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Seite:Die Gartenlaube (1876) 675.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


doch hoffentlich keiner Rechtfertigung. Du bist mein Sohn, so gut wie Du der Deines Vaters bist, und das Blut der Morynski fließt auch in Deinen Adern.“

Waldemar fuhr auf, als wolle er mit vollster Heftigkeit gegen diese Behauptung protestiren, aber noch siegte in ihm die Selbstbeherrschung.

„Es ist wohl das erste Mal in Deinem Leben, daß Du mir überhaupt einen Antheil an diesem Blute zugestehst,“ antwortete er schneidend. „Bisher hast Du in mir immer nur den Nordeck gesehen und – verachtet. In Worten freilich zeigtest Du mir das nie, aber denkst Du, ich verstehe es nicht, Blicke zu deuten? Ich habe oft genug gesehen, mit welchem Ausdruck die Deinigen sich von Leo oder Deinem Bruder auf mich wandten. Du hast die Erinnerung an Deine erste Ehe wie an eine Schmach und Erniedrigung von Dir geworfen, hast an der Seite des Fürsten Baratowski, in der Liebe Deines Jüngstgeborenen nicht nach mir gefragt, und als die Verhältnisse Dich zwangen, Dich mir wieder zu nähern, da war ich wohl das Letzte, was Du suchtest. Ich mache Dir keinen Vorwurf daraus, mein Vater mag ja Vieles an Dir gesündigt haben, so viel, daß Du seinen Sohn unmöglich lieben konntest, aber eben deshalb wollen wir uns auch nicht auf Gefühle und Beziehungen berufen, die zwischen uns nun einmal nicht existiren. Ich werde Dir in der nächsten Zeit wohl beweisen müssen, daß ich auch nicht einen Tropfen von dem Blute der Morynski in mir habe. Auf Deinen Leo magst Du es vererbt haben – ich bin aus anderem Stoffe gemacht.“

„Ich sehe es,“ sagte die Fürstin tonlos, „aus anderem, als ich dachte. Ich habe Dich nie gekannt.“

Er schien den Einwurf nicht zu beachten. „Du begreifst es also wohl, daß ich die Verwaltung der Güter jetzt in meine eigene Hand nehme,“ begann er wieder. „Und nun noch eine Frage – was waren das für Conferenzen, die gestern nach dem Souper bei Dir stattfanden und sich bis in den Morgen hinein ausdehnten?“

„Waldemar, das geht mich allein an,“ erklärte die Mutter mit eisiger Abwehr. „In meinen Zimmern werde ich doch wenigstens noch Herrin sein.“

„Unbedingt, sobald es sich um Deine Angelegenheiten handelt; für Parteizwecke gebe ich Wilicza nicht länger her. Ihr haltet hier Eure Zusammenkünfte – von hier aus gehen die Befehle über die Grenze und kommen die Botschaften von dort; die Keller des Schlosses liegen voll Waffen. Ihr habt ein ganzes Arsenal da unten zusammengehäuft.“

Die Fürstin war bei den letzten Worten todtenbleich geworden, aber sie hielt auch diesem Schlage Stand. Nicht eine Muskel ihres Gesichtes zuckte, als sie erwiderte: „Und weshalb sagst Du mir das Alles? Weshalb gehst Du nicht nach L., wo man Deine Entdeckungen sehr bereitwillig aufnehmen wird? Du hast ja ein so ausgezeichnetes Talent zum Spion bewiesen, daß es Dir nicht viel Ueberwindung kosten kann, nun auch noch zum Denuncianten zu werden.“

„Mutter!“ Es war ein Aufschrei der leidenschaftlichsten Wuth, der von den Lippen des jungen Mannes fuhr, und seine geballte Hand fiel mit zerschmetterndem Schlage auf die Lehne des Sessels nieder. Die alte Wildheit brach wieder hervor und drohte all die mühsam errungene Selbstbeherrschung der letzten Jahre mit sich fortzureißen. Er bebte am ganzen Körper, und sein Aussehen war derart, daß die Mutter unwillkürlich die Hand an die Klingel legte, als wollte sie Hülfe herbeirufen, aber gerade diese Bewegung brachte Waldemar wieder zu sich. Er wendete sich stürmisch ab und trat an das Fenster.

Es vergingen einige stumme peinliche Minuten. Die Fürstin empfand bereits, daß sie sich zu weit hatte fortreißen lassen, sie, die Kalte, Besonnene, ihrem Sohne gegenüber. Sie sah, wie furchtbar er mit seinem Jähzorne rang und was dieses Ringen ihm kostete, aber sie sah auch, daß der Mann, der mit so eiserner Energie eine unglückliche Naturanlage, das verhängnißvolle Erbtheil seines Vaters, niederzuzwingen wußte, ein ebenbürtiger Gegner war.

Als Waldemar zu ihr zurückkehrte, war der Anfall vorüber. Er hatte die Arme übereinandergeschlagen, als müsse er sich gewaltsam zur Ruhe zwingen; seine Lippen zuckten noch, aber seine Stimme klang schon wieder beherrscht.

