Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1878) 647.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


daß er in diesem Federkriege eine Niederlage erlitten hat. Daß ihm selbst nicht ganz wohl dabei war, verrieth seine leidenschaftliche persönliche Sprache im „Offenen Briefe“, die ihm sonst, auch in der Rede im Schützenhause, so fern lag.

Aber noch weit peinlicher als dieses Anwachsen gegnerischer Kräfte mußte ihm sein der sichtliche Zerfall der Disciplin und Einigkeit im eigenen Lager.[1] Das Aergste geschah durch einen gewissen Jäkel, welcher damals die Rolle eines Dictators der sächsischen Volkssouveränetät spielte und an Robert Blum schrieb: „Lieber Blum! Nur wenige Worte. Daß Du nebst Günther mit Ablauf dieses Quartals von der Redaction der ‚Vaterlandsblätter‘ zurücktrittst, wird hier allgemein (!) erwartet. Das Blatt ist zu scheußlich, zu charakterlos. Unzählige (!) Schreiben, die bei dem Centralausschusse aus der Provinz eingegangen, sprechen ihre Verwunderung darüber aus, wie Eure Namen noch auf diesem reactionären Blatte stehen können.“

Es würde unbegreiflich erscheinen, daß ein Robert Blum sich dazu herbeiließ, diesen Zumuthungen und unverlangten Rathschlägen Folge zu leisten, wenn damals bei ihm und seinen Parteigenossen in Frankfurt nicht der unselige Gedanke zum Durchbruch gekommen wäre, mit Hülfe des radikalen Particularismus die monarchische preußische Majorität in Frankfurt zu bekämpfen. Energisch warnten ihn Leipziger Freunde. Mehr noch als die überzeugende Darstellung treuer Freunde hatte aber inzwischen bei Blum einen Umschwung der Meinung jene unselige Katastrophe bewirkt, welche wir heute in unserer Erinnerung als die Frankfurter Septembertage zusammenfassen.

Hans Blum.




Blätter und Blüthen.

Die Judengasse in Wien. (Mit Abbildung S. 645.) „Jedes Land hat die Juden, die es verdient“ – das ist ein in der jüngsten Zeit ziemlich populär gewordenes Wort, und es wird vielleicht sogar über kurz oder lang Herrn Büchmann, dem geistvollen Sammler und Erklärer der „geflügelten Worte“, verfallen sein. Es ist aber auch ein gutes und ein treffendes Wort, darum dürfte der Eifer so groß sein, mit welchem K. E. Franzos[WS 1], der rasch beliebt gewordene Novellist und Sittenschilderer der osteuropäischen Juden, die Urheberschaft desselben für sich in Anspruch nimmt. In der That können Lage und Art der Juden innerhalb eines Staates als Culturgradmesser desselben betrachtet werden, insofern wir eine Nation als um so entwickelter betrachten dürfen, je weniger man von einem specifisch-orthodoxen Judenthum innerhalb derselben wahrnimmt. Fassen wir einmal die Stellung in’s Auge, welche die Juden in Amerika, in England, selbst in Frankreich einnehmen, so haben wir es in allen diesen Ländern durchgängig nur immer mit Amerikanern, mit Engländern, mit Franzosen zu thun. Daß Leute dort zufällig auch Juden sind, das schafft ihnen keine Ausnahmestellung. Ganz so weit sind wir in Deutschland und in Oesterreich noch nicht, noch viel weniger in Rußland, Rumänien etc. Aber, wird man einwenden, die gesetzliche Gleichberechtigung ist ja längst fast überall schon ausgesprochen worden. Das ist allerdings richtig, aber ebenso richtig ist es, daß das volle Bewußtsein davon noch keineswegs überall ganzen Kreisen der Bevölkerungen so in’s Bewußtsein gedrungen ist, daß sie diese Gleichstellung als etwas ganz Natürliches und Selbstverständliches zu betrachten vermöchten. Erst wo letzteres in vollem Maße der Fall ist, können sich die Juden mit der übrigen Bevölkerung verschmelzen, und dann erst schleifen die noch zurückgebliebenen Elemente derselben auch ihre besonders in die Augen springenden, nicht immer sehr sympathischen Eigenthümlichkeiten ab. Dann erst gehören sie der Nation, unter welcher sie leben, vollständig an, und auf welche Weise sie dann selig zu werden hoffen, das bleibt im Ganzen und Großen für das Gemeinwesen gleichgültig.

