Verschiedene: Die Gartenlaube (1876) | |
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Seine Gedanken weilten in der Vergangenheit. Für ihn gab es keine Zukunft. Der bittere Gram, der wie ein Geier an seinem Herzen nagte, machte seinem Leben ein Ende. Der Geist, der leicht die gewaltigsten Lasten getragen, brach zusammen, von täglichen kleinen Aergernissen untergraben.
In seinem Testamente bestimmte er ausdrücklich den Platz neben der geliebten Quelle zu seiner letzten Ruhestätte.
Wir steigen hinab in das kleine Thal, wo von Cypressen umgeben, von Trauerweiden überschattet, das nun leere Grab des Kaisers liegt. Noch immer sprudelt unter Farnen und rothblühendem Geranium die Quelle, bei der er so gern weilte. Die Weiden, vom Alter gebeugt und morsch, werden kaum noch von eisernen Bändern gehalten. Auch sie werden bald fallen. Auf einer Kupferplatte, angeheftet an den größten Stamm, lesen wir die Worte:
Auf der Rückfahrt von China hatten die Mannschaften das Grab ihres einstigen Kaisers besucht. Die Stätte zeigt die Wittwe eines Unterofficiers der alten Kaisergarde unentgeltlich, aber sie entschädigt sich für ihre Mühe durch den Verkauf von Photographien. Früher trieb man auch einen lucrativen Handel mit allerlei Napoleonischen Reliquien. Das hat nun aufgehört. Nachdem man Dutzende von Handschuhen, Stiefeln und Hüten von dem bekannten Schnitte verkauft hatte und Haare genug vom Haupte des großen Todten, um eine Kindermatratze zu stopfen, verbot die hohe Obrigkeit den Schwindel. Unsere Führerin beklagte sich bitterlich über diese „Albernheit“ der englischen Behörden. Sie war Kammerjungfer gewesen und viel gereist. Sie hatte vom veritablen Kreuze genug gesehen, um eine Hütte davon zu erbauen, und mehr heilige verrostete Nägel, als der Eisenhändler unten in der Stadt in einer Woche verkauft.
St. Helena wird den Kaiser nie vergessen. Mit Napoleon’s Tode versiechte der goldene Strom, der, aus Englands Koffern fließend, die Insel befruchtet und verschönert hatte. Mit der Erinnerung an Napoleon’s Aufenthalt verknüpfen sich die Reminiscenzen an den Wohlstand der Bewohner; sein Tod bezeichnet den Anfang des Verfalles und der Verarmung. – Der Rückweg führte uns über die steilen Felsabhänge, die das kleine Thal einschließen, in dem die Stadt gebaut ist. Zwischen den losen Felsblöcken wachsen wilde Geranien, kriecht das fleischige Mesembryanthemum mit seinen rothen und gelben Blumen. Hier und da klammert sich ein Strauch an den harten Fels. Drunten liegen, fast senkrecht unter uns, grüne Gärten, aus denen über frisches Laub die dunkelgrünen Kuppeln der Dattelpalmen, Bananen und Cocosnußbäume ragen. Wie wir den Berg hinuntersteigen und durch die Stadt reiten, an dem Schwanze eines jeden Pferdes ein Paar schwarzer Burschen, eine ganze Schaar schwatzend, lachend, gesticulirend neben und hinter uns trabend, bilden wir gewiß eine recht eigene Procession. Vom Schiffe hatte man uns gesehen, und das Boot stieß eben ab. Inzwischen hatten wir Gelegenheit, die Schwimmfertigkeit unserer jugendlichen Begleiter zu bewundern. Im Nu ist der leichte Anzug abgestreift, und wie ein Pack gut dressirter Wasserhunde umsteht uns die schwarze kleine Schaar, bereit, sich in die Tiefe zu stürzen, sobald das Geldstück, das wir in die See werfen, unsere Hand verlassen. Oft giebt’s unten im Wasser einen kurzen, recht lebhaften Kampf um die kleine Münze. Doch unser Boot ist da; bald ist das gute Schiff erreicht. Eine kurze Zeit noch, und die grünen Felder, die gewaltigen Steinmassen schwinden vor unseren Blicken, bis das Eiland in der Abendsonne wie ein Wölkchen am Horizonte erscheint.E. J.
