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Seite:Die Gartenlaube (1876) 618.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


einer Gemse und der Geschmeidigkeit eines Tigers hinwegsetzen gesehen haben, um zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß unsere besten Bergsteiger in Steiermark und Tirol dagegen nur Bleisoldaten sind. Die Anwesenheit eines Fremden schien die Neugierde oder das Mißtrauen der Männer nicht im Geringsten zu erregen; Niemand fragte nach der Richtung und dem Zweck der Reise. Mit einem Gruße war ich gekommen; mit einem Gruße ritt ich nach einstündiger Rast unbelästigt weiter.

Gleich hinter Njegusch hat die gute Straße schon wieder ein Ende, und abermals ging der Ritt bergaufwärts durch wildes Karstgebirge von grauschwarzem Kalksteine, nur dürftig bewachsen mit verkrüppeltem niedrigen Laubholze, das, stets von den zahlreichen Ziegenheerden verbissen, nie einen Höhenwuchs gewinnen kann. Ein Weg war eigentlich nicht vorhanden. Vielleicht hatte man einst die größten Felsblöcke weggewälzt, um einen bequemeren Uebergang zu gewinnen, kleinere waren aber noch viel zu viel übrig geblieben. Nur die Glätte der Felsen, welche durch den Hufbeschlag der Pferde und Maulthiere während Jahrhunderten abgeschliffen waren, ließ erkennen, daß hier ein Handelsweg factisch existirte, auf welchem häufig die größten Lasten expedirt werden, wenn auch nicht die vielen bepackten Saumthiere, die uns begegneten, dasselbe bewiesen hätten. In ganz Montenegro hat bis jetzt noch nicht das Rad eines einzigen Wagens geknarrt.

Nach ungefähr anderthalb Stunden hatten wir endlich den Gebirgsrücken erreicht, dann ging es jäh abwärts zur Thalebene von Cettinje. Selbstverständlich konnte von einem Sitzenbleiben auf dem Pferde hierbei nicht die Rede sein, sondern man mußte mühsam hinabsteigen über treppenförmige Klippen und Felsstücke, bis nach halbstündigem erschöpfendem Marsche in der Mittagssonne die Ebene von Cettinje und mit ihr ein neues Stück Fahrstraße erreicht war.

Der Hufbeschlag der Pferde ist für diese Gebirgstouren äußerst praktisch. Er besteht aus einer dem Hufe angepaßten ovalen Scheibe von drei Millimeter Dicke, welche in der Mitte ein ovales Loch hat und mit einem Eisenrand zum Schutze des Hufs versehen ist.

Der Gebirgskessel, in welchem Cettinje liegt, ist ungefähr zwei Kilometer lang und fünfhundert Meter breit. Das Städtchen liegt aber nicht in der Mitte, sondern ziemlich am nordöstlichen Ende desselben und besteht aus einigen fünfzig einstöckigen ziegelgedeckten Steinhäusern mit vier bis sechs Fenstern, nebst vier größeren Gebäuden. Letztere sind: das Schloß des Fürsten, einem größeren behäbigen Landwohnsitze ähnlich, mit Garten und anschließender Gartenmauer, das Spital, der Gasthof und das Mädchenpensionat, wo die Töchter der Helden aus den schwarzen Bergen unter einer russischen Vorsteherin in diversen Sprachen und Wissenschaften unterrichtet werden, von denen ihre Väter keine Ahnung haben.

Es war an einem Sonntag, als ich gegen halb ein Uhr das Städtchen erreichte und schon von ferne eine große Masse Männer auf dem Wiesenplan versammelt sah, theils stehend, theils sitzend und liegend hinter den in Pyramiden zusammengestellten Gewehren. Es mochten etwa drei- bis vierhundert Montenegriner sein, alle in stattlicher beliebiger Sonntagstracht, denn von einer gleichmäßigen Uniformirung ist natürlich keine Rede. Sie hatten eben eine Waffenübung beendet behufs Einübung mit den jüngst vertheilten Hinterladern. Cettinje hat nur zwei Straßen. Die eine läuft gerade aus und schließt mit dem gegenüberliegenden Gasthofe ab; die andere, kürzere führt von dieser in rechtem Winkel zum Schlosse des Fürsten. Die Straßen sind breit, reinlich und mit Laternen versehen. Ich ritt zum Gasthofe, begehrte ein Zimmer und war überrascht, ein solches zu bekommen, ausgestattet mit allem Comfort großer Städte. Mittlerweile hatte auch meine Montenegrinerin, die wir unterwegs eingeholt und die dann immer wacker mit uns Schritt gehalten, den schweren Koffer in die Stube gebracht und verließ mich dankerfüllt, da ich ihr außer dem vereinbarten Gulden Trägerlohn noch einen zweiten gegeben. Da mich der Kellner benachrichtigt, daß gleich table d’hôte gespeist werden solle, machte ich rasch Toilette und ging in’s Speisezimmer hinunter. Es saßen dort eine Menge Herren um einen enormen Speisetisch, der mit Couverts überladen war, unter anderen ein Minister des Fürsten, in allen Sprachen sehr unterrichtet, aber Nicht-Montenegriner, ein Herzog von Genua, dessen Aufenthaltsmotiv mir unbekannt blieb, ein französischer Capitän, der die Artillerie Montenegros organisiren sollte und irgendwo in einem Hafen angekaufte Kanonen versteckt hielt, russische Agenten, Aerzte und Pharmaceuten, Zeitungsreporter und Andere mehr. Das Gespräch wurde meistens in serbischer und französischer Sprache geführt. Nach Tische schickte ich ein Telegramm in die Heimath, für welches ich nur einen Gulden bezahlte, gab dann meine Empfehlungsbriefe ab, jedoch ohne die Herren zu Hause zu treffen, und ging in das dem Speisezimmer gegenüber befindliche Café des Gasthofes. Dort war Alles so besetzt, daß ich nur hinter dem Schenktisch ein Plätzchen erobern konnte, von wo aus ich bei einer Flasche Grazer Bier im anständigen Preise von fünfzig Kreuzern meine Umgebung musterte. Da trat ein reichgekleideter Montenegriner an mich heran und fragte auf französisch, ob ich nicht der Herr C. sei. Als ich dies bejahte, stellte er sich als M., Adjutant des Fürsten, vor, für den ich einen Empfehlungsbrief abgegeben.

