Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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Nutz- und Brennholz um den fünften Theil der Staatsforsttaxe für sich zu beziehen. Ein Ster Brennholz wird dem Berechtigten beispielsweise zur Zeit um den Preis von einer Mark überlassen; im gleichen Verhältnisse erwirbt derselbe auch das Bauholz. Die Aufarbeitung und Abfuhr liegt natürlich dem Käufer ob, und es kostet immer noch ein hartes Stück Arbeit, bis das Holz auf den Verkaufsplatz geliefert ist.
Eine Menge von Leuten finden hierbei Beschäftigung; der ganze Sommer vergeht mit Zurichten der im Vorjahre gefällten Bäume, die, abgeästet und geschält, an geeignete Stellen geschleift werden, von wo man sie dann im Winter auf die Lagerplätze am Walchensee schafft. Von hier aus schwimmen die Stämme einzeln und partienweise in stolzer Selbstständigkeit auf dem Rücken der Jachen bis in die Isar und werden erst bei Lenggries wieder aufgefangen und in Banden geschlagen, und von dort als Flöße weiter befördert zu werden.
Die Rente, welche in Folge des Holzbezugsrechtes einzelnen Hofbesitzern erwächst, ist eine sehr bedeutende und erreicht in manchen Fällen die Höhe eines Ministergehaltes. Baares Geld ist daher in Hülle und Fülle vorhanden, und es kann als eine einzig dastehende Eigentümlichkeit erwähnt werden, daß fast jeder bedeutendere Bauer seinen diebes- und feuersicheren Geldschrank im Hause hat. Welche verhältnißmäßig große Summen oft ein solcher Arnheim birgt, geht daraus hervor, daß die Holzarbeiter der Staatsverwaltung ihre Anweisungen auf das königliche Rentamt, die sich meist in Summa auf viele Tausende belaufen, bei dem Meßnerbauer einwechseln, der dies aus purer Gefälligkeit spesenfrei besorgt und dadurch den Leuten einen weiten Marsch erspart.
Daß der Bauer sich selbst nebenbei nicht vergißt und seine Thaler springen läßt, wo es immer angeht, ist natürlich; er hält viel auf einen guten Viehstand, insbesondere auch auf stattliche Pferde, der eigenen und seiner Familie Toilette nicht zu vergessen. Die Kleidung des Männervolkes ist sehr einfach; Joppe, Hose und Weste von grauem Tuch und ein haariger grober Filzhut, der höchstens mit einer Feder oder dem Adlerflaum geziert ist, bilden den ganzen Staat desselben; als Schmuckgegenstände werden meistens nur silberne Uhrketten und Gehänge, sowie die silbernen Beschläge und Kettchen der Tabakspfeifen getragen. Das schönere Geschlecht verfährt dagegen etwas sorgfältiger und, wie allenthalben auf der ganzen Erdenrunde, auch luxuriöser. Obschon sich die Jachenauerin am Werktage mit einem kurzen groben Rocke, einer weißen Schürze, einem einfachen schwarzen Mieder und einem leichten Busentuche begnügt, erachtet sie doch an Sonn- und Feiertagen eine umfassendere Schmückung ihrer Person für absolut notwendig. Eine große seidene Schürze bedeckt alsdann fast den ganzen Unterkörper; das Mieder ist mit dem reichen silbernen „G’schnür“ verziert, welches aus einer Kette von vielen Ellen Länge besteht; die Büste wird mit einem schönen Seidentuche bedeckt, das durch eine und oft durch mehrere goldene Broschen zusammengehalten wird. Den Kopfputz bildet das spitze Filzhütchen, das je nach dem Wohlstande der Trägerin mit einer goldenen Hutschnur, welche in zwei goldene Quasten endet, mehrfach umwunden ist. Das Jachenthal darf sich im Allgemeinen eines schönen kräftigen Menschenschlages rühmen, und gehören demgemäß die Jachenauer „Deandle“ gewiß nicht zu den letzten ihres Geschlechtes in den Bergen. Der wohltuende Zug der Leutseligkeit und Zuthulichkeit, der unser ganzes Gebirgsvolk charakterisirt, ist auch den Bewohnern des Jachenthales eigen, das herzliche „Grüaß God“ schallt dem Wanderer auf allen Wegen entgegen, und meistens herrscht das vertrauliche „Du“ in der Umgangssprache vor.