„Als Du damals in C. die Zukunft meinem Bruders meiner ‚Großmuth‘ übergabst, da dachte ich nicht, daß sie mir das eintragen würde. Spion! Weil ich mich unterfing, die Decke von den Geheimnissen meines Schlosses zu heben! Ich könnte Dir ein anderes Wort entgegensetzen, das noch schlimmer klingt. Wer genießt das Gastrecht in Wilicza, Du oder ich, und wer hat es gebrochen?“

Die Fürstin sah finster vor sich nieder. „Wir wollen nicht darüber streiten. Ich habe gethan, was mir Recht und Pflicht hieß, aber es wäre nutzlos, Dich davon überzeugen zu wollen. Was gedenkst Du zu thun?“

Waldemar schwieg einen Moment lang, dann sagte er mit gesenkter Stimme, aber jedes einzelne Wort betonend: „Ich reise morgen ab. Ich gehe in Geschäften nach P. und kehre erst in acht Tagen zurück. Bis dahin wird Wilicza frei sein von Allem, was es jetzt Ungesetzliches birgt; bis dahin werden all die Verbindungen abgebrochen sein, soweit sie das Schloß berühren. Verlege sie nach Rakowicz oder wohin Du willst, aber mein Gebiet bleibt frei davon. Unmittelbar nach meiner Rückkehr findet hier eine zweite größere Jagd statt, der auch der Präsident und die Officiere der Garnison von L. beiwohnen werden. Du hast wohl die Güte, als Repräsentantin des Hauses Deinen Namen mit unter die Einladungen zu setzen?“

„Nein!“ erklärte die Fürstin energisch.

„So unterzeichne ich die Briefe allein. Geladen werden die Gäste jedenfalls; es ist nothwendig, daß ich endlich einmal Stellung nehme in der Frage, die jetzt die ganze Provinz beschäftigt. Man muß in L. wissen, auf welcher Seite man mich zu suchen hat. Es steht Dir allerdings frei, an dem betreffenden Tage krank zu sein oder zu Deinem Bruder zu fahren, ich gebe Dir aber zu bedenken, ob es gut ist, wenn das Zerwürfniß zwischen uns öffentlich und damit unwideruflich wird. Noch bleibt uns Beiden die Möglichkeit, diese Stunde und dieses Gespräch zu vergessen. Ich werde Dich nicht wieder daran erinnern, sobald ich mich überzeuge, daß meine Forderungen erfüllt sind; es steht also bei Dir, was Du thun willst. Ich habe Leo’s Entfernung abgewartet, weil sein heißes Temperament eine solche Scene nicht ertragen hätte, und weil ich ihm und dem Grafen Morynski die Demüthigung ersparen wollte, das, was doch nun einmal durchaus gesagt werden muß, aus meinem Munde zu vernehmen; von Dir werden sie es eher hören können. Ich bin es nicht, der den Bruch will.“

„Und wenn ich nun den Befehlen, die Du mir so tyrannisch zuschleuderst, nicht nachkäme?“ fragte die Fürstin langsam. „Wenn ich Deinem anerkannten Erbrechte das meinige entgegensetzte, ich, die Wittwe Deines Vaters, die nur ein ungerechtes, unerhörtes Testament von dem Orte vertrieb, der von Rechtswegen ihr Wittwensitz hätte sein sollen? Vor den Gesetzen werde ich allerdings nichts damit ausrichten, aber mir giebt es die Ueberzeugung, daß ich Dir auf diesem Boden nicht zu weichen habe, und ich weiche Dir nicht. Die Fürstin Baratowska müßte nach dem, was Du ihr soeben anzuhören gegeben hast, mit ihrem Sohne gehen, um nicht zurückzukehren – die einstige Herrin von Wilicza behauptet ihr Recht. Sei auf Deiner Hut, Waldemar! Ich könnte Dich eines Tages vor die Nothwendigkeit stellen, entweder Dein Herrscherwort von vorhin zu widerrufen oder Deine Mutter und Deinen Bruder dem Schlimmsten preiszugeben.“

„Versuche es,“ sagte Waldemar kalt, „aber mache mich nicht verantwortlich für das, was dann geschieht!“

Sie standen einander gegenüber, Auge in Auge, und es war seltsam, daß gerade jetzt eine Aehnlichkeit zwischen Beiden hervortrat, die bisher noch Allen entgangen war, eine Einzige ausgenommen. „Die Stirn mit der seltsam gezeichneten blauen Ader hat er von Dir,“ hatte Wanda einst zu ihrer Tante gesagt, und in der That, es war dieselbe hohe machtvolle Wölbung, derselbe eigenthümliche Zug an den Schläfen. Auch bei der Fürstin prägte sich jetzt in der äußersten Erregung die blaue Ader deutlich aus, während sie bei Waldemar so gefahrdrohend anschwoll, als wolle das emporstürmende Blut sich dort einen Ausweg suchen. Und auf Beider Antlitz stand der gleiche Ausdruck, eine unbeugsame Entschlossenheit, ein eiserner Wille, der bereit ist, Alles an seine Ausführung zu setzen. Jetzt, wo sie einander den Kampf auf Leben und Tod ankündigten, zeigte es sich zum ersten Male, daß sie wirklich Mutter und Sohn waren; vielleicht fühlten sie es auch zum ersten Male.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_675.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
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