Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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eigentlich schon seit Urzeiten der größte Theil der Stadt aus natürlichen Quais, denn die Wasserfront der Elbufer und der Canäle, soweit sie städtisch angebaut, ist circa einhundertneunundvierzigtausend Fuß lang und ungefähr die Hälfte hiervon dient gewerblichen und Handelszwecken, das heißt die Waarenspeicher und Lagerräume liegen mit ihren Hinterfronten am Wasser und sind für Landfuhrwerk von den mit den Canälen parallel laufenden Straßen zugänglich. So kann denn mittelst der oben erwähnten „Schuten“ die Waare nicht nur aus dem Schiffe im Hafen direct nach dem Speicher geschafft werden, sondern auch aus dem einen Speicher in den andern, auch im Platzverkehr wandert sie also gewöhnlich per Schute. Wie gesagt, ist der Transport per Achse hier, wie wohl überall, theurer als der Wassertransport. Dazu kommt noch der Umstand, daß die Schute verhältnißmäßig außerordentlich wenig Arbeitskraft erfordert. Ein einziger Mann bewegt eine solche beladene Schute (vier- bis sechshundert Centner Tragfähigkeit), indem er eine sechszehn bis achtzehn Fuß lange Hakenstange, einen sogenannten Peekhaken, gegen den Grund oder seitwärts gegen eine Mauer stemmt und dann das Fahrzeug vorwärts schiebt. Gern macht er sich hierbei die Strömung (Ebbe und Fluth) zu nutze, aber auch gegen dieselbe kann er die Schute fortbringen. Stelle man dieser billigen Art des Transports das in anderen Seestädten obwaltende Verhältniß gegenüber: fast überall wird die Waare aus den Schiffen auf den Quai geladen und dann per Wagen nach den Magazinen geschafft. Ein Gewährsmann erzählt, daß ihm ein Kaufmann in Marseille mit Stolz die wahrhaft großartigen Hafenanlagen dieser Stadt zeigte. Der Hamburger meinte, man müsse in Marseille sehr kostspielig arbeiten. Der Franzose bestritt dies. Man rechnete nach, und es ergab sich, daß bei aller Großartigkeit der Anlagen die Kosten des Transports der Waare vom Speicher in Marseille etwa doppelt so hoch sind, wie in Hamburg.
Für den Proprehandel hätten die natürlichen Quais noch lange genügt. Auch vom Seeschiff direct in das Flußschiff ließ sich selbstverständlich von jeher mit Leichtigkeit verladen. Das Speditionsgeschäft erforderte aber einen Fortschritt, als man mit Dampf arbeitete. Die Dampfschiffe, welche ihre Reisen rasch und regelmäßig machen mußten, um die Concurrenz anderer Linien zu bestehen, durften nicht warten, bis die für die verschiedensten Handelsfirmen und für die Eisenbahn bestimmten Güter mit Schuten abgeholt sein würden. Man half sich einstweilen mit großen Leichterfahrzeugen. In diese schafften die Dampfer, welche im Laufe der Zeit mit Dampfkrähnen und Dampfwinden ausgerüstet wurden, ihre Ladung, aus allen Luken gleichzeitig „löschend“ (entladend). Aus dem Leichter wurden dann später die Waaren in Schuten abgeholt. Die Leichter waren also eigentlich schwimmende Quais. Ein großer Mangel der Leichter bestand aber darin, daß ihre räumliche Ausdehnung zu gering war, um die Waaren gehörig sortiren und übersichtlich hinlegen zu können. Wenn die Schuten kamen, so mußten die Waaren vielfach umgestapelt werden, oder die Schuten mußten warten, bis die für sie bestimmten Waaren zur Hand lagen. Nicht nur ging Zeit verloren, auch das Liegegeld für die Schuten mußte entrichtet werden. Auch war immer noch nicht das Ideal des Spediteurs, directe Verladung aus dem Schiffsraum in den Eisenbahnwagen, erreicht.
Wie conservativ der Hansestädter auch in mancher anderen Beziehung zu sein pflegt, er hat stets da dem Fortschritte zu huldigen gewußt, wo es sich um seine Lebensinteressen handelt. Gegen eine kaum bemerkbare Opposition wurden Millionen auf Millionen bewilligt, und so entstanden die Quais, deren Abbildung aus der Vogelperspective heute den Lesern der „Gartenlaube“ vorliegt.
