnte Thier zum Aeußersten. Es machte einen Satz, daß die umstehenden Herren rechts und links auseinanderstoben, und schoß dann wie ein Pfeil über den Rasenplatz hin, in die große Allee hinein, die nach dem Schlosse führte. Dort artete der Ritt in einen wilden Kampf zwischen Roß und Reiter aus; das erstere geberdete sich wie unsinnig. Es tobte förmlich und setzte augenscheinlich Alles daran, denn Reiter aus dem Sattel zu schleudern. Wenn Waldemar trotzdem seinen Platz behauptete, so konnte es nur mit äußerster Lebensgefahr geschehen.
„Leo, mache der Sache ein Ende!“ sagte Morynski unruhig zu seinem Neffen. „Vaillant wird sich beruhigen, wenn Du dazwischen trittst. Bestimme Deinen Bruder, abzusteigen, oder wir haben ein Unglück.“
Leo stand mit übereinandergeschlagenen Armen da und sah dem Kampfe zu, machte aber keine Miene einzuschreiten. „Ich habe Waldemar die Gefahr nicht verhehlt, die das Pferd einem Fremden bringt,“ erwiderte er kalt. „Wenn er es absichtlich wüthend macht, so mag er auch die Folgen tragen! Er weiß es ja, daß Vaillant keine Strenge verträgt.“
In diesem Augenblicke kam Waldemar zurück; er war des Zügels Herr geblieben und zwang das Pferd sogar eine bestimmte Richtung einzuhalten, denn er jagte in einem weiten
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_612.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)