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Seite:Die Gartenlaube (1876) 879.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


und gewählt, was für uns Alle das Beste ist; ihr Entschluß allein sichert uns die Versöhnung.“

Die junge Gräfin hob das dunkle thränenvolle Auge zu ihm empor. „Hast Du die düstere Warnung des Vaters vergessen? Auch zwischen uns Beiden liegt der unselige nationale Zwiespalt, der von jeher wie ein tiefer Riß durch unsere Familie ging. Er hat schon Deine Eltern unglücklich gemacht.“

„Weil sie keine Liebe kannten,“ ergänzte Waldemar. „Weil kalte Berechnung nach beiden Seiten das innigste Band knüpfte, das zwei Menschen vereinigen kann. Daraus konnte keine Versöhnung erstehen; da mußte der alte Streit nur noch heftiger auflodern. Wir haben denn doch etwas Anderes einzusetzen. Ich habe jenem Zwiespalte schon meine Braut abgerungen – ich werde auch mein Glück dagegen zu vertheidigen wissen. Wenn unsere Ehe wirklich ein Wagniß ist, wir können es auf uns nehmen.“

Die leichten Morgenwolken, welche am Himmel schwammen, begannen sich licht und lichter zu färben, und im Osten flammte die Morgenröthe. Der ganze Horizont war in Rosengluth getaucht, und die Wellen erschienen wie gesäumt mit flüssigem Golde. Jetzt blitzte es auf wie ein strahlender Funke, der erste Gruß der aufsteigenden Sonne, und nun stieg das leuchtende Tagesgestirn selbst empor aus den Wogen, langsam, immer höher und höher, bis es sich endlich ganz davon löste und in voller Klarheit dastand. Durch die helle, kalte Morgenluft floß es wie ein rosiger Hauch, und die bisher so öde dunkle Wasserfläche gewann das tiefste Blau. Mit dem Sonnenaufgang strömten Licht und Leben über Meer und Erde hin.

Die ersten Strahlen berührten den Buchenholm, und vor ihnen zerrannen die weißen Nebel, die noch zwischen den Bäumen schwebten; sie sanken nieder auf den thaubedeckten Rasen; sie zerflatterten im Walde, nur ein leichter Duft blieb noch zurück. Der Morgenwind strich durch die Kronen der mächtigen Buchen, die sich leise rauschend zu einander neigten, aber was sie jetzt flüsterten, das war keine düstere Klage mehr von Vergehen und Sterben, wie damals am Waldsee von Wilicza. Und doch war gerade dort, in den herbstlich öden Wäldern, aus Dämmerung und Nebelschatten das Traumbild aufgestiegen, das jetzt als helle Wirklichkeit dastand – der meerumrauschte Buchenholm im Sonnenglanze mit seiner Märchepoesie.

Waldemar und Wanda standen wieder an der Stelle, wo vor Jahren der wilde, ungestüme Knabe gestanden hatte, der da meinte, er brauche nur die Hand auszustrecken, um das, was seine erste Leidenschaft erweckte, nun auch als sein unbestrittenes Eigenthum an sich zu reißen, und das übermüthige Kind, das mit dieser Leidenschaft ein kindisches Spiel getrieben hatte. Damals wußten sie Beide noch nichts vom Leben und seinen Aufgaben. Seitdem war es ihnen genaht in seinem ganzen furchtbaren Ernste; es hatte sie hineingerissen in seine schwersten Kämpfe, und Alles zwischen sie gestellt, was zwei Menschen nur trennen kann. Aber die alte Meeressage hatte ihnen doch wahr gesprochen. Seit jener Stunde, wo ihr Zauber die beiden jugendlichen Herzen umspann, waren diese in ihrem Bann geblieben, und der Bann hielt sie fest trotz Entfremdung und Trennung; er zog sie mächtig zu einander, als um sie her Alles in Haß und Streit aufloderte, und führte sie siegreich durch all die feindlichen Gewalten bis zu dieser Minute.

Waldemar hatte den Arm um seine Braut gelegt und sah ihr tief in’s Auge.

„Glaubst Du noch, daß ein Nordeck und eine Morynska kein Glück mit einander finden können?“ fragte er. „Wir wollen den Schatten tilgen, der bisher auf diesem Bunde lag.“

Wanda lehnte das Haupt an seine Schulter. „Du wirst bei Deinem Weibe vieles schonen und vieles überwinden müssen. Ich kann nicht Alles verleugnen, was mir so lange heilig und theuer gewesen ist. Reiße mich nicht ganz los von meinem Volke, Waldemar! Es wurzelt ein Theil meines Lebens darin.“

