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Seite:Die Gartenlaube (1876) 634.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Die Ereignisse nahmen unaufhaltsam ihren Fortgang. Was Anfang März mit non possumus von den Höfen beantwortet wurde, gehörte wenige Wochen später bereits zu den „Märzerrungenschaften“, so unter anderen Kleinigkeiten auch ein deutsches Parlament. Koch wurde als Abgeordneter für Borna in die Nationalversammlung nach Frankfurt am Main entsandt. Er nahm bereits Mitte Mai seinen Sitz daselbst und gehörte zu den Schweigern. Er hat nur ein einziges Mal über eine volkswirthschaftliche Tagesfrage gesprochen. Desto eifriger und wirkungsvoller war seine Thätigkeit im „Club“ – wir würden heute sagen: in der Fraction – zuerst des „Württemberger“, dann des „Augsburger Hofes“, immer mit Biedermann zusammen. Das große Bild der Erbkaiserpartei aus jenen Tagen zeigt auch seinen scharfen klaren Kopf. Oftmals riefen ihn die dringendsten Sorgen der städtischen Geschäfte, welche die wohlmeinende Nonchalance Klinger’s verwickelt hatte, nach Leipzig. Gleichwohl nahm er den ihm von der Stadt regelmäßig gezahlten Gehalt nicht an. Er wurde angesammelt und bildete später nach Koch’s eigener Anordnung den Grundstock zu den so segensreichen „Privatfonds“ des Rathes, einer Trosthülfe für manche still und verborgen geweinte Thräne, einer Quelle zur Linderung mancher drängenden, aus öffentlichen Mitteln nicht zu beseitigenden Noth.

So wirkt noch heute der Segen seiner Anordnung aus jenen Tagen, da er den Interessen der ganzen Nation diente, fort nach seinem Heimgange, wie die Strahlen der Sonne noch lange wärmend nachwirken, auch wenn das Gestirn unseren Blicken entschwunden.

Nach der verunglückten Kaiserwahl im Frühjahre 1849 kehrte er dauernd nach Leipzig zurück. Die Stadt hatte ihn wahrlich nöthiger als je. In Dresden war der Maiaufstand ausgebrochen. Ungestüm forderten, unter Arnold Ruge’s Führung, die republikanischen Vereine Leipzigs und der Umgegend, daß der Rath die provisorische Regierung ausrufe, Waffen an das „Volk“ vertheile und zum „Zuzug“ nach Dresden einlade. Klinger war bereit, nachzugeben; hin und her schwankte der Rath. Aber Koch widerstand. Er setzte durch, daß Waffen und Zuzug verweigert, die in Leipzig errichteten Barricaden gestürmt wurden und daß die Stadt, bei dem Interregnum in Sachsen, wo es thatsächlich nirgendwo eine findbare Regierung gab, unter den Schutz der provisorischen Centralgewalt in Frankfurt sich stellte. Später wollte man ihm wegen dieses klugen Schrittes einen kleinen Hochverrathsproceß machen und zog ihn wenigstens zu strenger Verantwortung, da der Hochverrath nicht auf einen grünen Zweig zu bringen war. Beust war erfinderisch.

An allen letzten Anstrengungen, die Errungenschaften des großen Jahres zu retten, nahm Koch lebhaftesten Antheil, obwohl ihn die Gemeindevertretung Leipzigs am 13. Juni 1849 mit einundfünfzig von vierundfünfzig Stimmen zum Bürgermeister gewählt und er am 30. Juni dieses Amt angetreten hatte. Er nahm im Juli 1849 an der Versammlung der alten Frankfurter Genossen in Gotha Theil. Er ließ sich von Leipzig auf den Landtag von 1849 bis 1850 wählen, dem immer unverhüllter die deutschfeindliche Reaction unter Beust entgegentrat. Er gehörte hier mit Schwarze, Raschig, Ziesler, Braun, Biedermann dem „deutschen Ausschuß“ an. Er sprach in der deutschen Frage vor der Kammer. Er weigerte sich mannhaft, in die erste Kammer der durch den Beust’schen Staatsstreich „reactivirten“ Stände einzutreten. Unbeschreiblich sind die Anfeindungen einer feilen Presse und Meute, die Maßregelungen einer übermüthigen Reactionsregierung gewesen, die ihm aus diesem Anlaß bereitet wurden. Mit faunischem Behagen drohte ihm Beust mit Disciplinaruntersuchung, Amtsentsetzung. Die eigene Zukunft, die ihm dann beschieden war, stand sicher und sorgenlos vor seinem Blicke. Aber was sollte aus der geliebten Stadt werden, die ihm ihr Bestes anvertraut hatte, wenn ein reactionärer Bürgermeister an seine Stelle trat? Was aus der freien Blüthe der städtischen Schulen, der Selbstregierung der Stadt bis auf die Polizei, was aus der Fülle herrlicher Pläne für die Zukunft der Stadt, die er für eine friedliche, ruhige Zeit zurückgelegt hatte? Und wer in aller Welt begriff und dankte das Opfer seiner Entsetzung, wenn er es brachte? Von der grenzenlosen Gleichgültigkeit, die in jenen Tagen Alle, auch die besten, eifrigsten Patrioten, ergriffen hatte, haben nur diejenigen eine Ahnung, welche quellenmäßig in jenen Zeiten lesen – welche Seiten voll der niederbeugendsten Thatsachen! Man kann nicht lange, nicht ohne tiefste Zornesröthe dabei verweilen.

