Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1878) 096.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Reichspfennige wäre übrigens, wenn hier keine poetische Licenz obgewaltet hat, ein ganz außerordentlich billiger Marktpreis, jedenfalls eine locale Berliner Notirung, denn z. B. in Hamburg hat Schreiber dieser Zeilen stets bedeutend höhere Ansätze zahlen müssen. Fünf Pfennig etwa kostet daselbst der kleine, acht bis zehn Pfennig der große, „schöne“ Bückling. Auserlesene Exemplare im Frühjahre werden von den Leckermäulern der Hansestadt selbst mit zwanzig bis fünfundzwanzig Pfennig das Stück gern bezahlt.

Wenn der Durchschnittspreis im Inlande erheblich billiger ist, so mag das daran liegen, daß nur der frischgeräucherte Bückling, wie man ihn in Nordalbingien direct aus der Räucherei erhält, eine Delicatesse ist, die auch an den feinsten Tafeln Liebhaber findet. Schon vierundzwanzig Stunden später hat er an Wohlgeschmack bedeutend verloren, wird daher von der „wohlsituirten Minorität“ im Inlande meistens verschmäht und muß zu niedrigeren Preisen an die ärmeren Classen losgeschlagen werden.

Um so großartiger gestaltet sich aber eben durch den qualitativen Verlust seine Betheiligung an der Mission des Härings: den Segen der Ernte des Meeres bis in die entlegenste Hütte zu tragen, und auch auf diese Erscheinungsform des unschätzbaren Faches paßt Brehm’s Ausspruch: „Die Bedeutsamkeit der Fische für den Haushalt des Menschen läßt sich mit dem einzigen Worte Häring verständlich genug ausdrücken. – Wenn irgend ein Fisch es verdient, Speise des Armen genannt zu werden, so ist es dieser, welcher, auch dem Dürftigsten noch käuflich, in gar vielen Häusern die Stelle des Fleisches vertreten muß. Es giebt keinen, welcher unentbehrlicher wäre, welcher größere Beachtung und Theilnahme verdiente, als er.“

Die hat er denn auch gefunden. Ueber den Häring in seiner ursprünglichen Gestalt, über Naturgeschichte, Fang, Einsalzung, Verpackung etc. dieses Fisches, seine medicinische Wirkung bei derjenigen Alkoholvergiftung, welche man als Katzenjammer zu bezeichnen pflegt, sowie über seine Bedeutung als Handelsartikel ist bereits so viel geschrieben worden, daß wir das Wesentlichste als allgemein bekannt voraussetzen dürfen und sofort zu der Wandelung übergehen können, welche den „gemeinen Häring“ (Clupea Harengus L) zum „Kieler Bückling“ werden läßt.

Nur über die Abstammung der letzteren Bezeichnung mag noch kurz dasjenige bemerkt werden, was gleichfalls wohl den meisten unserer Leser schon bekannt: Bückling ist selbstverständlich von einpökeln (bökeln) abgeleitet, welches Wort auf den biederen holländer Fischer Willem Beukelson (Böckel) zurückzuführen ist, der gegen Ende des 14. Jahrhunderts starb, nachdem er sich durch die nach ihm benannte Erfindung des Einsalzens der Fische unsterbliches Verdienst erworben. Das ist durchaus ernst gemeint, denn bis dahin blieb die gesammte Fischerei in der Kindheit, da nur die Küstenländer von ihrem Ertrage profitirten; erst als auch das Binnenland zum Absatzgebiete wurde, nahm sie enormen Aufschwung.

Was die nähere Bezeichnung als „Kieler Bücklinge“ betrifft, so geht es hiermit ähnlich wie mit den Havannacigarren und dem Mokkakaffee. Kiel ist eine der Städte, welche die feinsten und zartesten Bücklinge versenden, und hat weit und breit das bezügliche Renommée; viele Käufer verlangen daher vorzugsweise Kieler Waare, und so wird ihnen denn unter diesem Namen das Product aller benachbarten Orte verkauft. Ja, es mag hiermit ebenso gehen, wie mit den Cigarren, die aus der Pfalz nach der Havanna exportirt werden, nun von dort als „echt“ wieder „importirt“ zu werden. Höchst wahrscheinlich wird mit mancher Partie Bücklinge ebenso verfahren, und ganz bestimmt wissen wir von den gleichen Wanderungen seines Gattungsverwandten, des „Sprott“ (Sprotte, harengulus sprattus), denn alle Welt verlangt und kauft „Kieler Sprott“, aber Hunderttausende und aber Hunderttausende in der Elbe und Nordsee gefangener Breitlinge werden nach Kiel gesandt, um von dort als echte Kieler Sprott wieder zur Ausfuhr zu gelangen. Das kann um so leichter geschehen, als nur sehr feine Zungen den Unterschied zwischen der echten und der untergeschobenen Waare merken.