„Bin ich denn jemals hart gegen Dich gewesen?“ Waldemar’s Stimme hatte wieder jene seltsame Weichheit, die nur ein einziges Wesen auf Erden diesem kalten, starren Manne abzuringen vermochte. „Diese Augen haben ja schon den unbändigen Knaben Fügsamkeit gelehrt; sie werden auch den Mann zu zügeln wissen. Ich weiß, daß jener Schatten sich noch oft zwischen uns drängen wird; er wird Dir vielleicht noch manche Thräne und mir manchen Kampf kosten, aber ich weiß auch, daß in jedem entscheidenden Augenblicke meine Wanda da stehen wird, wo sie schon einmal stand, als die Todesgefahr mich bedrohte, und wo hinfort allein ihr Platz ist – an der Seite ihres Gatten.“

Das Schiff, das den Flüchtling seinem Vaterlande entführte, verschwand in nebelduftiger Ferne. Ringsum wogte die blaue See, und über den Buchenholm strömte das volle goldene Sonnenlicht. Das Meer sang wieder seine alte ewige Melodie, aus Windesrauschen und Wellenbrausen gewoben, und dazwischen tönte es fern und geheimnißvoll wie Glockenklang – der Geistergruß Vinetas aus der Meerestiefe.




Noch einmal der Reliquienhandel.


Hätte Jemand die Absicht, ein Verzeichniß aller der kirchlichen Reliquien aufzustellen, die da waren und die noch jetzt, freilich zum größten Theile unbeachtet in Staub und Moder begraben, existiren, so würde er vor einer nicht zu überwältigenden Arbeit stehen – denn ihre Zahl ist Legion. In ungeheuren Mengen wurden sie besonders im Mittelalter über die christliche Welt verbreitet; ihre Verehrung galt als ein nicht mehr zu entbehrender Theil des kirchlichen Ritus, und für jeden Gläubigen waren sie dadurch zum Bedürfnisse geworden. Es gab zuletzt kaum eine Stadt, die nicht eine Reliquie aufzuweisen hatte, welche Kranke geheilt oder sonstige Gnaden ertheilt, und die Kraft derartiger Heiligthümer strahlte segenspendend ringsum. Ein Beschluß des zweiten Concils zu Nicäa (787) gebot sogar schon, daß die Weihung einer Kirche nie ohne Reliquie erfolgen solle.

Im Morgenlande war die Bilderanbetung vorherrschend gewesen, doch dies genügte den christlichen abendländischen Naturen nicht; dort verlangte man etwas Unmittelbares für die Anschauung, und letzteres wurde mit Veranlassung zu jener neuen Art von Todtenauferstehung. Das Reliquienunwesen und der Reliquientrug reicht in der Kirchengeschichte sehr weit hinauf und lag in der ganzen eigenthümlichen Entwickelung des Christenthums mit begründet. Die Mutter des Kaisers Constantin, Helena, scheint demselben schon starken Vorschub geleistet zu haben. Unter ihr soll das wahre Kreuz Christi im Jahre 326 aufgefunden worden sein, nachdem es dreihundert Jahre in der Erde unversehrt gelegen. Aber auch bis in die neueste Zeit hinein muß man römischerseits von der hohen Wichtigkeit einer Reliquie überzeugt gewesen sein, denn sonst hätte der Papst wohl nicht der katholischen Kirche in Constantine (Algerien) als eine ganz besondere Gnade den Nagel von der Fußzehe des Apostels Philippus verehrt.

Aber woher stammen alle diese heiligen Ueberreste, wie sind sie zu uns gekommen und welchen Anspruch auf Authenticität habe sie?

Vor Beginn der Kreuzzüge waren Reliquien im Abendlande nur in geringer Zahl verbreitet, doch im Gefolge der heimkehrenden Fürsten und Ritter sehen wir sie schon zahlreich auftreten. Was war auch natürlicher, als daß sich Erstere als höchste Erinnerungszeichen gerade solche Gegenstände auswählten, welche mit ihrem heiligen Kampfe in engster Verbindung und in ihrem Vaterlande mehr als alle anderen Schätze der Welt in Geltung standen. Das Auffinden war ja nicht schwer; dafür sorgten schon speculative Köpfe, und vor Allen – die Priester und Mönche, sobald sie nur sahen, daß es ihnen in irgend einer Weise Vortheil brachte. Sie fanden zuletzt Alles, was sie nur finden wollten, und den Kreuzzügen verdanken wir neben der heiligen Lanze das Schweißtuch der heiligen Veronika, welches sie, wie bekannt, dem Erlöser darbot, als er mit Schweiß und Blut bedeckt das Kreuz nach Golgatha trug, und in das er zum Denkmal seiner Liebe das Angesicht abdrückte. Ist das Tuch echt, so muß es sehr lang gewesen sein, da die verschiedenen Ueberbleibsel mindestens dreißig Meter betragen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 879. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_879.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
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