Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
|
Mitten im südatlantischen Ocean, zwischen den Küsten zweier Continente, liegt einsam und allein die Felseninsel St. Helena. Hunderte von Meilen trennen sie von der Schwesterinsel Ascension. Von der gewaltigen Kraft des unterirdischen Feuers aus den Tiefen emporgehoben, scheint sie wie eine „ungeheure düstere Arche“ auf dem Meere zu schwimmen. Vergebens schweift das Auge über die starren Felswände, die zerrissenen, zerspaltenen Klippen; vergebens durchforscht es die dunklen Schluchten. Den felsigen Abhang verschönt weder Gras noch Moos mit grünender Decke; im öden Gestein haftet weder Baum noch Strauch. Nackt, hart und trostlos wie das Schicksal, das den Verbannten gleich Prometheus an das öde Eiland schmiedete, steigen die massigen Basaltmauern aus der brausenden See.
Wie unser Schiff hart an der eisernen Küste hinglitt, sahen wir deutlich, wie hier die Elemente miteinander gerungen. Wo sich die Brandung schäumend an der steilen Felswand bricht, scheint es dem Auge, als wären Galerien aus dem Steine herausgesprengt, als wären Tunnel von Menschenhand gebohrt, als hätte man Brücken von Klippe zu Klippe geworfen. Der harte Basalt hat dem steten unermüdlichen Angriffe des Wassers widerstanden, aber der weichere Tuffstein ist herausgewaschen, und so bietet der Küstensaum ein abenteuerliches Bild grotesker Architektur. Es ist, als ob das Gerippe geblieben, während die zarteren Theile verzehrt sind.
Zwischen den Trümmern treiben die Wellen ihr wunderbares Spiel. Langsam rollt die See zurück mit gurgelndem Tone, in die Trichter und Höhlen verschwindend, welche sie selbst gegraben, um im nächsten Augenblicke mit donnerähnlichem Tosen die Fluth gewaltigen Fontainen gleich durch die engen Spalten in die Höhe zu schleudern. Wem ruft dieser Anblick nicht Schiller’s „Taucher“ in’s Gedächtniß!
Die unwirthsame Küste scheint jeden Versuch zu landen drohend abzuweisen. Vergebens suchen wir nach einer Oeffnung in diesen Felsenmauern, bis endlich in engem Thale, von steilen Felswänden eingezwängt, Jamestown, der einzige Ort der Insel, vor uns liegt. Auf der offenen Rhede ist ein ziemlich reges Leben. Hier ein großer Postdampfer, soeben vom Cap gekommen und schon wieder zur Weiterfahrt nach Southampton rüstend; dort ein paar Walfischfänger, mit ihrer schmutzigen Arbeit beschäftigt; in der Ferne weiße Segel, dunkle Rauchwolken. Schiffe kommen und gehen hier täglich. Die Insel ist reich an Frucht und Gemüse und hat vorzügliches Wasser. Wir lassen unsern Anker dicht neben einem großen Schiffe fallen. Eine ganze Flotille von Booten segelt und rudert um die Schiffe her. Obst, Elfenbein, Vögel, Korallen, Ketten und Täschchen von Samenkernen, Alles, was das Eiland hervorbringt und den Käufer anlocken kann, wird von der munteren schwarzen Schaar feilgeboten. Wir nehmen uns ein Boot, und glücklich den höchst desperaten Attaken verschiedener Händler und Händlerinnen entgehend, landen wir unter einigen Schwierigkeiten auf dem Grunde, der aus dem sicheren Felsen gehauen dem Wellenschlage mehr als angenehm ausgesetzt ist.
Jamestown liegt in einer engen Schlucht, die nur wenige hundert Schritte breit ist; ein Bach stürzt sich mit reißender Schnelle durch die kleine Stadt dem Meere zu. Die Gebäude sind wenig ansprechend. Wie die Bevölkerung sich in Europäer und Afrikaner theilt, so scheidet sich auch die Stadt in zwei Theile, der eine von Schwarzen, der andere von Weißen bewohnt. Die Insel verdankt ihre Ansiedelung der Ostindischen Gesellschaft. Portugiesen und Holländer hatten sie nach einander in Besitz genommen, aber wieder aufgegeben. Ihren Namen verdankt sie dem Umstande, daß sie am Jahrestage der Mutter Constantin’s des Großen von dem Portugiesen Juan Nova de Castella entdeckt wurde. Lange Zeit war sie eine Station für die nach Ostindien segelnden Schiffe. Noch wichtiger aber wurde sie, als England dem Sclavenhandel den Krieg erklärte. Von hier aus bewachten britische Schiffe die afrikanische Küste und brachten manch gute Prise in den Hafen von St. Helena. In dem kleinen öffentlichen Garten sind auf
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_635.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)