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Seite:Die Gartenlaube (1877) 062.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Hamburgs neue Hafenanlagen.
Mit Abbildungen.


„Da verlangt der Senat schon wieder so und so viel Millionen für neue Quaianlagen! Unsummen Geldes sind schon bewilligt, aber immer mehr und mehr wird nachverlangt. Heute Abend in der Bürgerschaft kommt der Antrag zur Abstimmung. Ich gehe gar nicht hin. Dagegen stimmen kann man nicht gut, und dafür stimmen mag ich nicht. Die ganzen Quaianlagen sind mir antipathisch.“

Der dies sprach – der Schreiber dieser Zeilen war zufällig gegenwärtig – ist ein alter Hamburger Handelsherr. Einer von der Sorte, welcher der Zopf hinten hängt. Man findet auch solche Exemplare an der Börse unserer Welthandelsstadt, aber zum Glücke ziemlich selten.

Der Angeredete, ein jüngerer Kaufmann, lächelte. „Was haben Sie denn gegen die Quaianlagen einzuwenden? Sind diese stattlichen Hafendämme zum Ein- und Ausladen unserer Waaren nicht für Hamburgs Handel unentbehrlich?“

„Für unser modernes Geschäft allerdings.“ murrte der Alte. „Aber das ist’s ja eben. Geht mir doch mit der oft gepriesenen Jetztzeit, schafft mir die gute alte Zeit zurück! Sehen Sie sich die neuere hamburgische Handelsstatistik an, lieber Freund! Zahlen beweisen. Da haben nur vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren so und so viel Import, so und so viel Export gehabt; alle Zahlen sind gestiegen; auf den ersten Blick sollte man glauben, der Handel blühe. Vergleichen Sie jedoch unsern Proprehandel (Handel für eigne Rechnung) mit dem Speditionsgeschäfte so finden Sie, daß das Verhältniß ein anderes und zwar ein schlechteres geworden ist. Der Proprehandel ist der wahre Lebensnerv; vom Speditionsgeschäfte mag ich gar nichts hören. Der eine Spediteur nimmt noch billigere Sätze als der andere. Jeder unterbietet den Concurrenten – es ja fabelhaft, wie der Verdienst beim Spediren gedrückt ist. Und wem dienen die Quaianlagen? Doch in erster Linie dem Speditionsgeschäfte. Und es geht jahraus jahrein mit den Millionen-Bewilligungen lustig fort; immer neue Quais werden gebaut; mit Stolz weist man auf die immer wachsende Zahl von Schiffen hin, die im Hamburger Hafen angekommen – aber die Waaren, welche sie bringen? Nun, die wandern direct aus dem Schiffsbauche in den Eisenbahnwagen; die Locomotive pfeift – weg damit! Fort auch mit dem schönen Verdienste von Anno Dazumal!“

„Aber wir müssen doch mit den concurrirenden Hafenplätzen Schritt halten.“

„Weiß ich. Deshalb stimme ich auch nicht gegen den Antrag. Glaub’s gern, daß es so sein muß. Aber darum kann man doch mit Bedauern daran denken, wie es früher doch so viel besser war.“

Und weiter entwarf der wackere Mann ein Bild der „guten alten Zeit“, unter welcher er die ersten Decennien dieses Jahrhunderts verstand, als man noch nicht „mit Dampf arbeitete“.

Ja, der Dampf! Er, der wilde, tückische Geselle, dessen Riesenkraft der Mensch gezähmt und menschlichem Wirken dienstbar gemacht hat, er hat auch die großartige Umwälzung auf dem Gebiete des Handels zu Stande gebracht, von welcher die Rede. Früher gab es in Hamburg im Allgemeinen abwechselnd eine „flaue“ und eine „hille“ (belebte) Geschäftsperiode, je nach der Jahreszeit. Im Frühjahre, Sommer und Herbste kamen die Segelschiffe in den Hafen. Die Waaren wurden in die „Schuten“ (flache, wenig tiefgehende Leichterfahrzeuge) entladen, von diesen in die Speicher gebracht, und dann begann der Handlungsreisende oder der Agent seine Thätigkeit. Der Binnenländer machte bei diesen seine Bestellungen und erhielt nach Wochen oder Monaten die Waare per Flußschiff oder per Fuhrmann. Wenn der Herbst vorrückte, ging das Geschäft noch flotter. Man mußte sich für den Winter versorgen; mit dem ersten Froste war die Schifffahrt auf der Elbe ja vorbei. Im Winter bestellte der Binnenländer nur das Nothwendigste, denn der Landtransport durch den Fuhrmann war bedeutend theurer, als der Wassertransport.

