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Seite:Die Gartenlaube (1878) 073.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Mutter verzieh ihr in ihrer Sterbestunde, das Herz des Vaters aber vermochte sich erst nach längerer Zeit ihr wieder zu öffnen. Als er ihre aufrichtige Reue sah, als er länger als ein Jahr erfahren und erprobt hatte, mit welcher Liebe und Hingebung sie ihren jüngeren Geschwistern die Mutter zu ersetzen suchte und zu ersetzen verstand, als Alles an ihr ihm die Ueberzeugung gewährte, daß eine völlige Umkehr sich in ihr vollzogen habe, da erst löste ihr stilles Leiden die Kruste, die sich um sein Herz gelagert hatte; die Liebe des Vaters umfing sie wieder – er verzieh ihr. Sie war wieder sein geliebtes Kind geworden.

„Wohlan,“ sagte der Vater, als seine Tochter bittend seine Hand ergriffen hatte. Er theilte ihr mit, was der Bauernadvocat ihm eröffnet hatte.

Als sie ihm auch den Inhalt ihrer Unterredung mit Emil Brunn mittheilen wollte, sagte er ruhig:

„Laß’ das! Die Ausdrücke, gar die Drohungen seiner unedlen Leidenschaften will ich nicht hören. Beschäftigen wir uns lieber mit dem, was wir zu thun haben! Ueberlegen wir ruhig! Wir stehen einer rohen, leidenschaftlichen Gewalt gegenüber, ohne irgend ein Mittel des Widerstandes, der Vertheidigung. Unterwerfen wir uns also der eisernen Nothwendigkeit! Ein Unterkommen werden wir bei meinem Bruder in der Kreisstadt für heute Nacht finden, aber wir werden es nur für kurze Zeit bedürfen, denn es ist eine vorübergehende Krankheit, die das Volk ergriffen hat, ein Rausch, der schnell verfliegen wird, wie er schnell entstanden ist. Treffen wir unsere Anstalten! Der letzte Strahl der Abendsonne darf uns hier nicht mehr finden.“

Vater und Tochter kehrten zu den jüngeren Kindern zurück, und ihre Ruhe theilte sich auch diesen mit; ohne Klage und Murren machten Alle ihre Vorbereitungen zum Auszuge aus der Pfarre.


3. Ein Ueberfall der Bauern.

Der Rittmeister Ottokar von Waltershausen und seine Schwägerin Emma hatten durch den Park den Weg zum Schlosse eingeschlagen. Sie gingen, wie gesagt, stumm und kalt neben einander, wie zwei fremde Menschen. Nur einen Augenblick hatte das Herz der Frau, die so arm an Glück, so leer an Freude war, sich schwach erwiesen, aber dieser Augenblick der Schwäche lastete wie eine schwere Schuld auf ihr. Glühende Röthe und Leichenblässe wechselten in ihrem Gesichte, als sie dem Gatten und dem Schwager begegnete.

Die Ueberraschung der beiden Brüder war so groß wie ihre Freude.

„Ah,“ jubelte laut, wie ein glückliches Kind, der Baron Kurt, „da bist Du ja, meine gnädige Schwägerin. Und unter dem Schutze unseres tapferen Ottokar. Auch Du –“

Er wollte den Bruder begrüßen, aber er trat bescheiden zurück, denn der erste Gruß gehörte dem Schloßherrn, dann erst kam die Reihe an den apanagirten jüngeren Bruder.

Und der Baron Adalbert trat vor, ernst und gemessen, wie es dem Stammherrn geziemt, und ruhig, wie er immer war.

„Willkommen, lieber Bruder Ottokar! Doppelt willkommen, da Du so treu zu unserer Hülfe herbeigeeilt bist! Wir sahen uns lange nicht. Du siehst gesund aus.“

Er küßte den Bruder auf beide Wangen.

„Ja, ja, lieber Ottokar,“ sagte dann Baron Kurt, „nun Du hier bist, haben wir nichts mehr zu fürchten. Mögen die Bauern nur kommen! Wir werden sie zu Paaren treiben! Ah, wo hast Du denn Deine Husaren? Und wie bist Du mit unserer theuren Schwägerin zusammengetroffen? Erkläre mir diese Räthsel!“

Sie waren Beide verlegen geworden, die Baronin wie der Rittmeister. Emma’s Gesicht übergoß sich wieder mit glühender Röthe. Ottokar suchte nach einer Antwort.

„In der That – durch welches glückliche Ungefähr fandet Ihr Euch?“ fragte jetzt auch der Baron Adalbert.

Der Rittmeister mußte antworten. Konnte er die Wahrheit sagen? Durfte er eine Lüge vorbringen?

„Es war wohl nicht ganz ein Ungefähr, mein Bruder,“ sagte er. Dann stockte er.

Da trat rasch und entschieden die Baronin vor.