Was speciell Oesterreich betrifft, so sind, wie gesagt, die Juden hier noch keineswegs so mit der übrigen Bevölkerung verschmolzen, daß ihnen nicht in vieler Beziehung eine besondere Ausnahmestellung zufiele. Nichts desto weniger vollzieht sich, wenn auch nur langsam, der Verschmelzungsproceß, durch welchen schließlich doch eine Ausgleichung erfolgen wird. Es wäre kurzsichtig, daran zweifeln zu wollen, weil dieser Proceß bisher noch so wenig Resultate zu Tage gefördert hat. Vergesse man doch nicht, daß in Oesterreich eine dem liberalen Zeitgeiste entsprechende Wendung der Dinge und also auch eine Erlösung der Juden aus crassester Bedrückung überhaupt erst seit 1848, also seit relativ sehr kurzer Zeit im Zuge ist. Daß die Ausgleichung in Wien selbst am ehesten erfolgen wird, erklärt sich aus den Verhältnissen einer Großstadt leicht. In der raschlebigen Reichshaupt- und Residenzstadt hat das Judenthum noch zehnmal rascher gelebt und zehnmal so viel erlebt, wie die übrige Bevölkerung.

Unter Karl dem Sechsten durfte kein Christ einem Juden ein Nachtquartier bieten, und da es doch manchmal vorkam, daß Juden sich in Christenwohnungen aufzuhalten vermaßen, erließ der Kaiser ein Patent, nach welchem jeder christliche Hauseigenthümer oder Inwohner, der einem Juden auch nur über Nacht Unterstand geben würde, „mit einer unnachlässigen Strafe pr. Eintausend Reichs-Thaller beleget werde, so auch mit allem Ernste von ihnen eingetrieben werden solle“. Unter Maria Theresia erging es den Juden in Wien nicht besser. Sie mußten, wenn sie den Schutz der Gerichte anriefen, doppelte Gerichts- und Kanzleitaxen bezahlen; sie durften an christlichen Feiertagen, deren es damals sehr viele gab, während des Gottesdienstes nicht auf die Straße sehen, geschweige denn sie betreten. Sie durften nur in bestimmten, ihnen zugewiesenen Häusern und Straßen wohnen, mußten die Erlaubniß, Wiener Luft einathmen zu dürfen, mit schwerem Gelde bezahlen, und mußten sich den Abscheu und die Verachtung nicht nur des Volkes, sondern auch der Regierung selbst gefallen lassen. Wird doch erzählt, daß die große Kaiserin, als sie einmal nicht umhin konnte, einem Juden eine Audienz zu gewähren, sich während der Audienz, bei welcher es sich um das Wohl und Wehe von 10,000 Prager Juden handelte, hinter eine spanische Wand versteckte. Dieser Wand hatte der Jude seine Bitten vorzutragen, denn die Kaiserin wollte nicht, daß ein Jude sie auch nur ansehe.

Wie eine Erlösung mußten daher diese von roher Beschränktheit, von unmenschlichem Fanatismus und nimmersatter Hab- und Aussaugungssucht herabgedrückten Menschen das von Kaiser Joseph dem Zweiten am 8. Januar 1782 erlassene Toleranz-Edict begrüßen. Freilich war der Zeitgeist des vorigen Jahrhunderts auch in seinen erfreulichsten Aeußerungen noch immer anders geartet, als er es heute ist, und daß die Judenschaft Oesterreichs von diesem kaiserlichen Patente so hoch beglückt ward, spricht nur dafür, unter wie furchtbarem Drucke sie vorher zu leiden hatte. Der erste Paragraph des Toleranz-Edictes beginnt mit den Worten: „Zwar geht unser höchster Wille keineswegs dahin, der in Wien wohnenden Judenschaft in Beziehung auf die äußere Duldung eine Erweiterung zu gewähren –“; es wird ferner in demselben Absatze das Verbot erneuert, nach welchem die Juden keinen öffentlichen Gottesdienst, keine Synagoge, keine Buchdruckerei halten durften. In den weiteren Paragraphen wird verordnet, daß „dort, wo niemals Juden ansässig gewesen, auch künftig keinen sich ansässig zu machen zustehen soll“, daß ohne obrigkeitliche Bewilligung kein Jude aus der Provinz nach Wien kommen dürfe; wollte ein ausländischer Jude nach Wien, so mußte er erst dem Kaiser selbst eine Bittschrift einsenden.