In dem stattlichen Wirthshause, das sich am östlichen Ende des Dorfes präsentirt, lebt sich’s recht gut, der Wirt weiß den Bedürfnissen seiner Gäste gerecht zu werden und hat für seine besonderen Besucher ein hübsches Sommerhäuschen seinem Hause gegenüber errichtet, wo man bei heiterem Wetter Angesichts der prächtigen Scenerie gern einige Stunden verweilt. Der Bauer natürlich geht in die Stube, ob nun auch das Thermometer dortselbst dreißig Grad zeigt und die Rauchwolken sich, Nebelballen gleich, über den Anwesenden lagern; dort wird gezecht, disputirt und manchmal ernstlich gestritten; das Hausrecht wird jedoch streng gewahrt, und das entscheidende Wort des Wirthes hat noch sein Gewicht, der Gast fühlt sich aber trotzdem unbeengt und kann die paar Stunden getreu seinen Anschauungen und nach altem Herkommen verjubeln. Die freundlichen Kellnerinnen sind sich ihrer Stellung bewußt und vermögen jedem Gaste etwas Verbindliches, wenn auch in landesüblicher, derber Form zu sagen, sodaß auch sie hervorragende Stützen des Geschäfts bilden. Wenn die Abendglocke läutet, so beginnt die „Stasl“ ohne jegliche Einleitung vorzubeten, und im Nu ist Alles mäuschenstill geworden, die ganze Gesellschaft betet vor den Krügen andächtig nach, und man sieht es dem Mädchen an, daß sie auf diese ihre Seelsorgerrolle ordentlich stolz ist. Sie weiß auch mit Stadtleuten umzugehen und bedient so flink und zierlich, wie der Kellner eines Hotels. Nur darf man nicht über die liebe Muttersprache weg gehen und – wie dies jüngst der Führer einer sehr fashionablen Gesellschaft that – von dem Mädchen z. B. sechs Tassen „Bouillon“ verlangen; es war kein Wunder, daß ein Anderer seine „Suppe“ um ein Erkleckliches früher bekam, als die Herrschaften ihre „Bouillons“.
Als einer der hervorragendsten Vorzüge des Thales müssen die außerordentlich günstigen klimatischen Verhältnisse desselben bezeichnet werden, da es von allen Seiten vor rauhen Winden geschützt und von kolossalen Nadelwaldungen umgeben ist. Ein unternehmender Arzt hat sich auch schon mit Vorbereitungen beschäftigt, in Jachenau eine klimatische Curanstalt zu errichten, welches Project aber an verschiedenen Umständen gescheitert ist. Hauptsächlich steht jedem derartigen Unternehmen der Uebelstand entgegen, daß Jachenau gar keine andere Postverbindung mit der übrigen civilisirten Welt hat, als einen Postboten, der jeden zweiten Tag die Briefschaften und Poststücke hin- und herbefördert; nicht einmal eine Carriolpost hat man den Jachenauern, die denn doch in Folge ihrer Vermögensverhältnisse ziemlich hohe Steuern bezahlen, bewilligt.
Der Wanderer, der sich hierher verirrt, wird darob keine Reue empfinden, denn was man in den Bergen sucht, findet man hier im reichsten Maße. Die Nähe von zwei Seen, dann von ganz respectabeln Bergen mit der lohnendsten Fernsicht – das ist Gelegenheit genug zu erfreulichen Ausflügen. Die Aussicht auf dem Fahrenberg wird von Vielen derjenigen auf dem berühmteren Herzogstand noch vorgezogen; der König von Baiern hat in jüngster Zeit deshalb ein Belvedere auf jenem Berge errichten lassen; außerdem bieten der Pfeng, die Jocheralpe, das Bärenhaupt und andere Abwechselung genug. Das Leben auf den Alpen selbst, die von Sennerinnen bewirthschaftet werden, zeigt sich noch in seiner Ursprünglichkeit und Urwüchsigkeit, und keinerlei Comfort der von Fremden viel besuchten Alpenhütten verkümmert die Originalität der Jachenauer „Kaser“. Die Sennerin schaltet und waltet dort oben unbekümmert um die Neuerungen auf dem Gebiete der Milcherei nach altem Herkommen, und jede derselben bereitet ihren eigenen Käse, der für unseren Gaumen allerdings nicht geschaffen ist und eigentlich nach gar nichts schmeckt, trotzdem aber starken Absatz erzielt; bei der prächtigen Milch und der süßen Butter läßt sich übrigens auch leben, insbesondere, wenn man das Glück hat, ein sauberes Deandl zu treffen, das im Stande ist, einem etwas vorzusingen und zu „juchaz’n“, daß sich die Wolken am Himmel theilen. Kommt dann noch Gesellschaft, vielleicht ein „Jaga“ dazu, dann wird’s kreuzfidel, und die enge Sennhütte gewinnt mehr Anziehungskraft, als die glänzend beleuchteten Hallen eines residenzlerischen Vergnügungslocales.
Die ausgedehnten Waldungen um Jachenau bergen natürlich eine außerordentliche Masse von Haar- und Federwild aller Art. Prächtige Hirsche durchstreifen die Wälder; auf den grasreichen Hängen weilt die Gemse, und das flüchtige Reh durchstreift Wies’ und Busch. Das ist eine harte Versuchung für alle Diejenigen, welche das edle Waidwerk lieben, aber nicht lieben sollen. Das Forstpersonal hat deshalb einen sehr beschwerlichen Dienst, und ein Sonntagsjäger, der mit dem Gemsbart und der Spielhahnfeder am Hut einherstolzirt, würde curiose Augen machen, wenn er einmal eine Streif- und Arbeitswoche mit einem der verwetterten, vertrockneten und verknorrten Waidgesellen theilen müßte. Montag früh fort, Sonntag Nachts heim; im Rucksack für die ganze Woche nur Mehl, Salz, Speck, Brod und Schnaps; gekocht wird ein paarmal ein Holz-„Retzel“ – ein schreckliches Gemengsel von Mehl, Wasser und Schmalz – sonst begnügt man sich mit Brod oder Speck. Mit dem Nachtquartier sieht’s auch schlimm aus; die Witterung ist reine Nebensache; manchmal ist eine Heuhütte in der Nähe, meistens aber heißt’s unterm freien Himmel campiren. Das sind
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_199.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)