Es war ein thaufrischer herrlicher Morgen. Die Nachtigallen sangen von den Granatbäumen der Berge, als ich, ohne jedoch wie Romeo eine glückliche Nacht durchlebt zu haben, in Rjeka mit meinen fünf Bootsleuten die Barke bestieg, die mich nach Scutari bringen sollte. Kaum eine Viertelstunde unterhalb dieses Ortes verliert der Fluß gleichen Namens seinen Charakter als Fluß und wird bei seitwärts weit zurücktretenden Ufern ein stehendes Wasser, dicht bewachsen mit weißen und gelben Wasserrosen, durch welche ein offener Wasserstreifen führt. Zahlreiche Möven, sowie kleine weiße und graue Reiher durchkreuzen die Luft, und schwarze Wasserhühner tummeln sich auf den lederartigen Blättern der Nymphäen; bei unserem Näherkommen tauchen sie plötzlich unter.
So ging es zwei Stunden, bis wir zum Scutarisee kamen. Gleichzeitig mit der Rjeka ergießt sich die von Nordosten kommende Muraca, ebenfalls als stagnirendes Wasser, in den See. Wir sind bereits in der Türkei. Auf einer Felseninsel, gleich am nördlichen Theile des Sees, wo dieser noch ziemlich schmal ist, liegt ein türkisches Fort; es könnte mit seinen Kanonen leichthin die Passage von jeglichem Schiffe auf beiden Seiten verhindern. Als wir in die Nähe desselben gekommen, luden meine Montenegriner die mitgenommenen Hinterlader und stellten sie mit den Mündungen herausfordernd an den Rand des Bootes, der den Türken zugekehrt war. Die Besatzung des Forts erschien zwar auf den Wällen, aber da der Krieg factisch noch nicht erklärt war, kam es zu keinen Feindseligkeiten. Ich glaube gar nicht, daß das Fort Kanonen besaß, denn die hierzu bestimmten Schießscharten erschienen leer. Immer weiter schwamm die Barke, von kräftigen Fäusten getrieben, auf dem schönen klaren See; immer heißer brannte die Sonne und zeigte die kahlen steilen Berge, die im Norden und Westen den See einrahmen, in ihren feinsten Contouren. Kein Schiff, kein Nachen begegnete uns. Höchst selten zeigte sich ein armes Fischerdörfchen am Ufer, nur zahlreiche weiße Reiher flogen an uns vorüber, und einzelne scheue Pelikane schwammen auf der ebenen Fluth, gleich kleinen Schiffen ohne Mast, doch mit weit vorragendem Bugspriet. Ganz fern im Norden Montenegros zog ein Gewitter zusammen. Es war elf Uhr Morgens, als meine Begleiter nach sechsstündiger Fahrt erklärten (einer derselben sprach etwas italienisch), wir hätten den halben Weg zurückgelegt und sie wollten jetzt rasten und essen. Zu dem Zweck wurde auf eine Felsenklippe zugerudert, die ziemlich weit in den See vorragte und an deren Hang zwei Bäume ihren Schatten warfen, die einzigen in der ganzen Gegend. Ich hatte ein halbes Lamm braten lassen und mitgenommen, sowie für Wein gesorgt.
Nach halbstündiger Rast ging es abermals vorwärts, gegen Scutari zu. Das Gewitter folgte uns langsam nach, begleitet von der eigenthümlichen stechenden Sonnenhitze. Um drei Uhr war die Sonne so brennend heiß, daß meine Leute stets trinken und Kopf und Hände mit dem kühlen Seewasser benetzen mußten. Ich hatte unvorsichtiger Weise den Rock ausgezogen und saß in weißen Hemdärmeln, den Kopf und einen Theil der Schultern wohl durch einen breitrandigen Panamahut geschützt, aber meine beiden Arme derart dem Sonnenstich ausgesetzt, daß sie bei meiner Ankunft in Scutari roth angeschwollen waren und heftig schmerzten. Je mehr wir uns Scutari näherten, desto häufiger wurden die Dörfer am Seeufer und die Nachen, welche, von der Stadt kommend, uns begegneten.
An den Nachen der Türken fuhren wir mit gegenseitigen grimmigem Anstieren vorüber, waren aber die Boote mit christlichen Albanesen besetzt, welche sich durch die Tracht von den Mohamedanern unterscheiden, so entstand ein lebhafter eiliger Austausch von Fragen und Antworten. Zahlreiche Schüsse krachten aus den verschiedenen Barken, denn in Scutari hatte man auch unter die mohamedanischen Albanesen Hinterlader vertheilt; auf Reiher und Pelikane wurde bei den unglaublichsten Distanzen geschossen. Ich erwartete jeden Augenblick eine Kugel in unser Boot fliegen zu sehen, und die Montenegriner schienen diese Besorgniß zu theilen. Sie erklärten mir, daß sie sich, laut eingezogener Erkundigung, nicht mehr in den Hafen von Scutari hineinwagen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_637.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)