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Seite:Die Gartenlaube (1876) 869.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


tanzen lassen, warum trug sie in den tiefbraunen Augen eine Nacht, in der zu versinken Seligkeit war? Warum flogen ihre langen dunklen Zöpfe bei jeder ungestümen Bewegung des lebhaften Mädchens so wild durch die Luft, daß es ihm jedes Mal war, als wären sie zwei weiche Arme, ihn zu umfangen und zu halten? Acht lange Jahre hatten sie sich nicht gesehen. Sie war die liebste Gespielin seiner Kindheit gewesen. Nun ging er plaudernd mit ihr durch die freundlichen Gassen des Dorfes; nun stand er sinnend mit ihr an dem rastlos sich wälzenden Mühlrade, und wenn es tief hinab tauchte in die strömenden, schäumenden Wasser und sich dann


Das Grabdenkmal Kaulbach’s auf dem alten Friedhof in München.
Entworfen und ausgeführt von Lorenz Gedon.


unter feuchtem Staubregen wieder gewaltig hob und die spritzenden, sprühenden Tropfen sie Beide benetzten, dann lachten sie hell auf, wie zwei fröhliche Kinder. Die rasch vorüberrauschende Fluth, war sie nicht wie das Leben? Und wenn er dann Hand in Hand mit der Jugendgefährtin am Ufer weiter hinabwanderte, wo die Wasser ruhiger flossen, dann zeigten sie ihm ein freundliches, tausend Gedanken erweckendes Spiegelbild: er sah sich selbst neben der reizenden Gestalt des holden Mädchens. Und dieses Bild sollte zerfließen wie die strömenden Wasser selbst? Da überkam es ihn, als stünde ein köstliches, bisher nur geträumtes Glück leibhaftig neben ihm, und die schlanke Mädchenhand, die er in der seinen hielt, er drückte sie fester und fester. – Im Mühlgarten aber an einem mondhellen Abend, da der stürzende Bach von fern herüber rauschte und die Nachtigallen in lauschigen Verstecken schlugen, sagte er ihr, wie er sie so gern habe – und der erste Kuß besiegelte den Bund der Beiden.

Das zweite Blatt: Und wieder war er im Dorfe. Er hatte seine Examina glücklich bestanden, und die nächste Vacanz konnte ihm eine Pfarre bringen. „Vater Wassermüller, gebt mir Lieschen, Eure Tochter!“ Der aber wies den armen Candidaten höhnend ab. „Des Wassermüllers Tochter ist des reichen Gutsherrn Braut,“ rief er, das Zimmer verlassend, ihm zu und warf die Thür fluchend in’s Schloß. Das Mädchen weinte sich die Augen roth, der junge Grüneisen aber konnte vom Dorfe nicht lassen. Und da der Schulmeister gerade gestorben war, wurde er sein Nachfolger. Das Schulhaus lag dicht neben der Mühle – ach! und die Hoffnung, die thörichte Hoffnung wollte nicht sterben; sie würzte dem jungen blassen Schulmeister das karge, dürftige Brod.

Das dritte Blatt: Es war am Tage des Polterabends. Der Kranz sollte der Braut überreicht werden, und die Gäste waren schon alle versammelt, unter ihnen der strahlende Bräutigam, der jugendliche, reiche Gutsherr. Aber Eine fehlte – die Braut selbst. Man suchte sie überall und fand sie nirgends. Sie hatte sich still davon gemacht. Wohin? Ja, wer das wüßte! Stunden des Wartens vergingen. Das Rauschen des Mühlbachs klang so eintönig in das festlich geschmückte Zimmer, und klang es heute nicht gar so melancholisch? Ja, das Rauschen des Mühlbachs!! Wo das Wasser am tiefsten ist, wo die Wellen am leisesten ziehen, wie schimmert es da durch die klare Fluth so seltsam licht und so schwanenweiß in den lauen Frühlingsabend herauf! Ein langes Gewand, zart und schneeig, wie ein Hochzeitskleid, bewegt sich zitternd im Wellenspiele, unten in der krystallenen Tiefe aber scheinen die Wasser ihren Lauf zu hemmen; so sanft und lind schmiegen sie sich um zwei regungslose Alabasterarme und das lächelnde holde Mädchenangesicht, über das die rieselnden Wellen wie kosend dahinstreichen, ruht es nicht schlummerhaft auf weichem Kissen von Moos und Uferried? So schlummerhaft, daß die Müllerknechte, welche die anmuthige Schläferin zuerst entdeckten, unwillkürlich leiser sprachen, als sie sich zuriefen: „Da ist sie.“ Da war sie in der That – des Müllers Töchterlein, das es schöner gefunden, da unten in der lautlosen Tiefe bei stummen Pflanzen und Fischen zu schlafen, als hier oben unter den Menschen zu wandeln in der lauten Welt des Athmens und des – Herzeleids. – –

Grüneisen (so berichten uns die weiteren Tagebuchblätter) lebte noch viele Jahre als Schulmeister in seinem Heimathsdorfe. Ein einziger Frühlingssturm hatte die Blüthen seines Lebens verweht. Früh in sich selbst zurück gezogen und vereinsamt, von Niemandem verstanden, von Niemandem gesucht, von Niemandem geliebt, wurde er im Alter der vollendete Sonderling, als welchen wir ihn kennen gelernt haben.

Durch den Tod eines entfernten Verwandten kam er in den Besitz des alten verfallenen Hauses, meinem Elternhause gegenüber. Er sollte sein stilles, ihm durch ach! wie viele wehmüthige Erinnerungen lieb gewordenes Dorf verlassen, damit sein altes Herz – wie war es noch immer so jung geblieben! – noch einmal den Hauch der Liebe verspüre, wie einen verweheten Klang aus früheren Tagen. Von seiner Mansarde aus sah er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 869. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_869.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
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