Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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mattes Gelb färbte noch den Horizont; die Fenster des alten Schlosses blickten wieder so traurig wie immer hinaus in das ewige Einerlei, und in den beiden jungen Herzen bangte die Wehmuth des Abschieds; der Kuß, den sie sich am Gitterthor des Parkes zur Gute Nacht gaben, war inniger, viel inniger als sonst, und Lieschen war es, als könne sie die kleine Hand der Freundin heute gar nicht loslassen, und nun flüsterte sie noch einmal: „Gute Nacht!“
Die Lumpenmühle, wie die Papierfabrik von jeher im ganzen Umkreise genannt wurde, lag reizend zwischen hohen alten Bäumen an dem rauschenden kleinen Flusse. Das stattliche Wohnhaus mit der vergoldeten Wetterfahne auf dem spitzen Schieferdache stammte noch aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und hatte sich den Charakter der damaligen Zeit bewahrt. Die schwere eichene Hausthür mit dem blankgeputzten Messingklopfer war noch dieselbe; die vielen kleinen Scheiben der Fenster hatte noch kein neumodisches Spiegelglas ersetzt, und die geschnitzte Inschrift auf dem hervorspringenden altersgrauen Balcon verkündete, daß dieses Haus „zu Ehren Gottes Anno 1741 erbauet sei von Johann Friedrich Erving und seiner Ehefrauen Ernestine geborenen Eisenhardtin.“ Die alten Drachenköpfe an den vier Ecken des Daches waren noch immer bereit, das Regenwasser hinabzuspeien, und die grauen Sandsteinbänke neben der Hausthür unter den zwei großen Linden galten auch heute noch als der liebste Platz der Familie an schönen Sommerabenden. Ein großer Obstgarten umgab das Haus von drei Seiten mit schnurgeraden Wegen, einer schattigen Jasminlaube und vielen Johannis- und Stachelbeersträuchern; dieser Garten stand unter der besondern Herrschaft der Muhme. In der ganzen Umgegend gab es nicht solch vortreffliche Aepfel- und Birnensorten wie auf der Lumpenmühle, und der Spargel auf den sorglich gepflegten Beeten der Muhme war geradezu berühmt wegen seiner Zartheit und außerordentlichen Größe.
Wer hätte sich auch die Lumpenmühle denken können ohne die Alte? Wie gemüthlich sah sich das gleich an, wenn man über den Mühlsteg schritt, der dem Wohnhause gegenüber lag! Der alte Frauenkopf bog sich dann hinter den schneeweißen Vorhängen hervor, um den Gast mit ein Paar freundlichen hellen Augen willkommen zu heißen; die Alte schob das Spinnrad bei Seite und war so hurtig, daß sie meist den Eintretenden schon in der stets offenen Hausthür empfangen konnte mit einem freundlichen „Grüß Gott! Wie wird sich Minnachen“ – das war die Hausfrau – oder „Wie wird sich der Friedrich“ – das war der Hausherr – „freuen!“ und dann trippelte sie voran und öffnete die Thür, um den Gast in das behagliche Wohnzimmer treten zu lassen, und indem sie das gewichtige Schlüsselbund von ihrer Seite nahm, verschwand sie schleunigst in Küche und Speisekammer.
Die alte Frau lebte schon von ihrem zehnten Jahre an in der Lumpenmühle; sie war ein Waisenkind gewesen, und der Großvater des jetzigen Besitzers hatte das allzeit freundliche kleine Mädchen erzogen; so war sie die Spielgefährtin seiner beiden Kinder geworden. Sie hatte diese Wohlthat durch Treue und stete Anhänglichkeit gelohnt, hatte gute und schlechte Tage mit der Familie getheilt und war nun schon lange ein liebes Mitglied des Hauses und geradezu unentbehrlich. Die Ervings hatten sich stets ausgezeichnet durch Güte und Wohlwollen den Armen gegenüber; sie hatten die rechte Hand nie wissen lassen, was die linke that, und der Herr hatte es ihnen gesegnet, wie die Muhme so oft sagte; sie waren die reichsten Leute weit und breit.
Es hatte auf der Mühle allzeit Männer gegeben von echtem deutschem Schrot und Korn, deren Handschlag mehr galt als zehn Eide und die einen festen Willen mit Schaffensdrang und rastloser Thatkraft vereinten. Das „Bete und arbeite“ war von jeher der Wahlspruch der Familie gewesen, der den Kindern von den Eltern eingeprägt wurde. Die Mühle besaß aber noch eine Berühmtheit, die beinahe sprüchwörtlich geworden, und das war die Schönheit der Frauen und Töchter. „So sauber, als stammte sie von der Mühle“, war gang und gäbe im Dorfe, wenn man einem hübschen Mädchen ein Compliment machen wollte, und die blauen Augen der schönen Müllerskinder hatten schon seit langen Zeiten gar manch Einem Kummer und Herzweh gemacht. Die alte Mühle hatte auch viel fröhliches Leben erblühen sehen, und immer war es echte, rechte, goldene Fröhlichkeit.