Es ist ein gigantisches Werk, welches hier vollbracht worden ist, wie wenig auch seine architektonische Großartigkeit dem besuchenden Fremden in die Augen fällt. Diesen fesselt das bunte Leben und Treiben, der emsige Verkehr auf dem Wasser und auf dem Lande. Auf die Quais selbst, die nüchterne kahle Wand, wirft er, falls er nicht selbst Techniker ist, kaum einen Blick. Denn auf Formenschönheit haben die Quais sammt ihren Schuppen und Speichern selbstverständlich verzichten müssen. Solidität, unbedingte starre Solidität war die Parole beim Bau, und wer eine Ahnung davon hat, welche Schwierigkeiten sich dem Baumeister entgegenstellen, der auf unsicherem Marschboden, im dem Schlick des Strombettes seine Grundmauer unverrückbar aufthürmen soll, der wird begreifen, daß es zur Erfüllung dieser Aufgabe einer Kraft ersten Ranges bedurfte. Hamburg besaß eine solche in dem genialen, leider zu früh dahingeschiedenen Wasserbaudirector Dalmann, der weit über Hamburgs Mauern hinaus als Autorität galt, dessen Schöpfungen die Bewunderung seiner Fachgenossen erregten. Diesmal kam das Wort von der undankbaren Republik nicht zur Geltung. Die Stadt wußte ihren Dalmann zu schätzen, über Orden und dergleichen Auszeichnungen gebot sie nicht, dagegen zahlte sie ihm ein Gehalt, wie es nie ein Bürgermeister von Hamburg bezog, wie es mancher Minister in größeren Staaten nicht erhält, nämlich 7840 Thaler pr. Courant jährlich. Der vor Kurzem erfolgte, allgemein beklagte Tod des Meisters hat die Fortführung der Quaibauten nicht beeinträchtigt, da alle Pläne vollendet daliegen. Ihm zu Ehren erhielt der Dalmanns-Quai den Namen. Was Dalmann auf diesem Gebiete, wie auf dem der Elbstromregulirung geleistet hat, wird ohnehin sein Andenken noch auf Jahrhunderte hinaus für Hamburg unvergeßlich machen. – Ueber die technischen Einzelheiten des Baues haben Fachzeitungen eingehend berichtet; hier sei nur erwähnt, daß die Quais theils auf Beton, theils auf Pfahlroste fundirt sind.
Die Generalübersicht der Quais, vom Quaispeicher aus der Vogelspective aufgenommen, führt links vom Beschauer den Sandthorquai, in der Mitte den Kaiserquai, rechts den Dalmann-Quai vor. In der Ferne zeigen sich der Venlooer (Pariser) Bahnhof, die städtische Gasanstalt, die Elbbrücke, deren Bild die „Gartenlaube“ 1872 ihren Lesern vorführte, rechts der Oberhafen. Gerade vor uns sehen wir noch einen Theil des Quaispeichers. Letzterer, ein respectables Gebäude, mit 1,480,000 Mark Unkosten erbaut, krönt die Spitze der vom Kaiserquai eingenommenen Landzunge. Ein Thurm des Quaispeichers (auf unserem Bilde nicht vorhanden) trägt einen sogenannten Zeitball. Letzterer, weithin sichtbar, fällt jeden Mittag präcise zwölf Uhr nach Greenwicher Zeit und dient den Schiffscapitainen im Hafen zur Regulirung ihrer Chronometer.
Der Sandthorquai ward im Juli 1866 eröffnet, 1875 erweitert, der Kaiserquai 1872 im Juli eröffnet, ebenso der Dalmann-Quai; letzterer ward 1876 erweitert. Die Dimensionen sind:
Länge | Schuppenlänge | Bedachte Fläche. | |
Sandthorquai | 1170 Meter. | 910 Meter. | 19,580 Q.-Meter. |
Kaiserquai | 1040 “ | 740 “ | 21,300 “ |
Dalmann-Quai | 1035 “ | 790 “ | 22,150 “ |
Total | 3245 Meter. | 2440 Meter. | 63,030 Q.-Meter |
Der Quaispeicher, im Februar 1875 eröffnet, ist auf einer Grundfläche von 362984 Quadratmeter erbaut und kann in sechs Stockwerken auf 18,90526 Quadratmeter Flächenraum 300,000 Centner lagern.
Die Quais benutzten 1875 1426 Schiffe, von denen vier Segelschiffe, der Rest Dampfer waren. Total in den zehn Jahren des Betriebes: 8261 Schiffe mit 4,504,329 britische Registertons Netto-Raumgehalt. Die Hauptflaggen vertheilten sich in den zehn Jahren wie folgt: 5564 englische, 1729 deutsche, 530 französische, 283 holländische Dampfer.
Der Verkehr auf den Quais bezifferte sich 1875 wie folgt: Gesammtgüterbewegung 11,919,000 Centner; Verkehr per Eisenbahn 5,852,000 Centner, per Fuhre 1,635,000 Centner, per Wasser (Schute) 4,432,000 Centner – Total in zehn Jahren 59,710,000 Centner.
Hat der Fremde den Hamburger Hafen besucht, so versäume er nicht den Besuch der Quais! Jener imponirt durch seinen Mastenwald, diese durch den äußerst lebendigen, bunt wechselnden Verkehr, gegen den selbst das Leben und Treiben im eigentlichen Hafen wie ein ruhiges Idyll erscheint. Auf den Quais geht Alles mit Dampf, mit fieberhafter Eile pulsiren die hier zusammenlaufenden Verkehrsadern, sehr häufig, wenn es gilt, einen großen Paquetdampfer, der etwas verspätet angekommen, schnell zu entladen und wieder zu befrachten, wird Tag und Nacht, Wochentags und Feiertags ununterbrochen fortgearbeitet. Die Quaisarbeiter sind ein kerniges, urkräftiges Geschlecht von dem Schlage der „Markthelfer“, welche Gustav Freytag im deutschen Musterroman „Soll und Haben“ so trefflich zeichnete. Wir sehen sie auf unserm zweiten Bilde (die Dampfkrähne) im voller Thätigkeit unter Anleitung von Inspektoren, freundlichen Gentlemen in einer
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_063.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2017)