Nachdem wir über meine forstliche Mission, über Krieg und andere Dinge der Tagesordnung geplaudert, lud er mich zu einem Spaziergange durch Cettinje ein, wie ich denke, hauptsächlich in der Absicht, um meine fremde Erscheinung den zahlreich in den Straßen versammelten Montenegrinern als persona grata darzustellen. Unterwegs begegneten wir einem anderen vornehm aussehenden jungen Manne, einen Vetter des Fürsten aus dem Heldengeschlecht der Njegusch-Petrovic, der ebenfalls französisch sprach und uns einlud, die Zelte zu besuchen, in welchen die in der Herzegowina verwundeten Söhne der schwarzen Berge unter dem russischen rothen Kreuze geheilt wurden.

Ich sah in zwei Feldlazarethen und schließlich im großen Spital selbst ungefähr vierzig mehr oder minder schwer verwundete Männer unter der sorgfältigsten Pflege. Aerzte, Apotheker und Wärterinnen, Alle sind Russen, und mit russischem Gelde wird der ganze Apparat unterhalten. Unter den Verwundeten befand sich auch ein junger Bursche von höchstens fünfzehn Jahren.

„Der ist doch noch zu jung für das rauhe Kriegshandwerk,“ meinte ich.

„Lassen Sie das gut sein!“ entgegnete mein Begleiter, „der hat schon drei Türkenköpfe abgeschnitten.“

Wir standen am Fußende des Bettes, und der Bursche mochte ahnen, da er sicher kein Französisch verstand, daß von seinen Heldenthaten die Rede war, denn sein Mund verzog sich zu einem breiten Lachen, wodurch zwei Reihen scharfer weißer Zähne sichtbar wurden, und seine Augen leuchteten grünlich wie die eines Wolfes.

Nachdem ich mich von meinen Begleitern verabschiedet, ging ich in’s Cafe zurück, wo ich die Bekanntschaft des deutschredenden Musikdirectors der Czernogora, eines Böhmen, machte. Drei Jahres hindurch hat dieser Herr halbwüchsige Hirtenbuben, wie er sie aus den Bergen eingefangen, zu Musikanten herangebildet, so daß außer den Nationalmelodien auch größere Stücke aus italienischen Opern ausgeführt werden konnten; da erklärten die jungen Leute ihre Lernzeit für beendet und forderten für ihre ferneren Leistungen Bezahlung. Sintemal aber die Landescasse, bei einer jährlichen Einnahme von etwa 45,000 Gulden, Alles in Allem, nicht in der Lage war, diese außerordentliche Ausgabe zu bestreiten, mußte man leider auf diesen Luxus verzichten. Das Musikcorps wurde bis auf bessere Zeiten aufgelöst und tritt nur bei außergewöhnlichen Fällen in Thätigkeit.

Durch Mittheilung des Musikdirectors erfuhr ich denn auch, daß ich mich inmitten der Gesellschaft der berühmtesten Helden Montenegros befand, deren Namen er auch nannte, – ich habe sie vergessen. Diese Herren spielten musterhaft Billard, auch Schach und Karten, oder saßen ernsthaft, ihre lange türkische Pfeife rauchend, beim schäumenden Bier. Handschar und Pistolen legten aber auch die Billardspieler nicht ab, obwohl sie dadurch beim Stoßen oft genirt wurden.

Als größten Helden zeigte man mir den Wojwoden Marko M., einen schon grauhaarigen, nicht gar so gefährlich aussehenden Mann, der bereits sechszig Türkenköpfe abgeschnitten hat. Wahrscheinlich ist jetzt das Hundert voll, da er, wie ich aus den Zeitungen ersah, eine siegreiche Abtheilung im Süden Montenegros commandirt. Seitdem diese Herren russisches Gold

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_618.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
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