Auf’s Heftigste in seinem Innersten erregt durch diesen großen Seelenkampf, ist Koch in eine schwere Nervenkrankheit gefallen, von der er nie wieder völlig geheilt wurde. Seine körperliche Schwäche und Gemüthskrankheit benützten wohlmeinende Freunde, um ihn zur Nachgiebigkeit zu bereden im Interesse der guten Stadt. Er folgte ihrem Rath und nahm seinen Sitz ein in der Kammer, die er für verfassungswidrig hielt. Ein Volk von Catonen könnte ihm den Schritt nicht verzeihen, wie er selbst nie es that. Aber dieses Volk war nicht da. Er hat dem Gemeinwesen ein höheres Opfer gebracht, indem er gegen seine persönliche Ueberzeugung handelte, als wenn er Recht behalten hätte. Er hat auch Sachsen und Deutschland mehr genützt auf diese Weise.

Er ist fortan in der Kammer des nach Alleinherrschaft in der Regierung strebenden sächsischen Adels jahrzehntelang fast der einzige Mann gewesen, der stolz und unerschütterlich die Rechtsgleichheit der Staatsbürger, die hohen Rechte des gesammten deutschen Volkes auf eine gemeinsame kräftige Staatsverfassung vertrat. Er verdient unsern Dank dafür auch heute noch, wo wir lange erreicht, was er gewollt, was ihm so oft von den erlauchten Collegen höhnend bestritten wurde. Wer gedächte nicht jener nur unter der Aegide eines Präsidenten von Friesen möglichen Scene, wo der berufene Kammerherr von Zehmen im Jahre 1868 Koch mit den Worten Cicero’s anredete: „Quousque tandem, Catilina, abutere patientia nostra (Wie lange noch willst Du, Catilina, unsere Geduld mißbrauchen)?“ und Koch durch seine mannhafte Erwiderung zahllose Glückwunschadressen aus dem mächtig erregten Bürgerthume erhielt?

Und in derselben langen Periode, da Deutschland im Todesschlummer unter der Reaction seufzte und der kluge zweite Brühl in Dresden durch Entfesselung und Hebung aller materiellen Strebungen und Güter die Geister mit seinem Rechtsbruche und seiner undeutschen Politik zu versöhnen suchte, in dieser Zeit vollzieht Koch den gewaltigen Aufschwung Leipzigs. Das Ideal seines ersten praktischen Wirkens, die Lagerhäuser, werden gebaut. Die Georgenhalle, das Museum, das neue Theater folgen, zuletzt der riesige Prachtbau des neuen Krankenhauses. Schulen schießen wie Pilze aus der Erde. Die alten hölzernen Mauern werden beseitigt, der alte ungesunde Stadtgraben ausgefüllt und in breitem Gürtel um die innere Stadt in den Stolz Leipzigs, die neuen Promenaden, umgewandelt. Vor Allem aber faßt und verwirklicht er den Gedanken, der Stadt von weit her gutes Trinkwasser zuzuführen. In riesigen Verhältnissen wachsen die Aufgaben und Ausgaben, aber auch die Seelenzahl und die Mittel des reichen Gemeinwesens.

Und dann, als endlich wieder ein neues nationales Leben in Deutschland pulsirte und Leipzig so oft der Mittelpunkt deutscher Feste, deutscher Wanderversammlungen war – wer hätte Koch’s markige, von tiefstem nationalem Geiste getragene Empfangsreden vergessen? Auch Fürsten und Königen hat er oft echt deutsche Begrüßungsworte gesprochen. Seine letzte Sorge war, daß der deutsche Kaiser in Koch’s geliebtem Leipzig würdig empfangen wurde. Die Hoffnung, diese Tage selbst zu erleben, sollte ihm nicht in Erfüllung gehen – es sollte sich nicht erfüllen jener tausendstimmige Segenswunsch, den Leipzig am fünfundzwanzigjährigen Amtsjubiläum seinem Bürgermeister darbrachte. Am 14. August 1876 Abends hat sich dieses klare Auge für immer geschlossen.

Mit tiefer Rührung gedenke ich jener Stunde, da Bürgermeister Koch am Beginne dieses Jahres uns zum letzten Male im Colleg der Stadtverordneten die vollendete Arbeit des vergangenen Jahres vorführte. Um ein Menschenalter streifte sein Blick rückwärts, in eine Zeit, an deren Anfang auch der Anfang seines städtischen Wirkens lag. Und wie herrlich, wie völlig frei von jedem Eigenlobe war das Bild urkräftiger, ureigenster Entwickelung, welches die Stadt, der er sein Leben bis zum letzten Augenblicke gewidmet, in diesen dreißig Jahren bot! Nun, da Er von uns genommen ist, klingt der bescheidene Rückblick wie die rühmlichste Grabrede, die ein großer Mensch sich wünschen kann.

Hans Blum.



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_634.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
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