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Seite:Die Gartenlaube (1876) 640.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


dürften und mich deshalb in einem christlichen Dörfchen an’s Land setzen würden, wo sie auch zu übernachten gedächten. So geschah es auch, trotz meines Protestirens. Nach Allem, was ich später selbst erfahren, kann ich den Leuten heute nicht Unrecht geben.

Zum Glücke war im Oertchen bald ein kleiner Kahn gefunden, und zwei kräftige Albanesen ruderten mich und mein Gepäck in einer halben Stunde bis zum türkischen Mauthamte, woselbst ich nach zwölfstündiger Fahrt an’s Land stieg. Der Seeanblick von Scutari war wunderschön.

Die Sonne stand schon tief im Westen und warf ihre schrägen, glühend rothen Strahlen auf den Wasserspiegel. Dieser, von einem leichten Gewitterwind erregt, blitzte und leuchtete aus tausend gekräuselten Wellen. Im Norden standen schwarze Gewitterwolken, zeitweilig durchzuckt von fernen Blitzen. Der Donner rollte dumpf in den Gebirgen. Das weit ausgedehnte Scutari, sanft vom Ufer aufstrebend, mit seinen schlanken Minarets und den vielen dichtbelaubten Bäumen in den Gärten und Friedhöfen der Stadt, stand in vollster Abendbeleuchtung, und ein Hügel am Ufer des Sees war mit weiß-schimmernden Soldatenzelten übersäet, beherrscht von einem größeren Zelte, ganz aus grünem Zeuge. Eine Schaar neugieriger Mauthbeamten umringte mich sofort. Ein alter Türke mit fliegendem schneeweißem Schnurr- und Knebelbarte, den Yatagan und zwei Pistolen im Gürtel, bedeutete mich, den Koffer zu öffnen. Da ich kein Wort der vielen an mich gerichteten Fragen verstand, so nahm ich all mein Türkisch zusammen und sprach: „Drago-man.“ Das half. Es wurde ein junger Mann herbeigerufen, der geläufig französisch sprach. Mit dessen Vermittelung ging denn auch die Visitation glücklich zu Ende, zumal ich, um keine Plackereien zu haben, niemals zollpflichtige Sachen ankaufe. Ferner hatte dieser Herr die Gefälligkeit, einen Gepäckträger für mich anzuwerben und mir das Gasthaus des Anastasio Papanico zu empfehlen, als das einzige einigermaßen anständige in Scutari, für mich besonders geeignet, da der Sohn des Hauses französisch spreche. Von der Mauth bis zum Gasthause mußte ich wohl eine halbe Stunde marschiren, von allen Begegnenden mit meist finsteren, mißtrauischen Mienen angegafft. Der bevorstehende Krieg mochte wohl schuld hieran sein; außerdem sind abendländische Fremde selten in Scutari. Das Gasthaus verfügte nur über zwei bessere Fremdenzimmer, und diese waren von einem türkischen Divisionsarzte, Obersten (Dey) Dr. Matkovic, einem so enragirten Türken, wie es nur ein Renegat sein kann, und einem Feldtelegraphendirector besetzt. Ich, an montenegrinische Quartiere gewöhnt, war auch mit einer schlechteren Kammer zufrieden und fand über meine Erwartung sogar ein leidliches Bett. Kaum hatte ich Wäsche gewechselt und meinen ersten schrecklichen Durst gestillt, als auch schon ein Polizeicommissar mit seinen ganz roth gekleideten Häschern erschien, um das Woher, Wohin und Warum des Fremdlings zu erkunden, der direct aus dem Lande des türkischen Erbfeindes dahergeschwommen. Ich schrieb ausführlich mein ganzes Nationale nebst Zweck der Reise französisch nieder, und der Sohn des Wirthes übersetzte dies in’s Türkische. Scheinbar befriedigt, entfernte sich der Commissar mit seinen Trabanten, wahren Galgengesichtern, aus denen man das Mißbehagen ablas, mich nicht mitschleppen zu können.

Seit Cettinje fand ich zum ersten Male ein ordentliches Nachtmahl, welches ich gemeinschaftlich mit dem Divisionsarzte und Telegraphendirector in der zum Speisesaale umgewandelten Stube des Hausknechts verzehrte. Beide Herren sprachen französisch, und Beide hielten mich, wie ich aus ihren Fragen und Reden entnahm, für einen Agitator oder gar für einen Spion.

Am folgenden Morgen durchlief ich mit dem Sohne des Wirthes die Stadt, besah den mehrere Straßen entnehmenden Bazar mit den offenen Verkaufslocalen, Garküchen und Werkstätten und ließ mich schließlich in ein Geschäftslocal führen, wo ich eine Barke miethen wollte, um den Wasserlauf und die Tiefe des Flusses Bojanna zu untersuchen, der, den Scutarisee berührend, diesen mit dem adriatischen Meere in Verbindung setzt.