Jedenfalls steht fest, daß das, was im deutschen Inlande als Kieler Bücklinge verkauft wird, größtenteils nicht aus Kiel stammt. Die Kieler Räuchereien produciren sehr ansehnliche Quantitäten, aber ebenso bedeutend sind die Räuchereien in Lübeck und Hamburg, wie denn auch in einer langen Reihe von Städten Schleswig-Holsteins und Hannovers im Großen geräuchert wird; nicht einmal ausschließlich die Küstenstädte betreiben diesen Erwerbszweig, und so ist z. B. in Neumünster eine ansehnliche Räucherei, desgleichen in Lüneburg. Bemerkt sei hier, daß der besondere Ruf des Kieler Products auch mehr im Inlande verbreitet ist, als im Norden, z. B. in Hamburg hat der Name der Lübischen Bücklinge einen wohl ebenso guten Klang, und hört man die Waare oft als solche anpreisen. – Die in der Schlei bis Schleswig gefangenen Häringe sollen die besten Bücklinge geben. – Die eigentliche Stadt Kiel befaßt sich, wie hier noch gesagt werden muß, hauptsächlich mit dem Vertriebe, weniger mit dem Räuchern selbst, welches vornehmlich in dem ihr benachbarten freundlichen Fischerdörfchen Ellerbeck, wohl fast jedem Besucher Kiels bekannt, beschafft wird.

Was den Proceß des Räucherns anbelangt, so hatten wir das Vergnügen, einen erfahrenen Räucherer zu „interviewen“ und von ihm Folgendes zu erfahren.

Unser Gewährsmann nahm zunächst das diesen Artikel beigegebene Bild, von dem wir ihm einen Abzug avant la lettre vorlegen konnten, mit großem Interesse in Augenschein und sprach sich so äußerst befriedigt darüber aus, daß der Zeichner seine Freude am Zuhören gehabt haben würde.

„Sehen Sie,“ sprach der Kritiker, der in diesem Falle gewiß so zuständig war, wie der bekannte Besucher des Apelles, „das ist getreulich nach der Wirklichkeit und das sind unsere Fischersleute, wie sie leiden und leben. Da ist nichts vergessen, selbst die Enten nicht, die um den Fischabfall lungern.“

Uebrigens kann auch der Schreiber dieser Zeilen bestätigen, daß das Bild, abgesehen von der hübschen Auffassung, an realistischer Treue nichts zu wünschen übrig läßt. Mit dem Costüme der Fischer auf Maskeraden hat die Tracht der guten Ellerbecker nicht die geringste Aehnlichkeit. Es ist ein kerniges, kräftiges Geschlecht, das der Ost- und Nordseefischer, welches Deutschlands junger Flotte den Stamm trefflicher Seeleute sichert; ihr Wahlspruch ist: „Mehr Sein als Schein“; von Flitter und Putz wollen sie nichts wissen. Mit ihrem Beruf vertragen sich auch besser die gestrickte wollene Jacke und Mütze des Mannes, die „holten Tüffeln“ (Holzpantoffeln) des Ehepaares oben im Hause und die „Krempers“ (Krempstiefel) und „Südwester“ (wasserdichten Hüte), welche die Fischer unten auf dem Bilde tragen und die daneben und oben ihrer Wichtigkeit halber noch besonders dargestellt sind. Von den trophäenartig arrangirten Fischereigeräthschaften an beiden Seiten des Bildes bedürfen die meisten keiner Erläuterung; nur des schiffchenartigen Apparates sei gedacht, der rechts vom Beschauer über dem Netze, neben dem „Ketscher“ (Handnetz), der Oeljacke und den geräucherten Flundern hängt. Das Ding, dessen Größenverhältniß zu den übrigen Geräthen ein ganz richtiges, ist ein sogenannter „Jäger“; es dient zur Aufnahme von feinen Fischen als Schnepel, Resen etc., die möglichst lange am Leben erhalten werden sollen, um recht frisch auf den Markt zu kommen. Dieselben wandern daher sofort nach dem Fange in den „Jäger“, der hinten am Fahrzeuge angebunden wird und durch zahlreiche Löcher den Gefangenen fortwährend frischen Vorrath des ihnen unentbehrlichen Elemente zuführt.

Doch zurück zu unserm Gewährsmann!

„Der Hauptfang,“ erzählte er, findet bei Korsoer statt. In der Kieler Bucht werden gewöhnlich kleinere, sehr feine Häringe in geringerer Anzahl gefangen; bei Korsoer fischt man die großen Quantitäten. Von dort bringt der Dampfer die Häringe nach Ellerbeck, wo sie des Morgens um halb fünf Uhr anlangen. Zuerst werden sie ausgenommen (die Eingeweide entfernt) und dann in Kisten gesalzen, die etwa vier bis fünf „Wall“ fassen. Der Wall ist das Maß für Häringe und Sprotten, nämlich achtzig Stück. Auch in den Handel gehen die Bücklinge nach Wall, das heißt in Kiel und in den meisten übrigen nordischen Städten; nach dem Binnenlande wird in Kilogrammen gehandelt, besonders im Großhandel. – Im Salz bleiben die Fische etwa vierundzwanzig Stunden.

Das Salzen, sei hier aus anderer Quelle eingeschaltet, geschieht auch auf folgende Weise. Wenn das am Abend vorher ausgeworfene Netz am Morgen mit den gefangenen Häringen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_096.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)
OSZAR »