Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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entschuldigend ein, „daß ich Ihnen die stille Morgenstunde verleidet hatte. Hätte ich ahnen können, daß ich Sie vertreiben würde. …Aber es ist einmal geschehen, und nun trifft sich’s ja sehr gut, da ich wegen der Störung schnell um Verzeihung zu bitten im Stande bin und gleichsam die Vorstellung im Voraus abgemacht habe.“ Er deutete auf den Malkasten und das Glas. „Täusche ich mich nicht, so wollten Sie eben die Probe machen, ob mein Vorschlag wegen der dämmerigen Abendstimmung, der roth angehauchten Wolke und der Mondsichel in Farben ausführbar sei. Sie werden es nur nicht zugeben wollen.“
Irmgard zog die Lippe zwischen die Zähne. „Die Aufgabe reizte nach allerdings,“ sagte sie ein wenig trotzig, „und da ich lediglich zu meinem Vergnügen zeichne und male, so ist auch der kühnste Vergleich nicht zu kühn zu nennen.“
„Das will sagen, daß ich mich nicht im mindesten darum zu kümmern habe,“ bemerkte Harder mit einer feierlichen Verbeugung. „Gut! Ich werde abwarten, bis Sie selbst mir das wohlgelungene Blatt vorlegen.“
„Das wird nie geschehen,“ schwebte ihr auf der Zunge, aber sie hatte doch nicht den Muth es auszusprechen. Es war in seiner Art etwas Bestimmtes und Zuversichtliches, das seinen Eindruck nicht verfehlte.
Die Bauzeichnungen wurdet nun durchgesehen. Harder konnte mehrere Entwürfe zur Auswahl vorlegen; er hatte auch ältere Pläne mitgebracht, die sich leicht für den jetzigen Zweck umarbeiten ließen, wenn der Stil den Damen zusagte. Da zeigte sich nun aber sehr bald, daß Mutter und Tochter einen sehr verschiedenen Geschmack bekundeten. Frau von der Wehr gab dem Zierlichen und Gefälligen, Irmgard dem Bedeutenden und Imposanten den Vorzug; während die Mutter ein Haus wünschte, das schon in seinem Aeußeren den armen Kranken recht wohnlich erscheinen möchte, dachte die Tochter weit mehr an das Monument, das dem Andenken ihres Vaters zu setzen sei. Der Architekt, der wieder nur die würdigste Bethätigung seiner Kunst im Sinn hatte, trat Irmgard bei und hatte seine Freude daran, daß das Fräulein schließlich gerade den Entwurf als ihre Wahl bezeichnete, der ihm selbst der liebste war. Er konnte sich nicht enthalten, dies in seiner geraden Weise offen auszusprechen, und Irmgard schien darin sehr befriedigt ein Anerkenntniß ihres guten Geschmacks zu sehen.
Es handelte sich aber denn doch nicht nur nur die Façade, sondern wesentlich auch um die innere Einrichtung, und hier wurde es beiden Damen sehr schwer, sich aus den Grundrissen eine sichere Vorstellung zu machen. Frau von der Wehr meinte endlich, eine Entscheidung sei im Augenblick nicht zu treffen, sie wolle ihren Vetter, Rath Pfaff, benachrichtigen und zu einem Besuch einladen, damit er ihnen Beistand leiste. Ob Harder sich nicht ein paar Tage von den Strapazen der Reise hier erholen wolle? Er versicherte, daß er gern auf ein paar Wochen bleibe.
Frau von der Wehr lud ihn zu Mittag ein. Er sagte unter einer Verbeugung dankend zu.
„Das Beste ist, daß man alle Mahlzeiten hier im Freien einnimmt,“ meinte Irmgard. „Man lebt eigentlich nur im Zelt.“
„Und deshalb werde ich bitten müssen, das Zelt zu räumen,“ setzte die Mutter hinzu, „damit uns der Tisch gedeckt werden kann. Vielleicht zeigt Irmgard Ihnen indessen ein Stück unserer prächtigen Haide.“
„Ich bin bereit,“ sagte das Mädchen, das nun alle Befangenheit verloren hatte, sie lief in’s Haus nach ihrem Strohhute und winkte ihm zu folgen.
„Aber Sie kennen unsere Haide wohl schon?“ fragte sie, als sie auf den sanft ansteigenden Sandweg hinauskamen. „Wenn ich Sie heute früh recht verstand, sind Sie vor längerer Zeit einmal in dieser Gegend gewesen?“
„Freilich – vor längerer Zeit,“ antwortete er zögernd, „und ich war damals auch auf der Rauschener Haide, aber sie wird mir heute ganz neu sein.“
Sie wandte ihm das Gesicht zu und sah ihn mit aufmerksamen Augen an. „Warum?“
Er hielt den Blick tapfer aus. „Weil Sie meine Führerin sind. Haben Sie nicht schon selbst die Erfahrung gemacht, mein Fräulein, daß die Gesellschaft, in der wir einen Ort besuchen, für den Eindruck bestimmend ist?“
Sollte das eine Schmeichelei sein? Es klang gar nicht wie eine solche, und eine Ablehnung wäre daher ungeschickt gewesen. Aber sie fühlte doch auch, daß er nicht nur eine allgemeine Bemerkung zum Besten geben wollte; sie senkte die Augen und gab dem Gespräch rasch eine andere Wendung. „Von unserem Zauberwald wissen Sie sicher nichts,“ sagte sie schalkhaft lächelnd.