Ein Gewerbe zu betreiben, wurde den Juden zwar nunmehr verstattet, aber vom Bürger- und Meisterrecht sollten sie ausgeschlossen bleiben. Man sieht, noch immer hatten sie unter einem harten Drucke zu leben, und doch war die neue Stellung, die ihnen der „Schützer der Menschheit“ angewiesen hatte, eine menschenwürdige im Vergleiche zu der ihnen bis dahin eingeräumten. Sie konnten jetzt überall in der Stadt Wohnungen beziehen; die doppelten Gerichtstaxen für sie waren abgestellt; sie durften sich Schulen gründen und Lehrer halten; der Leibzoll, den die fremden Juden zu entrichten hatten, wurde aufgehoben; sie durften nun auch an Sonn- und Feiertagen ungehindert die Straßen betreten und hatten noch dergleichen „Rechte“ mehr, die sich allerdings im Lichte der heutigen Zeit etwas eigenthümlich ausnehmen. Sofort nach dem Tode Kaiser Joseph’s des Zweiten erhob die Reaction wieder ihr Haupt, und am 30. October 1790 erschien denn auch schon eine wahrhaft monströse Juden-Verordnung, die alle liberalen Bestimmungen des sogenannten Toleranz-Edictes illusorisch machte. Aber schon warf die Sonne der neuen Zeit ihre ersten Strahlen herein und verscheuchte brutale Inhumanitäten und Ungerechtigkeiten. Ein halbes Jahr später wurde jene Verordnung wieder außer Kraft gesetzt, und noch ein Jahr später wurde sogar verordnet, daß dieses Gesetz aus der Hofgesetz-Sammlung vollständig zu streichen sei.

Bis zu dem Sturmjahre 1848 dauerte die Periode der „Toleranz“, und es war das keine beneidenswerthe Periode. Denn die Juden waren bis dahin in Oesterreich eben nur geduldet, und das unter den mannigfachsten Verclausulirungen. Bei der Polizei gab es noch ein besonderes Judenamt, wo die Taxen bezahlt und die Erlaubnißscheine zum Aufenthalte in Wien ausgefolgt wurden. Es gab im Jahre 1847 nicht einmal 200 geduldete Judenfamilien in Wien.

Werfen wir nun nach alledem einen Blick auf die heutigen Verhältnisse des Judenthums in der österreichischen Hauptstadt, so erscheint Alles wie durch Zauberei verwandelt. Ueber 50,000 Juden leben in Wien, und sie zeichnen sich hier keineswegs blos durch den Reichthum vieler ihrer Mitglieder aus, durch den großartigen Besitzstand derselben in einer Stadt, wo sie vor kurzer Zeit noch keinerlei Grundbesitz haben durften, sondern vielfach auch durch Bildung und Bildungsstreben, sowie namentlich durch ihre imposanten Gemeindeanstalten, ihre schönen Cultuseinrichtungen, ihr vortrefflich geordnetes, in Kirche und Schule dem Fortschritte zugeneigtes Gemeindeleben. Auf allen Gebieten des Handels, der Gewerbe und der schönen Künste haben sie sich hervorragende Plätze und im öffentlichen Leben eine Position errungen.

Dennoch giebt es inmitten aller dieser neugewordenen Verhältnisse einen Punkt des Wiener Straßenlebens, der lebhaft an ein Stück des altwienerischen Judenthums erinnert. Wie Prag seine Judenstadt, Frankfurt seine Judengasse hat, so findet sich auch in der bis zur höchsten Eleganz verjüngten Hauptstadt Oesterreichs noch solch’ ein charakteristisches und malerisches Judenrevier. Da der Strom der fortschreitenden Zeit alle derartige Erinnerungen unbedingt früher oder später auf Nimmerwiedersehen hinwegspülen wird, ist es gewiß den Lesern draußen von

  1. Dieser mehr localen, auf die Vaterlandsvereine in Sachsen beschränkten Kämpfe wird der Herr Verfasser in seiner ausführlichen Lebensgeschichte Robert Blum’s den nöthigen Raum anweisen. Hier konnten wir nur das erwähnen, was auch außerhalb Sachsens Interesse hat.
    Die Redaction.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: R. E. Franzos
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_647.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2019)
OSZAR »