Mit den Derenberg’s war immer ein nachbarliches, freundliches Einvernehmen gewesen; es waren ja beiderseitig Naturen, die sich hochachten mußten, und wenn der jeweilige Gutsherr am Mühlbach entlang ritt und der jeweilige Müller saß unter der Linde mit seiner Frau, so entspann sich immer ein freundliches Gespräch. Auch in der Noth reichte man sich die Hände, und als die Kriegsjahre von Anno 1807 bis 1813 hereinbrachen, da konnten Blutsverwandte nicht treuer zusammenhalten, als die stolzen Derenberg’s und die Ervings von der Lumpenmühle.
Als die Muhme in’s Haus kam, erblühten dem Besitzer zwei fröhliche Kinder. Das Mädchen war mit ihr in einem Alter, der Knabe um vier Jahre älter. Sie wuchs mit ihnen auf; freilich hielt die Müllerin, eine Frau, die ebenso wirthschaftlich wie fromm war, streng darauf, daß das kleine Waisenmädchen aus dem armen Tagelöhnerhause auch in ihrem Stande bliebe; sie sollte später als Magd im Hause dienen, aber Frau Erving konnte und mochte es doch nicht verhindern, daß die drei Kinder zusammen spielten und sich zwischen den beiden Mädchen eine innige Freundschaft entwickelte, die mit den Jahren immer fester wurde. Der Knabe seinerseits hielt gute Cameradschaft mit den beiden Söhnen, die drüben im Schlosse emporwuchsen und die Baronin Derenberg liebte den blondlockigen Jungen so sehr, daß sie die Eltern bestimmte, ihn an dem Unterrichte ihrer Söhne theilnehmen zu lassen. So kam der kleine Friedrich aus der Dorfschule in das Lehrzimmer des freiherrlichen Schlosses, und es hat wohl schwerlich jemals einen dankbareren Schüler gegeben.
Später, als die Derenberg’schen Söhne erwachsen waren und längst die große Tour im Auslande gemacht hatten, der Aelteste bereits das Besitzthum angetreten, das sein Vater ihm hinterlassen, und der Jüngere ein flotter Reiterofficier geworden war, auch da kamen sie immer gern einmal wieder in das alte Haus, um den Freund zu besuchen. Die kleine Lisette war indessen zur stattlichen Jungfrau herangewachsen; sie besaß die sprüchwörtliche Schönheit der Müllerstöchter in vollstem Maße und konnte mit ihren großen Augen, die so tief und blau waren wie der See in den Derenberg’schen Forsten, Jeden so herzgewinnend anschauen.
Mariechen war auch groß geworden, ein Prachtmädel, wie die Hausfrau sagte; sie sprang und sang in Küch’ und Keller umher und hatte dabei ein so neckisch – freundliches Wesen, daß man dem muntern Ding mit den rothen Wangen gut sein mußte. Sie durfte zwar jetzt die Spielgefährtin nur „Mamsell“ und „Sie“ anreden, aber heimlich kam doch das traute Lisett und Du wieder einmal über die Lippen, und gar manchen Sommerabend saßen sie eng umschlungen in der Jasminlaube dort unten am Wasser, wie sie es schon als Kinder gethan.
Und in dieser Zeit war es, wo ein schweres Geschick über die Familie hereinbrach, so schwer, daß die gebeugten Eltern es kaum zu tragen vermeinten; aus dem muntern Mariechen ward ein ernstes, stilles Mädchen; es betraf ja auch das Kleinod des Hauses, die schöne Lisett.
Das reizende Kind hatte zwar oft genug von ihrer sprüchwortkundigen Mutter den Reim gehört:
„Gleiches Gut, gleiches Blut,
Gleiche Jahre giebt die besten Paare.“
aber wie konnte sie dessen gedenken, als wirklich die Liebe in das junge Herz zog, die von Rang und Stand so gar nichts wissen will. Und sie liebte zum erstem Male mit dem reinen vertrauensvollen Kinderherzen, und die Liebe, die ihr entgegengebracht wurde, war nicht minder ernst und heilig gemeint, als die ihre. Da griff eine Hand rauh und frevelnd in das eben erblühte Glück; es war eine feine, schöne Frauenhand, aber sie riß die beiden Herzen so jäh aus einander, daß das eine seinen Wunden erlag – Lisett schloß ihre wundervollen blauen Augen nach einem kurzen, schweren Krankenlager für immer.
Von Stund an wurden alle Beziehungen zwischen Mühle und Schloß abgebrochen, und wenn die trauernde Marie den jungen Gutsherrn an der Seite seiner schönen Gemahlin drüben am Waldwege vorbeisprengen sah, dann seufzte sie wohl leise in sich hinein: „Sie ist ja aus dem leichtsinnigen Italien – wie kann sie wissen, wie einem deutschen Herzen zu Muthe ist, wenn es Jemand so recht innig lieb hat? Aber die Vergeltung schläft nicht.“ – –
Das war nun lange, lange her, und die Menschen, die damals in der Mühle gelebt hatten, waren längst todt. Marie
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_671.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)