„Nicht das Mindeste.“
„Wir nennen ihn so, weil er sich wundersam schwer finden läßt. Wir haben ihn manchmal schon vergebens gesucht, und doch ist er ganz in der Nähe. Diese Sandstreifen zwischen dem Haidekraut sehen aus wie Wege und sind es doch nicht; sie kreuzen einander hinter jedem dieser kleinen Hügel, die gerade hoch genug sind, die Aussicht zu versperren, und schlägt man die falsche Richtung ein, so findet man sich gar nicht wieder zurecht, bis man die See unter sich hat. Aber heute verirre ich mich gewiß nicht.“
„Ein Wald, sollte ich meinen, könnte sich hier doch nicht verstecken.“
„Es ist eben ein ganz kleiner Wald. Er besteht aus lauter reizenden jungen Fichtenstämmchen. Und ein so köstlicher Duft von Harz und Thymian –!“
Sie führte ihren Begleiter sehr zuversichtlich die Kreuz und Quer, bis sie nach einer Weile einen lang hingestreckten Sandhügel vor sich hatten. Nun wurde sie plötzlich stutzig.
„Ich bin doch wieder falsch gegangen,“ sagte sie mit einem Anflug von Verdrießlichkeit. „Es ist wahrhaftig ein Zauberwald – er läßt sich nicht finden, wenn man ihn sucht.“
Der Architekt proponirte, auf den Sandhügel zu steigen; von dort müsse man doch eine Ueberschau haben. Sie folgte zwar, schüttelte aber den Kopf.
Man befand sich hier mitten auf der Haide. Bei weiteren Suchen nach dem Zauberwalde geriethen sie bald auf den Badeweg ungefähr an der Stelle, wo man durch eine tiefe Einsenkung eine reizende Aussicht über den waldumsäumten Wiesengrund hinter dem Mühlenteiche hat.
„Auch das ist ein lohnendes Ziel,“ meinte Harder.
„Aber es bleibt doch ärgerlich, wenn man fehl geht,“ schmollte das hübsche Mädchen. – –
„Bei Tische kam die Rede auf die Kapurnen. Ich möchte für mein Leben gern einmal das Innere einer solchen Grabstätte sehen,“ sagte Irmgard.
„Man könnte ja einen dieser Hügel öffnen,“ schlug der Architekt vor.
„Ach, die dort auf der Haide sind längst ausgeraubt.“
„Sie liegen auch gar zu offenkundig am Wege. Sollte man nicht an einsameren Orten –“
„O, ich glaube zu wissen, wo sie zu finden sind. Wenn man das Buchenwäldchen links an der Gausup durchstreift, trifft man Hügel von derselben Form und sicher von Menschenhand aufgeschüttet. Die Haide mag sich früher da hinein erstreckt haben.“
„Laßt die Todten ruhen!“ sagte Frau von der Wehr feierlich und mit fast finsterem Ausdrucke.
„Die Todten ruhen nicht, Mutter,“ antwortete Irmgard. „Was von ihnen hier zurückbleibt, ist wirklich nur ein Häuflein Asche; wer sie geliebt hat, mag auch diesen irdischer Rest mit treuer Sorge hüten; ist ihr Andenken ausgelöscht, so mag auch Erde wieder zu Erde werden. Sie selbst haben ja doch das ewige Leben.“
Frau von der Wehr antwortete nicht, aber die kleine Falte auf der Stirn furchte sich tiefer, und das Auge blickte eine Secunde lang wie umflort in’s Weite. Harder merkte wohl, daß hier auf der einen wie auf der anderen Seite religiöse Vorstellungen und Erinnerungen wirksam waren, die geschont sein wollten, und hielt deshalb seine Meinung zurück.
Am Nachmittage meinte Frau von der Wehr, sie habe dem Gaste zu Ehren an eine Fahrt nach der Försterei gedacht; man könnte ja im Buchenwäldchen den Wagen halten lassen und eine Strecke zu Fuß gehen. Das gefiel Irmgard, und Harder erklärte, daß er sich den Damen heute und alle Tage völlig zur Verfügung stelle.
Die kleinen Pferde des Bauernfuhrwerks erwiesen sich auf den Sandwegen als tüchtig und ausdauernd, und die Kapurnen wurden glücklich gefunden; Harder merkte sich die Stelle genau,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_076.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)