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Seite:Die Gartenlaube (1878) 669.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Lumpenmüllers Lieschen.
Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


2.

Am folgenden Morgen stand Army mit sonniger heiterer Miene vor der Großmutter: er hatte ihre Verzeihung erhalten. Zwar zuckte sie lächelnd die Schulter, als er ihr seine Ansicht aussprach, daß die noch unbekannte Blanka ja mit erben könne. „Du bist ein Phantast, Army,“ sagte sie scherzend, widersprach ihm aber nicht, sondern deutete mit der schlanken Hand auf ein Tabouret zu ihren Füßen. „Setz’ Dich! Ich habe Dir noch Einiges mitzutheilen, bevor wir scheiden.“

Die Zimmer der alten Dame hatten ihre luxuriöse Einrichtung behalten und machten auf den ersten Anblick einen beinahe prächtigen Eindruck. Wer genauer hinsah, bemerkte wohl, daß die Farben des schweren purpurrothen Stoffes verblichen und die Seide hin und wieder gebrochen war, aber trotzdem verliehen die Vorhänge an Thür und Fenstern, die zierlichen Palissandermöbel, der große Smyrnaer Teppich dem Zimmer einen beinahe üppig eleganten Charakter. Von den Wänden schauten aus goldenen Rahmen heitere italienische Landschaften; diese Bilder waren Erinnerungen an glückliche Tage, welche die Baronin als junge gefeierte Gräfin Luja in Venedig und Neapel verlebt hatte, und in diesen Erinnerungen vergaß sie die trostlose Gegenwart.

„Ueber Dein Verhalten gegen Tante Stontheim brauche ich Dir keinen Wink zu geben, Army,“ begann sie, eng die gestrige Klippe vermeidend. „Du wirst Dich ja zu benehmen wissen; sag’ ihr meine innigsten Grüße, und ich wäre eine alte, müde Frau geworden.“

„Diese Bestellung muß ich ablehnen, Großmama,“ sagte Army galant, „unmöglich kann ich mein Gewissen mit einer Lüge belasten.“

Die alte Dame lächelte geschmeichelt, und ihm einen leichten Streich auf die Wange gebend, bemerkte sie: „Nicht ironisch sein gegen Deine alte Großmama!“

Army küßte ihr die Hand. „Und was hat mir Großmama noch zu sagen?“

„Ja richtig, ich muß Dich noch vor etwas warnen. Du trittst sehr jung in’s Leben und hast das leidenschaftliche Blut meiner Vorfahren geerbt. Genieße Deine Jugend nach Herzenslust, aber hüte Dich vor einer ernsthaften Neigung! Es muß sich Vieles in der vereinigen, die Du einst heimführst, alte Familie und Vermögen, Army, viel Vermögen; es ist einer der wenigen Wege, die Dir offen stehen, den gesunkenen Glanz Deines Hauses wieder aufzurichten. – So, und das wäre Alles,“ schloß sie, „und wenn Du versprichst, mir mitunter zu schreiben, so hätten wir uns weiter nichts zu sagen.“

Der junge Officier lächelte.

„Gewiß, Großmama, ich schreibe bald, denn ich werde viel Zeit haben, und ängstige Dich nicht! An’s Heirathen kann ich doch unmöglich schon denken; ich bin erst achtzehn Jahre gewesen.“ Er lachte laut auf; es war auch keine Spur mehr von dem gestrigen Schatten in dem heiteren Gesichte. „Darf ich Dir jetzt Adieu sagen, Großmama?“ fragte er, „ich möchte noch einmal in den Ahnensaal hinaufgehen, um der schönen Agnese Mechthilde einen Abschiedsbesuch zu machen. Sieh, Großmama, da kann ich Dir gleich eine Beruhigung geben,“ fügte er hinzu, „wenn ich nicht ein Mädchen finde, die ihr ähnlich sieht, dann heirathe ich überhaupt nicht, denn sie ist mein Ideal einer Frau.“

„Du meinst die Mechthilde mit den rothen Haaren?“ fragte ganz erstaunt die alte Dame.

„Ja!“ nickte der Enkel. „Ich habe eine Schwäche für rothes Haar. Apropos, Großmama – darf ich das alte Buch behalten, das Du gestern Abend mit hinunter brachtest?“

„Gewiß, es ist eine Familienchronik, und ich hatte sie für Dich bestimmt.“

„Danke tausendmal! Auf Wiedersehen zu Mittag!“ Er küßte ihr die feine Hand, und gleich darauf schlossen sich die rothen Falten des Thürvorhanges hinter ihm.

Ein Liedchen pfeifend, schritt er den Corridor entlang und stand bald im Ahnensaal vor dem Bilde der schönen Agnese Mechthilde. Von dem dunkel gehaltenen Hintergrund hob sich der zierliche Kopf fast plastisch ab; üppiges goldenes, beinahe röthliches Haar barg sich, von der weißen Stirn zurückgestrichen, unter einem Häubchen von Silberstoff. Unter dieser Stirn, unter den scharf gezeichneten Brauen, die seltsam contrastirten mit dem hellen Haar, blickten große dunkle Augen hervor, mit dem Ausdruck eines tiefen unergründlichen Schmerzes sahen sie den Beschauer an, so träumend, so leidversunken, als suchten sie ein verlornes Glück. Es webte ein mattes Dämmerlicht in dem großen Raume. Army zog den Vorhang des zunächst liegenden Fensters zurück, und nun flutheten die Strahlen der kalten klaren Wintersonne über die rothen Haare des schönen Weibes; es schienen goldene Fäden darin aufzusprühen, und wieder übten die Augen auf ihn den alten Zauber, diese träumenden, so unergründlich schmerzlichen Augen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 669. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_669.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2016)
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