„Mein lieber Adalbert, ich hatte Gründe meinen Schwager vorher allein zu sehen; ich theile sie Dir nachher mit! Gehen wir jetzt zum Schlosse! Ottokar bedarf der Ruhe, und wir Alle müssen uns sammeln, um zu überlegen, was am Abend zu thun.“

„Du hast immer den besten Rath, meine liebe Emma,“ sagte der Baron, indem sie zum Schlosse zurückgingen.

Kaum waren sie dort angelangt, als die Nachricht eintraf, die Bauern im Dorfe hätten früher, als man erwartet, sich bewaffnet und zusammengerottet und seien im Anzuge gegen das Schloß. Sie hätten Kunde davon erhalten, daß Husaren zum Schutze des Schlosses im Anmarsch seien, daß ein Officier ihnen durch den Park vorausgeritten sei, um ihre Ankunft zu melden und die schleunigsten Vorbereitungen zur Vertheidigung einzuleiten. Da hätten auch die Bauern sich beeilt, um vor den Soldaten im Besitze des Schlosses zu sein. Dem Rittmeister wurde die Nachricht Veranlassung zu einem um so schleunigeren und energischeren Handeln.

„Bruder Adalbert, erlaubst Du mir, hier alle Anordnungen zu treffen, die zur Vertheidigung des Schlosses erforderlich sind?“

„Lieber Ottokar, Dein militärisches Commando macht Dich zum Herrn des Schlosses. Wir Anderen alle, auch ich, müssen uns Dir unterwerfen. Befiehl!“

Der Rittmeister traf seine Anordnungen nach allen Seiten. Diener des Schlosses mußten sich auf die Pferde werfen, den Husaren entgegen zu sprengen und sie auf dem nächsten Wege durch den Park zum Schlosse zu führen. Andere Diener wurden ausgesandt, um auszukundschaften, von welcher Seite, in welchen Trupps und wie bewaffnet die Bauern anrückten. Noch Andere verschlossen überall das starke eiserne Gitter, von dem die Schloßgebäude, wie wir früher erwähnt, umgeben waren. Wieder Andere hatten die Thore und Thüren des Schlosses und seiner Nebengebäude zu verschließen, zu verbarrikadiren und die Fenster mit Läden zu versehen.

Die Befehle des Rittmeisters wurden mit Umsicht ertheilt, mit Pünktlichkeit vollzogen. Die Kundschafter waren noch nicht zurückgekehrt, die Husaren noch nicht angekündigt, von den Bauern hatte man nichts wieder vernommen, als der Rittmeister, der überall die Befestigung überwachte, die Erklärung abgeben konnte, gegen den ersten Anprall sei man geschützt, bevor sie einen zweiten versuchen möchten, seien seine Husaren da. Man erwartete mit Spannung das Weitere. Jedermann war auf seinem Posten. Die Schloßherrschaft hatte sich in dem Familienzimmer versammelt. Der Rittmeister ging im Zimmer auf und ab, horchte nach allen Seiten, blieb bei jedem Geräusche stehen, mied die Blicke des älteren Bruders und seiner Schwägerin, wich selbst denen des jüngsten Bruders aus. Und gerade auf ihn, den Helfer, den Retter, waren die Augen der Anderen gerichtet. Freilich nicht die der Baronin. Ihre Blicke suchten Niemanden auf. Sie hatte einen Lehnstuhl in einem Winkel des Zimmers eingenommen; dort saß sie, den Kopf in die Hand gestützt, vor sich niederblickend, mit ihren Gedanken beschäftigt. Nur zuweilen schaute sie plötzlich auf, sie war unruhig geworden, ihre Augen suchten den Gatten, sie wollte sich erheben, sich zu ihm begeben. Sollte sie ihm den bittersten Kelch seines Lebens reichen? Hatte sie dem Gatten nicht versprochen, sie wolle kein Geheimniß vor ihm haben? Der Baron Adalbert saß, in jener glücklichen Ruhe da, die keine Gefahr kennt, mußten doch die Husaren jeden Augenblick eintreffen. Der Baron Kurt endlich! Seine Gedanken reichten gerade so weit wie seine Augen; er sah die Unruhe des Rittmeisters, die innere Aufregung seiner Schwägerin, die absolute Ruhe des Schloßherrn. Seine Neugierde erwachte. Was haben jene Beiden denn? Aber er konnte es nicht errathen, fragen durfte er in der augenblicklichen Lage nicht. „Ich werde es ja später erfahren.“

Tiefe Stille herrschte im Zimmer, im Schlosse, in der ganzen Umgebung. Im Zimmer vernahm man nur das leise Klirren der Sporen des langsam aus- und abschreitenden Rittmeisters; kein anderes Geräusch wurde im Innern laut, drang von außen herein. Auf einmal aber wurde es lebendig auf dem Schloßhofe. Der Rittmeister stand schon an einem der Fenster des nach dem Hofe und zu ebener Erde gelegenen Zimmers und schaute hinaus.

„Bannhart kommt, bringt Nachrichten.“

Die beiden Barone waren aufgesprungen, während die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_073.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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