Die beiden Repräsentanten der Firma hatten vielleicht ein Commissions- und Speditionsgeschäft, jedenfalls großen Zuspruch von Clienten und Geschäftsfreunden. Würdevoll mit gekreuzte Beinen auf den Teppichen einer Art Tribüne sitzend, zu welcher drei Stufen hinaufführten, empfingen sie die einzelnen Parteien mit dem orientalischen Gruße, die Hand auf Stirn und Herz legend, und diese setzten sich, die Pantoffeln auf den Stufen lassend, gleichfalls auf die Tribüne, um mit kurzen Worten das Geschäft abzuschließen. Sofort, wenn ein Gast die Pantoffeln ausgezogen, eilt ein Diener herbei und dreht dieselben in die umgekehrte Richtung, damit der Besucher beim Fortgehen wieder bequem hineinschlüpfen kann. Jedenfalls eine große Aufmerksamkeit. Außerdem waren zwei junge Leute beständig beschäftigt, Kaffee zu serviren und glühende Kohlen für die Cigarretten und Tschibuks darzureichen.

Scutari ist eine Stadt von 32,000 Einwohnern mit durchaus asiatischem Charakter. Die meist von Gärten umgebenen Wohnhäuser mit den eng vergitterten Fenstern der Frauengemächer, die fünf Moscheen, von ebenso vielen großen baumreichen Friedhöfen umschlossen, die dicht verschleierten und verhüllten Türkinnen, die christlichen Albanesinnen, unverschleiert, mit seidenen Hosen und rothen goldgestickten Mänteln, die zahlreichen Packpferde und Esel, zuweilen ein von Ochsen gezogener Karren, ganz von Holz ohne den geringsten Eisenbestandtheil, versehen mit zwei enormen Rädern von sechs Fuß Durchmesser, das rege Leben der hier concentrirten türkischen Truppen in ihren verschiedenen Uniformen, dazwischen von den Minarets das singende Rufen der Muezzins zum Gebet, dazu die erschlaffende Hitze – dies Alles versetzte mich in eine eigenthümliche träumerische Stimmung.

Kaum auf mein Zimmer zurückgekehrt, sah ich den Gouverneur von Albanien vorbeifahren, um dem österreichischen Consul einen Besuch abzustatten: zwei Vorreiter, den gespannten Carabiner aufrecht auf die Lende gestützt, dann der Wagen mit dem Pascha, dahinter zwei Ordonnanzofficiere und schließlich wieder zwei Reiter mit schußfertigem Carabiner. Ich ahnte nicht, daß dieser Besuch durch meine Person veranlaßt worden sei.

Kaum hatte ich zu Mittag gespeist, wobei ich mich nach acht Tagen zum ersten Male an Rindfleisch delectirte, so erschien ein Haiduck des österreichischen Consuls und ersuchte mich, ihn zu seinem Herrn zu begleiten. Ich folgte in’s Consulat und wurde von einem sehr artigen Herrn empfangen, der mir mittheilte, daß der Pascha gegen meine Person großes Mißtrauen hege und daß es in meinem eigenen Interesse liege, mich möglichst gründlich zu legitimiren. Ich gab dem Consul meinen Paß, sowie das Schreiben, in dem ich zur Besichtigung der Wälder in Montenegro aufgefordert worden war. Aus diesen Papieren machte er sich Notizen und versprach, dem Pascha jetzt derart beruhigen zu wollen, daß mich die Polizei nicht weiter belästigen würde. Nach Einnahme der obligaten Tasse Kaffee, bereits der sechsten an diesem Tage, empfahl ich mich. Am nächsten Morgen fuhr ich mit vier albanesischen christlichen Bootsleuten die Bojanna hinab, untersuchte hier und da die Tiefe des Wassers und drang so weit vor, wie es der Gegenfluß des Meeres der Ruderkraft gestattete. Die Gegend in der Richtung zum Meere ist flach und fleißiger angebaut, als ich dies bisher gesehen, obgleich die Cultur auch hier noch viel zu wünschen übrig läßt.

Bei den zahlreichen Niederschlägen und der großen Wärme ist die Vegetation üppig und reich. Ein herrliches Stimmungsbild bot am Ufer die Ruine einer christlichen Kirche, halb versteckt unter dem Schatten riesiger Maulbeer- und Wallnußbäume, von blühenden Schlingpflanzen überwuchert, dabei belebt von vielen hundert Dohlen, die durch das Boot aufgeschreckt, schreiend umherflogen.

Da die Bojanna bei ihrem Austritt in’s Meer keinen Hafen hat, so ankern die Handelsschiffe, die mit Scutari verkehren, zwei Stunden von dieser Stadt entfernt, beim Dörfchen Abot. Näher können sie nicht heran kommen, weil die Bojanna bei Scutari zu seicht wird. Gegen Abend war ich zurück in Scutari, aber auch der Polizeicommissar erschien bald darauf, wenn auch dieses Mal ohne Begleitung seiner spitzbübisch aussehenden Trabanten. Er erkundigte sich in Auftrage des Gouverneurs, was ich auf der Bojanna zu thun gehabt hätte, und meine vielleicht nicht gut übersetzte Erklärung schien ihn so wenig zu befriedigen, daß schließlich der Consul wieder beruhigend für mich eintreten mußte. Aber noch an demselben Abend schickte dieser Herr seinen Secretär mit der Mittheilung zu mir, der Statthalter habe erklärt, da ich jetzt Alles gesehen hätte, was mich interessire, so wäre es ihm höchst angenehm, wenn ich die Stadt verließe.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_640.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
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