Wie hat sich das Alles durch den Dampf geändert! Schlot an Schlot zieht die Elbe hinauf und hinab; selbst die Segelschiffe, die früher bei ungünstigem Winde lange an der Elbmündung harren konnten, werden jetzt durch flotte kleine Schleppdampfer des Wartens enthoben. Aus dem Schiffsraume holen die Dampfkrähne am Quai die Waare, mit der das flüchtige Dampfroß davoneilen soll. Und wenn der erste Frost eintritt, brechen die großen amerikanischen Paketfahrdampfer spielend durch die dünne Eisdecke. Der Frost wird schärfer; der Eisgang nimmt zu, und Gebirge von mächtigen Schollen thürmen sich an engen Stellen des Fahrwassers auf. Da erscheint der Eisbrecher. Mit voller Wucht der Dampfkraft preßt er den schweren eisernen Bug gegen die Barrikaden, zerdrückt, zerschellt und zerstreut sie. Seit mehreren Jahren hat bereits Hamburg, dank dem trefflichen Eisbrecher (ein zweites Exemplar ist im Baue), keine winterliche Schifffahrtshemmung mehr erlitten, und es müßte schon ein ganz außergewöhnlich harter Winter sein, dessen Eisbildungen nicht von jenen gewaltigen Widdern besiegt werden könnten. Längst schon hält Hamburgs Handel keinen Winterschlaf mehr.

Aber noch in anderer Beziehung änderten sich die Handelsverhältnisse durch die modernen Verkehrseinrichtungen ganz wesentlich. Der Binnenländer, früher gewohnt, seine Ankäufe auf den deutschen Küstenplätzen zu machen, trat mit der Zeit mehr und mehr in directen Verkehr mit dem Auslande. Ausländische Agenten und Reisende suchten ihn auf; nicht nur mit europäischen, selbst mit außereuropäischen Plätzen trat das Inland in unmittelbare Geschäftsverbindung. Der Hamburger Kaufmann bequemte sich der veränderten Lage rasch an; er selbst bot die Hand zur Erleichterung des directen Bezuges, wohl wissend, daß unter allen Umständen die Welthandelsstadt an der Elbmündung ein namhafter Stapelplatz des Warenaustausches bleiben werde. Da ist z. B. brasilianischer Kaffee einer der Hauptartikel der Hamburger Börse. Hamburg allein importirt fast ebenso viel Kaffee, wie ganz Großbritannien; das Verhältniß ist etwa wie einundzwanzig zu vierundzwanzig. Der Importeur verkauft denselben gewöhnlich „schwimmend“, das heißt die von Rio de Janeiro abgesandte Ladung wird, während sich das Schiff noch auf hoher See befindet, auf Grund der vorher per Dampfer angekommenen Proben an der Hamburger Börse verhandelt. Früher kaufte ausschießlich der Hamburger Commissionär (eine ganz falsche Bezeichnung; denn seit Menschengedenken waren gerade diese sogenannten Commissionäre ausschließlich Proprehändler). Heutzutage kauft auch wohl einmal der Berliner, der Leipziger, der Magdeburger direct vom Importeur eine ganze, halbe, Viertels-Ladung Rio-Kaffee. Als zuerst derartige Geschäfte abgeschlossen wurden, schrieen die Herren vom Zopfe Zeter über diesen „Mangel an hamburgischem Patriotismus“. Was hat’s geschadet? Nichts, gar nichts; es kam noch Kaffee genug und übergenug in die hamburgischen Speicher. Und auch hier machte sich die alte Erfahrung geltend, daß oft in Folge der Börsenschwankungen der directe Einkauf weniger günstig ist, als der Bezug vom Zwischenhandelsplatze. Baumwolle, die der Hamburger heute von Liverpool erhält, kann er vielleicht nach acht Tagen seinem Breslauer Geschäftsfreunde billiger anbieten, als dessen Liverpooler Correspondent. Doch das ist eine ganz alte, unzählige Male gemachte Erfahrung, von der wir da sprechen; sie dient als unwiderleglicher Beweisgrund gegen das heutzutage gottlob ziemlich überwundene System der verschiedenen Zollansätze (Differentialzölle).

Alles in Allem genommen, ist es erklärlich, daß unter so bewandten Umständen das Speditionsgeschäft in den Zahlencolonnen der Handelsstatistik rascher steigen konnte, als der Proprehandel, ohne daß etwa jenes vorherrschte, wie aus den Klagen des alten Kaufmannes herausgehört werden könnte. Vielmehr vertragen sich beide ausgezeichnet, ergänzen sich wechselseitig; die Interessen aller Handelsbranchen sind solidarisch.

Ein Speditionsgeschäft an einem Welthandelsplatze ohne Quais wäre ein Unding. Wenn man sich in Hamburg lange genug ohne solche beholfen – der erste Quai wurde 1868 in Betrieb genommen –, so hatte man das nur der eigenthümlichen, dem Handel so enorm günstigen natürlichen Lage Hamburgs, dieses von Elbarmen und Canälen (den sogenannten Fleeten) durchschnittenen „nordischen Venedigs“, zu danken. Bestand doch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_062.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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